Marburger Burschenschaft: Radikalisierung befürchtet

Die Marburger Burschenschaft Germania übernimmt den Vorsitz ihres extrem rechten Dachverbands. Experten befürchten eine weitere Radikalisierung. 

Von Martín Steinhagen

 

Im Dunkeln stehen Männer in Anzügen mit Fackeln in der Hand im Kreis, in ihrer Mitte ein aus Zweigen geflochtenes Keltenkreuz. Im Feuerschein sind die Mützen und Bänder zu erkennen, die sie als Mitglieder einer Studentenverbindung ausweisen. Was nach längst vergangenen Zeiten klingt, hat sich vor gut einem Jahr in Marburg zugetragen. Fotos, die diese „Sonnenwendfeier“ in Szene setzen, finden sich auf der Facebook-Seite der Marburger Burschenschaft Germania. Die schlagende Studentenverbindung hat im Januar den Vorsitz im Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) übernommen. Sie repräsentiert ihn ein Jahr lang nach außen und leitet den nächsten „Burschentag“. Beobachter gehen davon aus, dass der extrem rechte Verband mit der Wahl der hessischen Burschenschaft – nach eigenen Angaben „mit überwältigender Mehrheit“ – seine Radikalisierung fortsetzt.

An der Frankfurter Universität spielen Studentenverbindungen traditionell keine prägende Rolle. Rund 20 aktive Korporationen gibt es in der Stadt, darunter einige katholische Verbindungen, Turnerschaften und sieben schlagende Bünde.

 

  

Die politische Ausrichtung der Aktiven der Germania ist auf ihrer Facebook-Seite unschwer zu erkennen. Vom „Heldengedenken“ ist dort die Rede, mit dem an die deutschen Soldaten der zwei Weltkriege erinnert wird. Ein blutendes Männergesicht nach einem Fechtkampf ist samt einer Ernst-Jünger-Passage abgebildet. Zu Fotos im Fackel- oder Kerzenschein werden einschlägige deutsch-nationale Dichter zitiert. Die Pegida-Demos feiern die Burschenschafter als Protest gegen „Überfremdung“.

 

Auch personell gibt es Verbindungen in die rechte Szene. Beim jährlichen Stelldichein der Marburger Studentenverbindungen, dem „Marktfrühschoppen“, feierten die „Germanen“ im vergangenen Jahr Berichten der Oberhessischen Presse zufolge gemeinsam mit Burschenschaftern der Danubia München und der Dresdensia Rugia aus Gießen, die ebenfalls Mitglied der DB sind und vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Philip Stein ist aktives Germania-Mitglied und Autor des Verlags der neurechten Jugendzeitschrift „Blaue Narzisse“, die in dem Haus der Burschenschaft in der Marburger Lutherstraße auch ein Redaktionstreffen abgehalten hat. Zu Gast sind auch Referenten aus Kreisen der Neuen Rechten gewesen, wie Erik Lehnert, Geschäftsführer des „Instituts für Staatspolitik“, das als Thinktank der Szene gilt und von Götz Kubitschek mitbegründet wurde. Die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag hat sich in ihrer bisher unbeantworteten großen Anfrage zu regionalen rechtsextremen und neonazistischen Strukturen auch danach erkundigt, ob die Marburger Germania durch Sicherheitsbehörden beobachtet wird.

 

Dass die DB auf ihrem „Burschentag“ die Marburger Germania als Vorsitzende gewählt hat, lässt vermuten, dass der Verband von seinem Rechtskurs nicht abrückt. Die Marburger übernehmen die Leitung jedoch in Krisenzeiten: Die DB verliert Mitglieder, da einige Bünde mit dem Verband nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollen. 2011 machte die Vereinigung, der nur noch rund 60 Burschenschaften angehören sollen, Schlagzeilen mit dem in der Presse als Forderung nach einem „Ariernachweis“ bezeichneten Antrag: Einige Mitglieder wollten nicht hinnehmen, dass eine Mannheimer Burschenschaft einen deutschen Staatsbürger mit chinesischen Eltern aufgenommen hatte. Auch auf den folgenden Burschentagen konnte man sich hier nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, die Mannheimer sind inzwischen ausgetreten. Bei Flügelkämpfen setzten sich in der Vergangenheit aber immer wieder die Rechten durch.

