Von der Schwierigkeit mehr als eine Subkultur zu sein / Beitrag zur Autonomen Debatte

Ein weiterer Text aus Hamburg der sich einreiht in die "Autonomen Debatte".

Mit den Worten der Genoss_Innen aus Berlin zu sprechen: Sich finden - Organisieren - Aufstand !

 

Von der Schwierigkeit, mehr als eine Subkultur zu sein

 

Mit den folgenden Zeilen möchten wir „Der Kontext politischen Handelns“ weiterführen, einige Positionen des Textes „2014 – Das Jahr in dem wir nirgendwo waren“ hinterfragen und auf die Demo „Hamburg sieht Rot“ vom 1.5.2015 eingehen.

 

Ohne die Relevanz autonomer Interventionen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen seit den 1980er Jahren zu überschätzen, so bleibt doch festzuhalten, dass sowohl die vormalige Präsenz als auch die Stärke eigener Inhalte von einigen, zeitlich meist eng begrenzten, Höhepunkten abgesehen, seit mehr als einem Jahrzehnt deutlich nachgelassen haben.

So oft sich ähnliche Formulierungen mal frustriert und mal ratlos in stetig wiederkehrender Weise seit Menschengedenken in autonomen Analysen finden lassen, so selten haben wir eine Strategie kontinuierlicher und damit nachhaltiger politischer Arbeit formuliert.

„Das wollten Autonome auch nie“ hallt es da aus den Kathedralen linksradikaler Selbstvergewisserung in Hamburg oder Berlin, in denen, und das ist im Gegensatz zu einigen anderen Städten ein wirklicher Erfolg, nicht nur lieb gewonnene, sondern nach wie vor notwendige Grundsätze emanzipatorischer Politik in Konfrontation zum System hochgehalten werden.

Wer dort ab und zu den Staub von den Broschüren pustet und unter den adrenalinmotivierten Tags jüngerer Generationen die verblassten Parolen selbstbestimmten Lebens entdeckt, die_der findet Antworten auf Fragen, die alle paar Jahre neu gestellt werden.

Somit erscheint uns entgegen der bisweilen ideologisch überhöhten Strategiefreiheit genau das als Weg von einer Theorie zur Praxis, der besser ist als die Praxis immer neu aus der Praxis selbst mit all den damit zusammenhängenden Nachteilen erlernen zu müssen.

Es gibt wahrhaft keinen Grund, in einem Regress der Fehlerproduktion nach einer Logik selbstbestimmter Positionsaneignung zu suchen, die sich in vielen Punkten gerade nicht aus einer antagonistischen Haltung gegenüber staatlich garantierten Machtverhältnissen speist, sondern die Gegnerin_den Gegner gerne in den eigenen Reihen sucht und jedes Mal aufs Neue findet.

 

Um vorhandenes Wissen nicht museal zu bewahren, sondern zum Teil sozialer Konflikte werden zu lassen, sind Bemühungen zur Weitergabe eigener Erfahrungen dringend erforderlich.

Insofern sollte es mehr solcher Texte wie von den Genoss_innen aus Berlin in der Interim 769 geben.

 

Dabei ist es allerdings nur von untergeordneter Relevanz, ob und wie stark sich unsere Inhalte auf das „Original“ der Autonomia Operaria beziehen.

Richtigerweise heißt es im Berliner Debattenbeitrag, „dass die Revolte, die sich Anfang der 90er Jahre aus den Grosstädten (sic!) Westdeutschlands bis in die tiefste Provinz in Bayern verbreitete, nicht viel von dieser Bewegung aus Italien, von der sie den Namen erbte“ (Interim 769, S. 19) wusste.

Nachdenken über und lernen aus kollektiver linksradikaler Geschichte soll selbige ja auch nicht kopieren, sondern mit eigenen Inhalten fortschreiben. Weiterentwicklung qualitativ verstanden, geriert sich nicht als besserwisserische Positionierung, die ihre eigene vorgebliche Stärke immer nur aus der Negation anderer Ideen zieht, sondern aus der Kritik an den eigenen Leerstellen wie den gesellschaftlichen Verhältnissen insgesamt.

Wie sehr beides miteinander verknüpft ist, haben wir versucht, mit unserem letzten Text zu beschreiben.

