Fachkongress diskutiert kontrovers über den Linksextremismus in Berlin

Erstveröffentlicht: 
17.12.2014

17. Dezember 2014 – Presseinformation zum Symposium:
Mehr als 100 Gäste aus Wissenschaft, Politik, Medien und Gesellschaft haben heute während des Symposiums „Linksextremismus – Herausforderung für unsere Demokratie“ im Berliner Technikmuseum über die unterschiedlichen Facetten dieses Phänomens diskutiert.

 

Innensenator Frank Henkel betonte zur Eröffnung der Ganztagesveranstaltung, dass sich bei der Bekämpfung des Extremismus alle Gesellschaftsbereiche angesprochen fühlen sollten: „Extremismus – unabhängig von seiner ideologischen Ausrichtung – geht uns alle. Er ist ständig da, bedroht unsere demokratischen Werte und will unser politisches System überwinden. Deshalb ist Extremismus nie hinnehmbar, seine Bekämpfung eine gemeinsame Aufgabe von Staat und Gesellschaft!“

 

Zudem wies er auf die stark angestiegene Zahl der linken Straf- und Gewalttaten hin. So ist die Zahl der Gewaltdelikte im Bereich der „Politisch motivierten Kriminalität-links“ (PMK-links) in der ersten Jahreshälfte 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 68 Prozent von 143 auf 241 Fälle gestiegen. Senator Henkel: „Die Qualität der begangenen Taten zeigt, dass die Anhänger des aktionsorientierten linken Spektrums zu brutalen Übergriffen und Anschlägen bereit sind.“ Allein im Zeitraum Juli bis Oktober wurden 57 Gewaltdelikte im Bereich der „Politisch motivierten Kriminalität-links“ erfasst, die sich gegen Angehörige bzw. Einrichtungen oder Ausrüstungsgegenstände der Berliner Polizei richteten.“ Doch eines sei ganz klar: „Egal wie Linksextremisten ihre Straf- und Gewalttaten zu legitimieren versuchen, egal welche Begründungszusammenhänge sie vorgeben, in unserer Stadt ist kein Platz für Hass, Intoleranz und Gewalt!”

 

Der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes Bernd Palenda wies darauf hin, dass die linksextremistische Szene sich derzeit in einer Umbruchphase befände. Auflösungen und Verschmelzungen von führenden linksextremistischen Organisationen führten zu einer kritischen Gemengelage: Die Szene verfolgt zwei gegensätzliche Ziele: einerseits verfolgt sie einen militanten Aktionismus in Kleingruppen, andererseits ist sie an einer breiten Anschlussfähigkeit orientiert. Bernd Palenda: „Zunehmend scheint sich ein Teil dieser linksextremistischen Szene zu radikalisieren. Diese Entwicklung beobachten die Sicherheitsbehörden mit großer Aufmerksamkeit.“

 

Eine kritische Sicht auf die von Verfassungsschutzbehörden verwendete Definition des Linksextremismus warf der Parteienforscher Richard Stöss. Er benutze diesen Begriff gar nicht, da er als analytische Kategorie ungeeignet und nicht klar definiert sei. Auch herrsche Unklarheit zwischen den Ländern und dem Bund, welche Objekte dem Linksextremismus zuzurechnen und zu beobachten seien. Er plädiere dafür, „die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden auf die Beobachtung von solchen Organisationen zu konzentrieren, die erkennbar aggressiv-kämpferisch und destruktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.“

 

Udo Baron vom Verfassungsschutz Niedersachsen betonte hingegen die Notwendigkeit einer klar feststehenden Definition: Linksextremismus sei die „Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, welche die Normen und Regeln eines modernen demokratischen Verfassungsstaates ablehnen und diesen durch eine egalitäre Gesellschaft ersetzen wollen.“ Vor allem Autonome definierten sich aber vor allem darüber, was sie nicht wollen und nicht über das, was sie wollen. Von einem neuen Linksterrorismus könne aber aktuell nicht die Rede sein. Entsprechende Strukturen und ideologische Ziele gebe es aus Sicht des niedersächsischen Verfassungsschützers derzeit nicht. Die Sicherheitsbehörden müssten aber erkennbare Radikalisierungen im Blick haben und diesen entgegen wirken.

 

Die Erscheinungsform des Linksextremismus habe sich in den vergangenen Jahren geändert, betonte Hamburgs Polizeivizepräsident Reinhard Fallak. Bei Demonstrationen gehe die Szene immer professioneller vor. Die Hamburger Polizei stelle vermehrt eine Blockbildung von extremistischen Personen fest. Die Polizei der Hansestadt war in den vergangenen Jahren mehrfach Opfer schwerster Gewalt von links. Beispielhaft seien die Angriffe gegen die Beamten der Davidwache im Dezember 2013 gewesen. Aber auch im August diesen Jahres war es zu zum Teil lebensbedrohlichen Übergriffen auf die Polizei gekommen. Fallak: “Linksextremisten geht es um die Schaffung von rechtsfreien Räumen.” Die Polizei sei Symbol der abgelehnten Ordnung und somit legitimes Ziel von Gewalt. “Gewalt als Mittel zur Befreiung.”

 

Während der von Alexander Marguier vom Cicero moderierten Podiumsdiskussion zum Thema „Linksextremismus im Gewand bürgerlicher Interessenartikulation“ schilderte Jörn Hasselmann vom Berliner Tagesspiegel seine persönlichen Erfahrungen mit Bedrohungen durch Linksextremisten. Er habe selbst als Berichterstatter während einiger Demonstrationen einen deutlichen Hass auf die Polizei und auf Journalisten erlebt. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung beklagte, dass politische Bildung auch zum Thema Linksextremismus an Schulen zu wenig stattfände. Teile des Themenkomplexes seien noch zu wenig erforscht. Es gebe auch zu wenig Projektträger, die in diesem Feld agierten.

 

Stefan Reinecke von der tageszeitung “taz” hob hervor, dass sich aus seiner Sicht die Öffentlichkeit nicht zu wenig mit dem Phänomen Linksextremismus beschäftige. Es sei angemessen, dass dem Rechtsextremismus mehr Aufmerksamkeit gewidmet werde.


Hans-Gerd Jaschke von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin betonte, dass es zu den Inhalten und Themen von Linksextremisten reichlich Forschungsliteratur gebe, zu dem Begriff des Linksextremismus jedoch nicht. Er plädierte dafür, offener an Autonome heranzutreten, um weitere Radikalisierung zu verhindern. Gerade Jugendliche, die noch nicht fest in der Szene verankert sind, seien durchaus ansprechbar.