Gefährliche Omnipotenzfantasien

„Der völkische Nationalitätsbegriff ist zentraler Bestandteil der Ideologie der DB“, sagt die Gießener Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth. Das Bekenntnis dazu erkennt die Expertin für Studentenverbindungen auch auf der Homepage der Germania, wo die Zugehörigkeit zum „deutschen Volk“ als Aufnahmekriterium genannt wird.

 

Seit langem sehen Kritiker Burschenschaften als Organisationen, die für Austausch und Vernetzung zwischen Rechtskonservativen und Neuer Rechten sorgen. „Die Linie hat sich aber offenbar weiter verschoben“, sagt Kurth. Es bestehe die Gefahr, dass es zu einer Öffnung auch zur militanten Neonaziszene komme. Nicht zuletzt die Ästhetik der Facebook-Seite der Germania ist für Kurth ein Indiz für eine solche Entwicklung. „Dort treten sie stellenweise fast auf wie eine Neonazi-Kameradschaft“, sagt sie über die Bilder und Postings. „Auch wenn diese kitschig wirken, sind sie Ausdruck gefährlicher Omnipotenzfantasien.“ Die Burschenschafter verstünden sich als rechte Elite. Bei Facebook schreiben sie über sich selbst, „jene Männer sein zu wollen, die an der Spitze einer Bewegung stehen, welche sich stets und unerschütterlich für das Wohl unseres Volkes eingesetzt hat“.

 

Die Rechtslastigkeit der 1868 gegründeten Burschenschaft hat indes durchaus Tradition. In Marburg beantragte eines ihrer Mitglieder 1926 die Zulassung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes an der Universität, heißt es in einem von der Marburger Geschichtswerkstatt und dem Asta herausgegeben Band. Mitte der 1980er Jahren seien „Germanen“ an der Gründung der Studentenorganisation und eines Marburger Ortsverbands der „Republikaner“ beteiligt gewesen. Vor einigen Jahren hatte die Burschenschaft nach FR-Informationen Nachwuchsprobleme, nun scheint sie wieder zum Anlaufpunkt für rechte Studenten geworden zu sein.

 

„Für die weitere Entwicklung wird entscheidend sein, wie die Alten Herren reagieren“, sagt Kurth. Ob sie den politischen Kurs der Studenten weiter mittragen, ist noch nicht abzusehen. Bei der Dresdensia Rugia aus Gießen waren i Mitglieder ausgetreten, etwa als die Kontakte zur NPD öffentlich wurden.

Zu den Alten Herren der Germania sollen nach eigenen Angaben rund 200 ehemals aktive Burschenschafter gehören. Sie finanzieren den Bund nach ihrem Studienabschluss und sind bei Feiern zu Besuch. Zum Verhältnis von Alten und Jungen könne er keine Auskunft geben, sagt der Vorsitzende des ehemals als gemeinnützig anerkannten Hausvereins „Gesellschaft Germanenhaus Marburg“, ein Frankfurter Anwalt, auf Anfrage. Der Vorsitzende der Alten Herren, der dafür zuständig sei, war für eine Stellungnahme aber nicht zu erreichen. Auch die aktiven Burschenschafter wollten sich schließlich gegenüber der FR nicht äußern. Der Oberhessischen Presse erklärte ihr Sprecher Philip Stein: „Mit Kritik, die sachlich vorgetragen wird, setzen wir uns auseinander.“

In Marburg stehen die „Germanen“ nicht gerade selten in der Kritik. Die Stadtverordnetenversammlung will DB-Mitgliedern keine städtischen Räume mehr vermieten, manch andere Studentenverbindung meidet den Kontakt, immer wieder wird gegen sie protestiert oder es werden Mitgliueder „geoutet“.. Auch zu handgreifliche Auseinandersetzungen ist es gekommen. Vor etwa einer Woche sollen vor den Häusern der Germania und der Burschenschaft Rheinfranken, ebenfalls DB-Mitglied, Böller geworfen und zwei Männer angegriffen worden sein, meldet die Polizei. Für den heutigen Samstag rufen linke Gruppen unter dem Motto „Nazivilla Germania dichtmachen“ zu einer Demo auf. Die Stadt Marburg, in der drei DB-Mitgliedsbünde ansässig sind, „ist nicht stolz darauf“, dass einer von ihnen nun den Vorsitz innehat, sagt Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD). „Ich würde mich freuen, wenn die Burschenschaften der DB grundsätzlich von ihrem Weg der Ewiggestrigen Abstand nehmen würden – aber da hat sich die Germania in der Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert.“