Rechtsradikales Aufbegehren in Magdeburg

Erstveröffentlicht: 
06.01.2015

Mehrere Vorfälle vom vergangenen Wochenende alarmieren die Polizei: Macht ein neuer extremistischer Anführer auf sich aufmerksam?

 

Von Klaus Wallbaum

Magdeburg. Ist das ein Zufall - oder eine ganz bewusste Provokation von Rechtsradikalen? Am vergangenen Wochenende gab es drei Ereignisse im Polizeibericht der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt Magdeburg, die aufhorchen lassen: 20 Mitglieder einer Gruppe springen auf die Tanzfläche einer Diskothek, als das Lied "lieber bunt als braun" angestimmt wird. Sie zeigen den Hitlergruß, drängen einige Gäste zur Seite, fangen an zu prügeln.


Dann geht es weiter: Die Polizei erteilt Platzverweise, einige Mitglieder der Gruppe steigen in einen Bus und fahren ins Stadtzentrum. Unterwegs pöbeln sie vier Fahrgäste an, die aus dem Irak kommen. Als sie am Hauptbahnhof ankommen, ist wieder die Polizei dort. Es kommt zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, einige Polizisten werden tätlich angegriffen. Gestern, am Montag, gingen die Ermittler noch einem weiteren Hinweis nach: In Gommern, 20 Autominuten von Magdeburg entfernt, musste einen Tag vorher, am Sonnabend, ein Fußballturnier abgebrochen werden. Ein Spieler, der zuvor eine Gelbe Karte erhalten hatte, war auf einen Fan der gegnerischen Mannschaft losgegangen und hatte ihm ins Gesicht geschlagen. Der Schiedsrichter wurde bedroht, eine Schlägerei war entstanden. Wieder sollen rechtsextreme Parolen gerufen worden sein. Als der Turnierleiter später über die Ereignisse berichten soll, stammelt er nur noch - ein derart brutales Auftreten habe er bisher noch nie erlebt.


Diese Häufung lässt vermuten, dass die Täter ganz gezielt aufgetreten sind. Sie wollten von sich reden machen. Nun gibt es in vielen Städten Sachsen-Anhalts rechtsradikale Jugendgruppen, die immer wieder unangenehm auffallen. Die Vorfälle in Magdeburg aber stechen hervor, weil sich hinter ihnen merkwürdige Strukturen abzeichnen. Der Verdacht erhärtet sich, dass die Täter Mitglieder der Schlägertruppe Blue White Street Elite (BWSE) sind. Schon vor Jahren fiel diese Gruppe unangenehm auf, weil sie bei Auswärtsspielen des 1. FC Magdeburg Streit und Prügeleien angezettelt hatte - oft in Verbindung mit rechtsradikalen Parolen und Hetzbotschaften. 2008 verhängte der damalige sachsen-­ anhaltinische Innenminister Holger Hövelmann (SPD) ein Verbot der Gruppe, das aber aus formalen Gründen 2010 vom Oberverwaltungsgericht wieder aufgehoben wurde. 2013 machte die BWSE Schlagzeilen, weil einige ihrer Mitglieder einen linksgerichteten Jugendlichen entführt und geschlagen haben sollen. Der Verfassungsschutz spricht von einem "starken Männlichkeitskult" in dieser Vereinigung. Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU) sagt auf die Frage, ob man einen neuen Versuch zum Verbot der BWSE unternehmen sollte: "Das ist eine juristische Frage. Ein neuer Anlauf braucht neue Erkenntnisse."


Aber die Sicherheitsbehörden sind zusätzlich aufgeschreckt - denn bei den Aktionen der Schläger in Magdeburg war offenbar jemand dabei, der sich zur Leitfigur der rechtsradikalen Szene entwickeln könnte: Dennis Wesemann, ein Mann von Ende 20, ist nicht nur der Anführer der BWSE, er hat in den vergangenen Monaten auch Querverbindungen aufgebaut. Angeblich soll er selbst der Spieler gewesen sein, der bei dem Hallenturnier in Gommern ausgerastet ist. In Stresow, einem kleinen, 30 Autominuten von Magdeburg entfernten Dorf, ist Wesemann Mitinhaber einer T-Shirt-Druckerei, die Bekleidung für die rechtsradikale Szene im Internet verkauft.


Stresow hat 130 Einwohner, jeder vierte Wähler kreuzte bei der Landtagswahl 2011 die NPD an. Vor einem halben Jahr waren Kommunalwahlen, und ein Kandidat erzielte spontan die größte Zustimmung im Dorf - Dennis Wesemann, der 71 von 124 abgegebenen Stimmen erhielt. Vom "starken Mann von Stresow" war daraufhin bundesweit in einigen Medien die Rede - und davon, dass eine Nachbarin Wesemann als sympathischen jungen Mann mit guten Manieren beschreibt. Kurzzeitig wurde spekuliert, er könne sich als Orts­bürger- meister wählen lassen. Dann gab es Hinweise, dass er womöglich den leer stehenden Kindergarten im Ort kauft und zu einem Schulungszentrum für Neonazis umbauen will. Manchmal scheint es, als finde Wesemann Gefallen daran, mit solchen Botschaften Unruhe zu stiften. Das steigert die Aufmerksamkeit.


Neue Anhänger findet Wesemann über den Fußball. Dabei ist es nicht die BWSE allein. Der Mann aus Stresow hat mit einigen Freunden den FC Ostelbien Dornburg e.V. als Fußballverein gegründet - und sich eine Beteiligung an den Kreismeisterschaften erstritten. Über diesen Verein ist es der Gruppe nun gelungen, direkt in das Fußballgeschehen in Sachsen-Anhalt einzugreifen - wie jetzt auf brutale Weise beim Hallenturnier in Gommern. Wese­­- mann, der ein guter Torschütze sein soll, trägt auf seinem Shirt die Rückennummer 18. In rechtsextremen Kreisen stehen die Ziffern für den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet. Das sind A und H, die Initialen von Adolf Hitler.


Die Ermittlungen der Polizei zu den Vorgängen am Wochenende ziehen sich unterdessen hin. "Es wird noch einige Tage dauern, bis wir hier Klarheit haben", sagt Sprecher Marc Becher.