Prozess wegen Mobilisierungsvideo Mit Kettensäge zur Antifademo?

Erstveröffentlicht: 
06.03.2015
Prozess wegen Mobilisierungsvideo Mit Kettensäge zur Antifademo?
Von Eberhard Wein 06. März 2015 - 09:00 Uhr

Ein Internetvideo, das mit brachialer Ausrüstung, Gestik und Text zur Blockade einer Göppinger Nazidemo aufruft, bringt einen Mann vor Gericht. Doch er wird freigesprochen.

 

Die Szenerie erinnert an die martialische Ästhetik der Roten Armee Fraktion (RAF) aus den 70er Jahren: Fünf Männer und eine Frau in Sturmhauben stehen in einem Keller, an der Wand hängt die Fahne der Antifa, in ihren Händen halten sie Baseballschläger, eine Axt, eine Kettensäge. Kurz ist eine Pistole zu sehen. Der Frontmann, als einziger mit roter Sturmhaube, rappt mit aggressiven Gesten in die Kamera: „Tod dem Faschismus“, heißt es. Es gelte, in Göppingen die Faschisten von der Straße zu jagen. Am Ende ist eine Stimme aus dem Off zu hören: „Mit Faschisten diskutiert man nicht, man tötet sie.“

Einen Monat, bevor im Oktober 2013 Nazis durch Göppingen marschieren wollten, war der Film von der jetzt im Januar aufgelösten Gruppe namens Red Anarchist Skinheads Stuttgart (RASH) als Mobilisierungsvideo für eine Gegendemo der Antifa auf der Internetplattform Youtube veröffentlicht worden. Im Betreff hieß es: „Kommando Mike S. kein Meter“. Bei dem Namenspatron handelt es sich um einen per Haftbefehl gesuchten Mann aus dem Umfeld der RASH.

LKA ermittelt auf Facebook

Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das Video rufe zu schweren Straftaten auf. Doch die Ermittlungen verliefen stockend. Wer den Film bearbeitet und hochgeladen hatte, konnte vom Landeskriminalamt (LKA) trotz großem Aufwand nicht geklärt werden. Auch die Protagonisten blieben unerkannt. Mit einer Ausnahme: bei dem Frontmann mit der roten Sturmhaube handle es sich um einen 30-jährigen Studenten aus Schwäbisch Gmünd. Dass das Video dort entstanden sein könnte, war dem Kommentar eines Insiders zu entnehmen. „Liebe Gmünder“, postete der. Das Video sei „unterste Schublade“.

Beim Prozess vor dem Gmünder Amtsgericht, wo sich der 30-Jährige nun wegen der Aufforderung zu Straftaten verantworten musste, präsentierte der ermittelnde LKA-Beamte weitere Indizien. Demnach sei der Angeklagte auf der Facebook-Seite von Mike S. auf einem offenbar in Schottland entstandenen Foto zu erkennen. Der Frontmann im Video trägt eine Sporthose des Fußballclubs Celtic Glasgow. Zudem verglich das kriminaltechnische Institut des LKA die Augenpartie des Sängers mit dem Angeklagten und fand „viele Übereinstimmungen“. Festlegen wollte sich der Experte aber nicht. Dazu reiche das vorgelegte Bildmaterial nicht aus.

Der Angeklagte sagt kein Wort

Wer das längst abgeschaltete Video im Gerichtssaal sah, konnte immerhin eine Übereinstimmung der sehr charakteristischen Körperhaltung von Sänger und Angeklagtem erkennen. Dennoch räumte der Staatsanwalt ein, dass „die Indizien zwar für eine Anklage, aber nicht für eine Verurteilung“ ausreichten. So sah es auch der Richter. Der Verteidiger hatte die Vorwürfe ohnehin zurückgewiesen. Der Angeklagte äußerte sich nicht. Ob er befürchtete, dass seine Stimme erkannt werden könnte, ist Spekulation.

 

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Kommentar zum Antifaprozess Linker Corpsgeist
Von Eberhard Wein 06. März 2015 - 10:31 Uhr

Die Ermittlungen der Polizei in der Antifaszene gleichen einem unwürdigen Katz-und-Maus-Spiel, das nicht zu gewinnen ist. So bleiben die Ausschreitungen in Göppingen weitgehend ungesühnt, stellt StZ-Redakteur Eberhard Wein fest.

 


Es ist ausgegangen, wie schon so oft. Eine Vielzahl an Verfahren hat die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den gewalttätigen Demonstrationen gegen die Göppinger Naziaufmärsche der Jahre 2012 und 2013 angestrengt. Sie hat Strafbefehle erlassen und Anklagen formuliert. Doch wenn es vor Gericht ging – und das war auch bei den Strafbefehlen aufgrund von Einsprüchen häufig der Fall –, war der Ertrag mager. Die Verurteilungen lassen sich an einer Hand abzählen. Eine Einstellung gegen eine kleine Geldauflage durfte mancher Ankläger schon als Erfolg gewertet haben. Oft gab es Freisprüche wie auch jetzt in Schwäbisch Gmünd, wo es um ein ziemlich widerwärtiges, zumindest aber pubertäres Mobilisierungsvideo ging.

Keine Hilfe von Zeugen

Hat sich die Polizei in ihrem Ermittlungseifer gegen die Linken verrannt? Manches Mal konnte man bei den Prozessen diesen Eindruck gewinnen. Doch das ist höchstens die halbe Wahrheit. Tatsächlich stießen die Ermittler vor allem deshalb an Grenzen, weil sie bei ihrer Arbeit nicht auf Zeugen bauen konnten. Dabei teilen nicht alle Sympathisanten die Auffassung, dass beim Kampf gegen Nazis jedes Mittel legitim ist. In einschlägigen Foren und bei Treffen wird heftig gestritten. Doch diese Meinungsverschiedenheiten führen nicht dazu, dass Hinweise auf Straftaten und Straftäter gegeben werden. Es herrscht ein Corpsgeist, den man sonst eher auf der anderen Seite des politischen Spektrums erwartet hätte.

So münden die Bemühungen der Polizei zwangsläufig in einem unwürdigen Katz-und-Maus-Spiel, das nicht zu gewinnen ist. Auch im vorliegenden Fall hieß es am Ende: im Zweifel für den Angeklagten. Damit profitiert er von einem wesentlichen Grundsatz des Rechtsstaats, über den sich weite Teile der Antifa sonst so selbstgerecht hinwegsetzen.