 

Warum der Berliner Text allerdings in der pathetisch und inhaltsleer vorgetragenen Feststellung mündet, dass alles zerschlagen werde müsse, bleibt schleierhaft, da sich autonome Politik den herrschenden Verhältnissen gegenüber zwar stets unversöhnlich zeigte, dabei aber doch zielgenau und verantwortungsbewusst blieb.

Die Berliner_innen sind mit Ihrer Hoffnung, dass aus den Trümmern eines wie auch immer hinweggefegten Systems schon etwas Fortschrittliches auferstehen würde nicht allein. Immer wieder kursieren linksradikale Aufrufe mit dem Impetus einer „reinigenden“ Zerstörung.

Auch wenn wir den Verfasser_innen eine aus Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit gespeiste Motivation zu Gute halten, die wohl jede_r von uns schon mal gespürt hat, so muss die Aussage an sich doch deutlich zurückgewiesen werden.

Nichts, aber auch gar nichts spricht dafür, dass ideologisch gefestigte soziale Strukturen, die jeder_jedem einzelnen nicht nur äußerlich gegenüberstehen, sondern in uns selbst eingeschrieben sind, sich qua eruptiver Läuterung in Wohlgefallen auflösen. Eine autoritäre gesellschaftliche Formierung ist mehr als eine von den politischen Eliten durchgesetzte Strategie. Sie ist das Ergebnis einer lang andauernden kulturellen Entwicklung von der unterschiedliche Akteur_innen, eben auch wir selbst, profitieren.

Wir wollen damit nicht reformistischen, sich dem System preisgebenden, Ansätzen das Wort reden, halten es jedoch für unerlässlich bei all der Wut angesichts scheinbar nicht zu überwindender lebensfeindlicher Verhältnisse deren Analyse, die zu einem guten Teil bei uns beginnt, zu vergessen.

Es ist banal: Wir sollten wissen, warum wir etwas tun.

 

Wir wollen an dieser Stelle keine direkte Verbindung zu dem unsäglichen Ablauf der „Hamburg sieht Rot“-Demo herstellen. Aber auf der Straße zeigt sich eben sehr deutlich, wenn kämpferischen Parolen keine Taten folgen.

 

Rieben sich die Ü30-Jährigen ob derlei Schildern wie „Olympia, du Hurensohn – Geh München“ zu Beginn der Demo noch verwundert die Augen, steigerte sich die Sprachlosigkeit auf den nächsten Metern mehr und mehr zum Entsetzen.

Nach einer anfänglichen Pyroshow freuten sich die dummdreisten Demonstrierenden einige Minuten über die Plünderung einer Shell-Tankstelle und warfen kurze Zeit später ihre dort erbeuteten halbvollen Bierflaschen der Gegenseite vor die Füße, um im nächsten Moment wie die Hasen vor einigen wenigen vorpreschenden Einsatzkräften zu flüchten.

So gab mensch völlig ohne Not eine mehr oder weniger geschlossene Demo aufgrund von hirnlosen Aktionen, die die Bezeichnung „Militanz“ nicht verdienen, preis und lies 200 Verbliebene zurück, die sich aus dem Lauti dann noch schlechten Gangster-Rap mit den üblichen sexistischen und homophoben Sprüchen anhören durften.

Wenn das eine jugendgerechte Ansprach sein soll, ist es wohl höchste Zeit sich aufs politische Altenteil zu verabschieden.

 

Wir müssen nicht mehr auf die Straße gehen, wenn wir nichts mehr zu sagen haben und wir müssen keine verbale Stärke zeigen, wenn keine Kraft dahinter steht, diese durchzuhalten.

 

Aber wir müssen gemeinsam analysieren, was uns verbindet. Worin der Kern der Revolte besteht und wie wir unsere Inhalte in einer den herrschenden Verhältnissen entsprechen Form auf die Straße tragen: Geschlossen und entschlossen.

 

Tatsächlich halten wir es für absolut bemerkenswert, dass die kulturelle Anziehungskraft unserer Szene nach wir vor ungebrochen ist.

Und zwar quer zu den Versatzstücken unterschiedlicher musikalischer oder kleidungstypischer Ausformungen. Wir haben es durchaus geschafft, jedwede, ob im Kern systemkritisch oder nicht, Art von dynamischer Kultur zu integrieren und ihr zudem eine eigene Interpretation hinzuzufügen.

