Behörden verkennen Pegida und lernen nichts aus NSU-Desaster

Erstveröffentlicht: 
28.12.2014

Die Linken-Abgeordnete Petra Pau kritisiert unzureichende Lehren aus dem NSU-Skandal: Im Interview warnt sie vor einer Verharmlosung der Pegida-Proteste. Die Polizei weigere sich oftmals noch immer, einen rechtsextremistisch motivierten Hintergrund zu erkennen, wenn beispielsweise Flüchtlingsinitiativen bedroht werden.

 

Die Abgeordnete Petra Pau (Linke) ist seit 2006 Vizepräsidentin des Bundestages. Zwischen 2012 und 2013 war sie als Obfrau im Untersuchungsausschuss mit der Aufarbeitung des NSU-Skandals betraut.

 

Anfang September 2013 hat der Bundestag mit großer Mehrheit den Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses und die darin enthaltenen Schlussfolgerungen für die künftige Arbeit von Regierung und Sicherheitsbehörden angenommen. Was hat sich in den vergangenen 19 Monaten verändert?


Es ist so gut wie nichts passiert, und das macht mich auch langsam wütend. Das betrifft vor allem die Mentalität in den Behörden. Ich habe den Eindruck, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz, aber auch bei der Polizei die von uns eingeforderte Sensibilität und Qualifizierung überhaupt nicht eingesetzt hat. Wenn beispielsweise Flüchtlingsinitiativen bedroht werden, weigert sich die Polizei oftmals immer noch, einen rechtsextremistisch oder rassistisch motivierten Hintergrund zu erkennen. Oder nehmen wir die aktuellen Beispiele von Pegida über Hogesa bis hin zur Bürgerbewegung Marzahn – in den Behörden wird offenbar nicht erkannt, dass von diesen Bewegungen eine Bedrohung von Menschen ausgeht, dass diese Bewegungen ganz offen eine Bedrohungsstrategie propagieren. Ich erkenne darin eine Entwicklung wieder, wie wir sie in den 90er-Jahren hatten. Damals führte das zu Morden und zu Anschlägen auf Asylbewerber und Flüchtlingsheime. Ich habe den Eindruck, dass man auch nach dem Desaster um den NSU aus diesen Vorgängen und Entwicklungen von damals nichts gelernt hat. Und das besorgt mich im Moment sehr.

 

Bleiben die deutschen Sicherheitsbehörden also auf dem rechten Auge blind?


Nach all dem, was ich im NSU-Untersuchungsausschuss erfahren und gehört habe, werde ich nie wieder sagen, dass eine deutsche Sicherheitsbehörde auf dem rechten Auge blind ist. Sie wussten sehr genau, was dort in der rechten Szene heranwächst, mit welchen Strategien sich die Rechtsextremisten beschäftigten. Umso fahrlässiger war es, wie mit diesen Informationen umgegangen worden ist. Meine große Sorge heute ist, dass sich daran nichts geändert hat.

 

Weil dieselben Leute im BfV das Thema Rechtsextremismus bearbeiten wie auch vor dem Auffliegen des NSU?


Das kann damit zusammenhängen. Mir hat es die Schuhe ausgezogen, als ich kürzlich die personellen Konsequenzen im Bundesamt nach dem behördlichen Versagen im Fall des NSU erfragte: Lediglich gegen drei Beamte wurden demnach Disziplinarverfahren geführt wegen der Vernichtung von Akten, 57 weitere BfV-Mitarbeiter, die im Bereich Rechts arbeiteten oder auch heute noch arbeiten, sind hingegen befördert worden. Weitere Fragen, die ich nach personellen Konsequenzen im Bundesinnenministerium und im BfV stellte, wurden erst gar nicht beantwortet – also muss ich davon ausgehen, es hat keine Konsequenzen gegeben.

 

Sehen auch Abgeordnete anderer Parteien das so kritisch wie Sie?


Wir ärgern uns im Innenausschuss fraktionsübergreifend über nichtssagende oder geheim eingestufte Antworten auf unsere Fragen zum Thema NSU-Aufklärung. Mit dieser Verschleierungstaktik treiben Ministerien und Behörden die Bundeskanzlerin in den Meineid. Frau Merkel hatte bei der Trauerfeier für die NSU-Opfer im Februar 2012 eine vollständige Aufklärung der Hintergründe und Verantwortlichen zugesagt. Die gibt es bis heute nicht.

 

Im Januar wird es im Innenausschuss eine Sondersitzung zum Thema NSU geben. Dazu ist Bundesanwaltschaft und BfV ein umfangreicher Fragenkatalog übermittelt worden. Worum geht es dabei?


Um sehr viele noch immer ungelöste Fragen. So etwa um die Ereignisse am 4. November 2011, als sich der NSU selbst enttarnte: Der Thüringer Untersuchungsbericht hat da viele neue Details zutage gefördert, die die Geschichte dieses Tages, wie sie bisher erzählt wurde, immer widersprüchlicher erscheinen lassen. Hinzu kommt auch die ungeklärte Rolle solcher V-Leute wie „Corelli“ und „Tarif“, deren Beziehungen zum NSU-Trio ja offenbar enger waren, als man es uns je sagen wollte.

 

Mit dem Fall „Corelli“ befasst sich doch bereits der Sonderermittler Jerzy Montag, der vom Parlamentarischen Kontrollgremium eingesetzt wurde.


Jerzy Montag soll „Corellis“ V-Mann-Akten im Bundesamt auswerten. Die Umstände seines plötzlichen Todes im vergangenen März untersucht er nicht, aber dafür interessiert sich der Innenausschuss. Doch wir warten nun schon seit vier Monaten auf das toxikologische Gutachten sowie auf Berichte über die Umstände seines Ablebens und die Asservate, die in „Corellis“ Wohnung sichergestellt wurden.

 

Brauchen wir also einen neuen NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag?


Meine Kollegen aus dem Innenausschuss und ich werden für unsere Fraktionen prüfen, wie der NSU-Komplex im Bundestag weiter bearbeitet werden muss. Inzwischen ist doch eines deutlich geworden: Der Verfassungsschutz hatte ein viel engeres Netz an Informanten rings um das Kern-Trio des NSU gespannt und damit wohl auch viel mehr Informationen über das Trio, vielleicht auch über seine Taten gehabt, als man es uns gesagt hat. Unser alter Untersuchungsausschuss sollte dumm gehalten werden. Und diese Strategie setzt sich leider gegenüber dem Innenausschuss fort. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass zumindest im Bundesamt nur ein sehr gebremstes Aufklärungsinteresse vorhanden ist. Man hat uns Abgeordnete dort zwischenzeitlich auch belogen. Und ich habe leider keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das ändert.

 

Das Gespräch führte Andreas Förster.