Aufgewühlte Emotionen in Borna nach Razzia gegen Neonazis

Mittwoch wurde Markus W. im Zuge einer bundesweiten Razzia verhaftet.
Erstveröffentlicht: 
08.05.2015

Markus W. bei Schlag gegen Terrorgruppe verhaftet / Polizei verstärkt Streife

 

Von Birgit Schöppenthau

 

Borna. Inmitten von Wiesen und Wäldern gelegen, mit kostenfreien Parkplätzen vor der Haustür: So preist eine Immobiliengesellschaft die Wohnlage in Borna-Gnandorf. Für Umzugswillige in die Plattenbausiedlung wird ein Bonus von 400 Euro gezahlt. Doch die vermeintliche Idylle hat vor zwei Tagen einen empfindlichen Schaden genommen. "Das Haus war von Polizisten umstellt", sagt ein Rentner, der seit anderthalb Jahren hier eine Zwei-Raum-Wohnung bewohnt. Bewaffnete Einsätzkräfte hätten mehrere Hauseingänge gesichert. Von seinem Fenster aus habe er zugesehen. Stundenlang seien die Beamten in der Wohnung von Markus W. im sechsten Stock gewesen. "Ein großer, schlanker Mann, ganz kurzes Haar", erinnert sich der Rentner. Gegen Mittag sei der Gesuchte in einen Transporter begleitet und abgeführt worden. Der Bornaer kreuzt die Arme über den Handgelenken, während er das erzählt.
Die Razzia der Polizei in der Neuen Platekaer Straße, bei der zwei Mitglieder der rechten Terrorgruppe Oldschool Society (OSS) verhaftet worden sind, hat die Bewohner zutiefst erschüttert. "Ich sag nichts dazu", gibt sich der Hausmeister, der gerade mit der Motorsense den Rasen kürzt, wortkarg. "Ich hab das gesehen, weiß aber nichts", so eine junge Frau in gebrochenem Deutsch. "Ich habe Angst!", bringt es eine 42-Jährige auf den Punkt. Die aus einem arabischen Land stammende Asylbewerberin sei W. begegnet, habe ihn gegrüßt. Sie schilderte eine Begebenheit, bei der W. mit einer Waffe kokettiert haben soll. "Nur zur eigenen Sicherheit", habe er den Waffenbesitz gerechtfertigt. Nachdem die Polizei Sprengstoff in der Wohnung von W. gefunden haben soll, findet die dunkelhaarige Frau keinen Schlaf mehr. Unter Tränen berichtet sie, dass sie sich gestern nicht auf die Straße traute, dem Unterricht in der Euro-Schule fernblieb. Der psychische Druck sei zu groß. Aus ihrem Land sei sie geflohen, weil die Bedrohung unerträglich wurde. "Ich dachte, Europa wäre sicher", so die Frau, die seit zwei Jahren in Gnandorf lebt. Jetzt fühle sie sich jedoch auch in ihrer Wohnung nicht mehr sicher: "Was, wenn er zurückkommt?"
Außer solchen Emotionen hat die Razzia kaum sichtbare Spuren hinterlassen. Die Tür zur Zwei-Raum-Wohnung von Markus W. in der sechsten Etage des Plattenbaus in der Neuen Platekaer Straße 24 ist unversehrt. Lediglich ein Schild kündet davon, dass es sich um den "Herrschaftsbereich von Markus" handelt, in dem er das "Sagen" hat. Gegenüber wohnt ein Pärchen mit ausländischem Namen. Nachbarn erzählen, dass sich Markus W. mitunter vom Lärm gestört gefühlt und den Mitbewohnern mangelnde Disziplin vorgeworfen habe.
Die Polizeidirektion Leipzig ist für die neue Lage sensibilisiert. Zwar würden die Asylbewerberheime in der Region nicht ständig beobachtet, doch die Streifen seien verstärkt worden, sagte Bornas Revierleiter Michael Kabutke.
Trotz der Ermittlungen gegen das Neonazi-Netzwerk Oldschool Society (OSS) auch in Borna ist die Oberbürgermeisterin Simone Luedtke (Linke) davon überzeugt, "dass sich unser Ruf, was die rechte Szene betrifft, sehr stark verbessert hat". Das Thema Oldschool Society werde auch eine Rolle spielen, wenn sie in der nächsten Woche mit den Stadtratsfraktionsvorsitzenden über die Ankündigung des islamkritischen Bündnisses Legida, auch in Borna Kund- gebungen abzuhalten, sprechen werde.
Matthias Weisman, Superintendent des Kirchenbezirks Leipziger Land, zeigt sich fassungslos über die Terrorzelle. Es gebe zahlreiche diffuse Ängste als Ausdruck dafür, dass Menschen ihr gewohntes Leben auch durch unpersönliche Erfahrungen bedroht sähen.
Naunhof im Muldental wird demnächst weitere Asylsuchende aufnehmen. Weder vor den neuen Einwohnern noch vor Leuten, die Angst vor ihnen schüren wollen, sollte man sich fürchten. "Wir Naunhofer werden alles versuchen, den neuen Mitbürgern ohne vorschnelle Urteile gegenüberzutreten", sagt der parteilose Bürgermeister Volker Zocher. "Genauso sind wir aber auch in jegliche Richtung wachsam. Ein Aufwand, der sich für alle Beteiligten lohnen wird."
"Wir hoffen, dass es bei uns nicht zu einer Gefährdungslage kommt", sagt der Regis-Breitingener Bürgermeister Wolfram Lenk (Linke) mit Blick auf das Asylbewerberheim in der ehemaligen Berufsschule. "Es ist schlimm, dass Fanatiker versuchen, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen", beklagt der Bürgermeister und sieht die Gefahr, dass sich vor Terror niemand wirklich sicher fühlen könne. Er hoffe nicht, dass die Situation so schlimm werde, dass "man sich irgendwann nicht mehr auf die Straße traut".

Wolfram Lenk (Linke), Bürgermeister Regis-Breitingen

 

Quelle: Leipziger Volkszeitung, 8. Mai 2015, S. 6