Hip Hop, Elektro oder Punk. Alles geht.

Alles bringt die Menschen in unseren Läden und bei unseren Aktionen zusammen.

Doch weswegen kommen sie?

 

Es ist bezeichnend, dass die Kraft, die im Partykontext entsteht, dort verbleibt und sich nicht produktiv in die Leben der Protagonist_innen fortschreibt, sondern ihr jähes Ende mit dem morgendlichen Kater vor der Arbeit oder der Uni findet.

Zu sehr sind wir selbst Teil der Verhältnisse, als dass wir uns die Frage stellen, warum wir jeden Morgen mitmachen und jede Nacht (scheinbar) rebellieren.

Das, was antagonistische Kultur ausdrücken und initiieren will steht in einem krassen Gegensatz zu dem, was wir daraus machen: Ein konsumierbares Produkt, dass ein paar Jahr später gegen ein anderes ausgetauscht werden kann.

 

Machen wir uns dadurch nicht selbst zu einem Teil der Verhältnisse, die wir abschaffen wollen?

 

Wer mit dem Finger auf die betrunkenen Massen zeigt, die sich jedes Wochenende im Rausch des Verdrängens über die Reeperbahn schieben oder jene beschimpft, die sich an den Gütern erfreuen, die ihnen das System für ihren hart erarbeiteten Lohn, als Lebensziele verkauft, die_der sollte nicht vergessen, dass unsere Handlungen nur eine Nuance davon entfernt sind.

 

Eine unversöhnliche Haltung muss sich in unversöhnlichen Handlungen, in einer Kultur des Widerstands, die mehr ist als das Mitsingen und Tanzen in ehedem erkämpften, heute mehr geduldeten autonomen Zentren, zeigen. Auch wenn wir mit vielen an diesen Orten zusammen kommen und dort temporär erleben können, wie wir leben wollen, so zeigt sich die revolutionäre Perspektive doch im Alltag.

Wir müssen unsere Inhalte jeden Tag in sozialen Beziehungen, am Arbeitsplatz, in der Uni oder auf der Straße leben und können nicht darauf hoffen, dass irgendwer (wir?) das System hinwegfegt.

 

Gruppe Theorie zur Praxis Mai 2015

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Hmm. Langer Text, kein Inhalt. Ihr habt knallhart aufgedeckt, dass wir alle keine richtigen Autonomen sind und gerne auch mal fünfe gerade sein lassen. Ihr wollt mehr "Revolte" (die auch in eurem Text nur eine subkulturelle Sprachhülse ist) und weniger "Party"? Oder wie oder was?

Zu sehr sind wir selbst Teil der Verhältnisse, als dass wir uns die Frage stellen, warum wir jeden Morgen mitmachen und jede Nacht (scheinbar) rebellieren.

Das, was antagonistische Kultur ausdrücken und initiieren will steht in einem krassen Gegensatz zu dem, was wir daraus machen: Ein konsumierbares Produkt, dass ein paar Jahr später gegen ein anderes ausgetauscht werden kann.

 

Machen wir uns dadurch nicht selbst zu einem Teil der Verhältnisse, die wir abschaffen wollen?

 

herzlichen Glückwunsch. Problem erkannt. Damit steht und fällt alles. Das ist die Antwort auf alle rebellischen Fragen.

Klingt hochtrabend oder ?
Ist aber tatsächlich so.

So einfach und doch so schwer. An dem Punkt muss man dann aufpassen nicht depressiv zu werden. Da bleibt dann nur noch FTW...

Ihr zitiert richtig aus unserem Text: "... die Revolte, die sich Anfang der 90er Jahre aus den Grosstädten Westdeutschlands bis in die tiefste Provinz in Bayern verbreitete, nicht viel von dieser Bewegung aus Italien..."

Leider hatten wir uns vertippt und den Fehler auch beim Korrekturlesen übersehen: Gemeint sind natürlich die 80iger Jahre, als hier die BRD Autonomen entstanden sind. Wir haben den Fehler leider auch in unserer zweiten, erweiterten Fassung übersehen.

