Linke-Stadtrat sagt gegen Neonazis aus

Erstveröffentlicht: 
08.05.2015

Der Göppinger Linken-Stadtrat Christian Stähle sagt im Prozess gegen die Autonomen Nationalisten aus. Nach vielen eher ruhigen Verhandlungstagen kam am Donnerstag mächtig Leben in den Saal des Stuttgarter Landgerichts.


Beim Stichwort Autonome Nationalisten Göppingen (ANGP) sprudelt Christian Stähle wie ein Wasserfall. Der Göppinger Linken-Stadtrat berichtet von abgefackelten Briefkästen, rechtsradikalen Postern an seinem Fenster, blutigen Tierlebern mit angehefteten Morddrohungen, manipulierten Bremsen und nächtlichem Telefonterror. Dass er darüber immer wieder vergisst, die eigentlichen Fragen zu beantworten, sorgt vor allem am Ende seiner Vernehmung für einige Lacher im Stuttgarter Landgericht.


Vier mutmaßliche Köpfe der ANGP müssen sich unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor Gericht verantworten. Anklagen gegen 13 weitere mutmaßliche Mitglieder sind auf dem Weg. Nach mehreren Jahren mit Demos, rechten Parolen, Aufkleber-Aktionen und Rangeleien hat Innenminister Reinhold Gall (SPD) die Gruppe Ende des vergangenen Jahres verboten.

 

„Dich kriegen wir noch – wir wissen, wo Du wohnst“

 

Schon als Stähle gefragt wird, ob er mit einem der Angeklagten verwandt sei, rutscht dem 56-Jährigen ein „Gott sei Dank nicht“ heraus. Bereits 2008/2009, noch vor der Gründung der ANGP, sei es losgegangen mit dem Terror gegen ihn. Als Urheber macht er „versprengte Mitglieder und Sympathisanten“ der späteren rechtsextremen Gruppe aus. Konkrete Belege dafür bleibt er jedoch schuldig.

 

Zum ersten Mal richtig auf die ANGP aufmerksam geworden sei er beim Neujahrsempfang der Linken 2012, berichtet Stähle. Damals seien zehn bis zwölf Anhänger vor dem Café Sichtbar am Marktplatz mit zwei Transparenten „militärisch aufgezogen“. Sie hätten mit ihrem Megafon den Neujahrsempfang gestört und einen jungen Genossen mit den Worten bedroht: „Dich kriegen wir auch noch. Wir wissen, wo Du wohnst.“ Erst als die Polizei gekommen sei, sei Ruhe eingekehrt.

 

An einem Abend, an dem ANGP-Mitglieder Flyer auf dem Parkplatz einer Sporthalle verteilt hätten, seien die Bremsen seines Autos manipuliert worden, erzählt der 56-Jährige. Nur knapp sei er am nächsten Morgen einem Unfall entgangen. Beweisen könne er aber nicht, dass der Täter aus der Gruppierung stamme, gibt er zu. Die Ermittlungen wurden eingestellt.

 

„Nächtlicher Telefonterror“

 

Stähle berichtet, dass er an mindestens zwei Stellen unter ANGP-Aufklebern Rasierklingen gefunden habe und deshalb die Sticker nur noch mit Spachtel entferne. Er erzählt von nächtlichem Telefonterror, der zur ANGP-Hochphase 2012/13 besonders heftig gewesen sei. Die Anrufer hätten ihn hässlich bedroht, etwa indem sie fragten, ob er seinen Hund liebe. Er habe schließlich sein Festnetz abgemeldet und telefoniere heute nur noch mit dem Handy.

 

Zwischen NPD und ANGP zu unterscheiden, die Mühe gibt sich der Diplom-Psychologe nicht immer: „Das ist doch vollkommen Wurscht. Das ist doch alles das Gleiche.“ Und doch macht er eindeutig die Autonomen Nationalisten für die Belästigungen verantwortlich: „Der Ärger ist schlagartig vorbei, seit die jungen Leute nicht mehr so durch Göppingen laufen können“, sagt Christian Stähle.

 

Der Rede-Eifer des Politikers bringt ihn schnell von Hölzchen auf Stöckchen. Mit Geduld und Humor versucht die Vorsitzende Richterin immer wieder, das Thema zurück auf die Sache zu lenken: „Selbst mit meiner blühenden Fantasie weiß ich nicht mehr, was Kernkraftwerke und der Nato-Doppelbeschluss mit unserem Fall zu tun haben.“ Am Ende bringt es die Zeugin Christine Lipp-Wahl (Grüne) treffend auf den Punkt, als sie ihren Ratskollegen charakterisiert: „Er ist auch sehr eloquent.“