Kriminologe: Bei der Polizei herrscht ein Korpsgeist

Erstveröffentlicht: 
20.05.2015

Überlegenheitsgefühl und Chauvinismus Alltag bei den Beamten / »Solidarität nach innen« bei Polizeigewalt ein Problem

 

Bremen/Hamburg. Den Hamburger Kriminalwissenschaftler Rafael Behr überraschen die Informationen über Misshandlungen von Flüchtlingen bei der Bundespolizei in Hannover nicht. »Wir wissen, dass es immer wieder institutionelle und situative Bedingungen gibt, in denen so etwas vorkommt«, sagte Behr dem Bremer »Weser-Kurier« (Mittwochsausgabe). So steige grob gesehen die Wahrscheinlichkeit für Fehlverhalten, wenn eine nach außen abgeschottete Gruppe junger Männer mit niedrigem Dienststatus auf einen charismatischen informellen Leiter treffe.

 

»Da sind ein Überlegenheitsgefühl und Chauvinismus im Spiel«, erläuterte Behr, der an der Hamburger Akademie der Polizei Soziologie und Kriminologie unterrichtet. Es gehöre auch immer eine relativ autoritäre Gruppenstruktur dazu. »Die verhindert, dass sich die sozial wacheren Kollegen nach außen oder an den Vorgesetzten wenden. In allen Polizeikulturen gibt es den Grundsatz unbedingter Solidarität nach innen. Einen Kollegen anzuschwärzen, ist praktisch undenkbar.«

 

Gegensteuern lässt sich Behr zufolge mit altersmäßig und vom Dienstgrad her durchmischten Teams, in denen Männer und Frauen zusammenarbeiten. »Vorgesetzte müssen zudem ihre Mitarbeiter nicht nur kontrollieren, sondern ihnen vertrauensvoll zuhören.« Wichtig seien überdies vielfältige Aufgaben: »Wer als Polizist nur mit vermeintlichen Straftätern zu tun hat und dabei oft auf 'Ausländer' trifft, der entwickelt leicht ein einseitiges Menschenbild und hält stereotyp Fremde für Verbrecher.«

 

Mehr Beamten mit Migrationshintergrund können die Situation nach Einschätzung des Experten nicht entschärfen. »Ich bin da skeptisch«, sagte Behr. Auch Migranten durchliefen die gleiche Ausbildung wie deutsche Kollegen. »Sie sind ebenfalls Teil einer Herrschaftsperspektive.« Eher sollten Polizisten so ausgebildet werden, dass sie die Gesellschaft nicht als ihnen gegenüber zunehmend feindselig gesinnt oder gefährlich erlebten. epd/nd