 

Die Zweite, um Orginaltexte und eine Zeit Leiste erweiterte Fassung findet sich u.a. auf contra info: http://de.contrainfo.espiv.net/2015/03/14/2014-das-jahr-in-dem-wir-nirgendwo-waren/

Erst Mal dankeschön für die reflektierenden Worte. Ich kann die Angst vor Vereinnahmung (und dass ich gar nicht so anders als die anderen sein könnte) auf der einen Seite und vor ungebremster Verrohung auf der anderen Seite vielleicht verstehen, werde aber den Eindruck einfach nicht los, dass sie genau der Hemmschuh ist, der die Linke am stärksten drückt. Der sie sich ins Abseits hat manövieren lassen, anstatt eine andere Doppelstrategie zu fahren:

 

1. Nabelschau, um den (Hinter)Grund eines Phänomäns wie Jürgen Elsässer ebenso zu vertehen, wie die Entwicklung des schwarzen Blocks oder der 93. Gruppenspaltung in drei Jahren.

2. Gruppen auflösen und in die Gesellschaft treten, dort an der eigenen Sache arbeiten (OK, etwas überzogen vielleicht).

 

Dazu vielleicht:

Vielleicht mal weniger produktiv sein, "Es ist bezeichnend, dass die Kraft, die im Partykontext entsteht, dort verbleibt und sich nicht produktiv in die Leben der Protagonist_innen fortschreibt [...]." Dieses sozialdemokratische Credo sind noch die wenigsten in der Linken los geworden, aber es gibt Phasen und Räume im Leben, die sind halt nicht produktiv oder erfolgreich oder konsequent.

Heult doch nicht immer rum und trauert eurer Geschichte hinterher. Die Autonomen sind gescheitert und die aktuellen Bewegungen sind vielleicht etwas von ihnen beeinflusst, aber nicht mehr autonom. So war sicher die "Hamburg sieht rot"-Demo kein autonomes Showlaufen. Der Ansatz war erstmal in Hamburg pluralistischer den revolutionären 1.Mai zu organisieren, was ja auch klar gelungen ist. Nicht umsonst waren doppelt so viele Leute da, als bei den Maoisten. Das Problem ist, dass die Demoorga zu schwach war und die Demo nicht gut durchorganisieren konnte. Dies müssen sie nächstes mal besser machen, also einen viel größeren Frontblock und eigene Ordner. Die Demo hat viele unorganisierte Menschen auf die Straße bewegt, wir müssen uns nun bei solchen Events Gedanken machen, wie man diese Masse von unoranisierten am besten organisiert. Dass sind Menschen, wie vorher wohl nie in einem linken Zentrum oder so waren. Die Autonomen waren ja stets gut organisiert, wir brauchen also neue konzpte um spontan viele Menschen in Aktion zu bringen. Dies mal hat es in keiner Stadt in Deutschland wirklich funktioniert. 

Viel wichtiger als solche Events ist aber die kontinuierliche linksradikale Arbeit im Betrieb, Uni oder auf der Straße. Also wir brauchen wirkliche linke Zentren, die unsere Inhalte verbreiten und Gruppen die nicht aus 10, sondern aus 10000 Leuten bestehen, dann sehen die Demos auch anders aus.

Wegen der Shell-Plünderung hat der Rote Aufbau Hamburg / RSH (http://roteszenehamburg.blogsport.de/2015/05/18/bericht-zu-den-maifestsp...) eigentlich  die Ereignisse gut zusammengefasst: ist verständlich, aber dumm, da die Bullen in Übermacht die Demo zerkloppen konnten - aber Erfolg, man hat trotzdem die Demo weiter zur Reeperbahn durchgesetzt...

 

Dein Musikgeschmack ist genauso kacke wie deine Urteilskraft über das Alter der Frontblockteilnehmer, da war niemand Ü30...

Deine Wortwahl nimmt deinen Aussagen erheblich die Wirkung. Beleidigene Inhalte über den Musikgeschmack der Verfasser_Innen, die sich zurecht gegen sexistische und homophobe Texte einsetzen, welche auf einer Demo nichts zu suchen haben, sind wirklich nicht das Mittel der Wahl für eine fruchtbare politische Diskussion, um das nächste Mal eine wirkungsvollere Veranstaltung zu erreichen. Nur so als Tipp. ;-)