Neonazis unterwandern Bürgerinitiativen

Erstveröffentlicht: 
18.06.2015

Kulturbüro-Analyse: Strategiewechsel bei Rechten

 

Von Andreas Debski


Leipzig. In Bürgerprotesten scheinen sich die angestaute Wut und die geballten Vorurteile zu entladen - doch nicht selten stammen die Hintermänner aus der rechtsextremen Szene. Das ergab die Analyse "Sachsen rechts unten 2015" des Kulturbüros Sachsen. "Wir stellen einen Strategiewechsel fest: Es gibt nicht mehr den zwingenden Bezug zu NS-Themen, sondern es werden ganz gezielt Bürgersorgen kanalisiert und rassistische Proteste gestaltet", erklärt Fachreferent Michael Nattke. So gebe es nachweislich personelle Vermischungen, Führungsfiguren der gewaltbereiten Neonazi-Szene agierten als Strippenzieher diverser Bürgerinitiativen und Bürgerwehren im Freistaat. Dabei würden unter anderem Räume, Netzwerke, Infrastrukturen wie auch Propagandamaterial zur Verfügung gestellt.


Bürgerwehren als Anti-Asyl-Protest


"Die rechtsextremen Parteien haben auf jeden Fall dazugelernt und sind nicht mehr mit der alten NPD vergleichbar. Es geht um die Anschlussfähigkeit an breite Bevölkerungsschichten", macht Michael Nattke klar. Das Kulturbüro berät seit 2001 landesweit Vereine, Kirchgemeinden, Firmen sowie Kommunalpolitiker und Verwaltungen zu Rechtsextremismus. Die Mitarbeiter, darunter in mobilen Beratungsteams, gelten als ausgewiesene Szene-Kenner.


Gerade in Zeiten steigender Flüchtlingszahlen finden die Rechtsextremen in Sachsen einen Nährboden: Nach Ansicht des Kulturbüros ist der Freistaat bundesweit das Zentrum der Anti-Asyl-Proteste, die in den vergangenen zwei Jahren stark zugenommen haben - entgegen den Verlautbarungen des Innenministeriums bilden sich zunehmend Bürgerwehren, um gegen Asylsuchende vorzugehen. Die Neonazi-Partei "Der Dritte Weg" verteilt seit geraumer Zeit einen Leitfaden "Wie be- bzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner Nachbarschaft", der in der Bevölkerung hoch frequentiert wird. "Diese Entwicklung ist höchst gefährlich", macht Grit Hanneforth, die Geschäftsführerin des Kulturbüros, klar.


Musik und Vertriebe als Geldquelle


Da die NPD als Finanzier inzwischen weitgehend ausfällt, werden neue Geldquellen auf- und alte ausgebaut. Mit PC-Records, OPOS-Records und Front-Records seien drei der bundesweit wichtigsten neonazistischen Musik-Label in Sachsen ansässig, so das Kulturbüro: "Ein Großteil der rechten Musik-Szene in der Bundesrepublik wird über diese Firmen produziert und vertrieben." Die zahlreichen Geschäfte und Vertriebe - Musik, Mode, Tattoo-Läden - sorgten dafür, dass Arbeitsplätze in der Neonazi-Szene geschaffen und zudem Jugendliche angelockt werden. "Die Wirkung dieses Vertriebs- und Geschäftsmodells ist mindestens genauso hoch einzuschätzen wie die von rechten Parteien und anderen Zusammenschlüssen", stellt Nattke fest. Außerdem haben die Szene-Kenner in den vergangenen drei Jahren ein weiteres, wachsendes Geschäftsfeld der Neonazis ausgemacht: Drogen - vor allem in Nordsachsen gebe es eindeutige Überschneidungen.


Die Publikation, die auch viele Beispiele enthält, lässt sich als PDF-Dokument kostenlos herunterladen: www.kulturbuero-sachsen.de