Nach Brandanschlag in Tröglitz: 350 Menschen demonstrieren für weltoffenen Ort

Erstveröffentlicht: 
04.04.2015

Tröglitz. In Tröglitz haben am Sonnabendnachmittag rund 350 Menschen gegen Fremdenfeindlichkeit in ihrem Ort demonstriert. Unter dem Motto: "Miteinander, Füreinander" verurteilten sie den Brandanschlag aus der Nacht zuvor auf ein als Flüchtlingsunterkunft vorgesehenes Gebäude und sprachen sie für eine weltoffene Gemeinde aus. Teilgenommen haben auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und Innenminister Holger Stahlknecht (beide CDU). „In bin tief betroffen und wütend, dass dieses Verbrechen stattgefunden hat. Jetzt wollen wir zeigen, dass das bürgerschaftliche Engagement steht und dass wir alles dafür tun werden, dass wir die Flüchtlinge wie geplant unterbringen können", sagte Haseloff.

 

Das Wort ergriffen hat auch der ehemalige Bürgermeister der Gemeinde, Markus Nierth (parteilos). Er will nach dem Feuer private Wohnungen für Flüchtlinge zur Verfügung stellen. „Ich habe noch zwei Wohnungen, die ich bereits als Unterkünfte angeboten habe“, sagte Nierth. Er wünsche sich, dass auch andere Tröglitzer privat Unterkünfte zur Verfügung stellten. „Die Braunen dürfen über unseren Ort nicht siegen“, sagte der 46-Jährige. Der Anschlag hat bundesweit für Empörung gesorgt.

 

Nach wochenlangen Protesten Rechtsextremer gegen die Aufnahme von Asylbewerbern in dem geplanten Flüchtlingsheim war in der Nacht zum Sonnabend ein Feuer ausgebrochen. Der Brand ist nach Erkenntnissen der Ermittler vorsätzlich gelegt worden. Das schrieb die Polizei Sachsen-Anhalt Süd am Samstag in einer Mitteilung, die vor Beginn einer Pressekonferenz in Halle auslag. „Es ist definitiv besonders schwere Brandstiftung“, sagte Staatsanwalt Jörg Wilkmann in Halle. Auch ein versuchtes Tötungsdelikt könne nicht ausgeschlossen werden. Es handle sich um eine gemeingefährliche Straftat schlimmster Art. Ein mögliches Motiv der Täter wurde nicht genannt.

Staatsschutz ermittelt

Bislang sei bekannt, dass eine oder mehrere Personen in das Haus eingebrochen seien und dort das Feuer gelegt hätten, hieß es in der Mitteilung. „Dabei wurde mit großer Wahrscheinlichkeit auch Brandbeschleuniger verwendet.“ Das Feuer sei gegen 2 Uhr morgens ausgebrochen. Vor allem das zum Wohnbereich ausgebaute Dachgeschoss sei ausgebrannt. Der Staatsschutz ermittle, es sei nicht auszuschließen, dass es sich um eine politisch motivierte Brandstiftung handele, sagte ein Sprecher der Polizei.

 

In dem Haus lebten eine 50 Jahre alte Frau und ihr zwei Jahre älterer Mann. Sie konnten sich laut Polizei unverletzt ins Freie retten. Eine Nachbarin hatte beide rechtzeitig gewarnt. Die beiden wohnten auch im Dachgeschoss des Hauses - allerdings nicht direkt in dem für die Flüchtlinge vorgesehenen Bereich.

 

Auch nach dem Brandanschlag will der örtliche Landrat an der Unterbringung von 40 Asylbewerbern in der Kleinstadt festhalten. „Es bleibt dabei, Tröglitz bekommt 40 Asylbewerber“, sagte der Landrat Götz Ulrich (CDU) dem Nachrichtenportal „Spiegel Online". „Wir dürfen jetzt nicht einknicken und zurückziehen.“ Für ihn sei klar, dass der Brand kein Anlass sein dürfe, von der dezentralen Unterbringung der Flüchtlinge abzuweichen. Zur Frage, ob die Unterbringung von Asylbewerbern in der Kleinstadt noch zumutbar sei, sagte Ulrich: „Tja, aus Sicht der Flüchtlinge ist das keine einfache Sache. Mein Eindruck ist aber, dass eine Mehrheit die Flüchtlinge wohlwollend sieht.“

 

Der kleine Ort im Süden Sachsen-Anhalts ist bundesweit in den Schlagzeilen, seit der ehrenamtliche Bürgermeister Markus Nierth Anfang März wegen rechtsextremer Anfeindungen seinen Rücktritt erklärte. Er hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als eine asylfeindliche Demonstration direkt vor seinem Haus genehmigt wurde. Der Protest gegen die geplante Unterbringung von 40 Flüchtlingen wird von der rechtsextremen Partei NPD angeführt.

„Davon wird Tröglitz sich wohl nie erholen“

Nierth zeigte sich am Sonnabendmorgen entsetzt über das Feuer. „Davon wird Tröglitz sich wohl nie erholen“, sagte er. „Ich bin fassungslos, traurig und wütend zugleich. Da ist die braune Saat so weit aufgegangen, dass man nun lieber Häuser niederbrennt, in denen Familien eine neue Bleibe finden sollten.“

In dem Haus, in das die Flüchtlinge einziehen sollten, hätten zuletzt zwei Menschen gelebt, hieß es bei der Polizei. Wer sie sind, war zunächst unklar. Eine Nachbarin habe beide rechtzeitig gewarnt, sie konnten sich unverletzt ins Freie retten. Die Brandursache sei derzeit unklar, betonte der Polizeisprecher. „Wir prüfen zur Zeit, inwieweit das Dachgeschoss, das am meisten vom Brand betroffen ist, begehbar ist.“ Man erhoffe sich neue Erkenntnisse, wenn Ermittler und Kriminaltechniker dort arbeiten könnten.

Derzeit überwache die Feuerwehr noch den Brandort, Anwohner kämen vorbei und schauten - es sei aber ruhig, hieß es. Erst am Dienstagabend hatte Landrat Götz Ulrich (CDU) auf einer Einwohnerversammlung in Tröglitz über die Pläne zur Asylbewerberunterkunft informiert. Gut 500 Menschen hatten sich im örtlichen Kulturzentrum eingefunden, unter ihnen auch Nierth. Ulrich musste Dutzende Fragen beantworten - und räumte auch Fehler ein. „Ich schließe nicht aus, dass ich und einige andere Verantwortliche im Vorfeld nicht ausreichend den Bewohnern zugehört haben“, sagte der CDU-Politiker. Er habe aus dem Fall Tröglitz gelernt. (mit dpa)