Zwei neue Stolperstein-Projekte

Erstveröffentlicht: 
03.01.2015

Anne Franks Stiefschwester kommt nach Leipzig Jugendliche der Schule am Adler und der Neuen Nikolaischule recherchieren in Archiven / Verlegung am 21. März geplant

 

Von Angelika Raulien
Der Kölner Künstler Gunter Demnig will am 21. März in Leipzig erneut Stolpersteine für hiesige Opfer des Nationalsozialismus verlegen. Vorarbeit dafür leisten unter anderem zwei Projekte des Erich-Zeigner-Hauses, die der Verein mit Schülern der Neuen Nikolaischule und Jugendlichen der Schule am Adler am Wickel hat.


"Letzteren geht es um den Abschluss eine Projektes, über das die LVZ schon oft berichtete. Es gilt der zehnköpfigen jüdischen Familie Rodoff aus dem Waldstraßenviertel", erklärt Frank Kimmerle vom Verein. Nach der Reichspogromnacht 1938 war es für sie in Leipzig gefährlich geworden, Rosa und Chaim Rodoff beantragten für ihre acht Kinder und sich Ausreise-Visa in die USA. "Pervers war dann, dass die Nazis lediglich drei Visa erteilten, und die Eltern von ihren Kindern drei aussuchen mussten, die ins sichere New York zu Verwandten emigrieren durften. Letztlich entschieden sie sich für den einzigen Sohn Max und die jüngsten Töchter Ruth und Miriam. Alle zurückgebliebenen Rodoffs indes kamen schon bald darauf in Konzentrationslagern um", so Kimmerle. "Für sie hatten wir mit der Schule am Adler bereits sieben Stolpersteine in Leipzig organisiert. Doch gerade an diesem Beispiel wurde deutlich, wie sehr auch Menschen, die die Nazizeit überlebt haben, Opfer waren. Auf Max, Ruth und Miriam lastete fortan der Gedanke, ,dass sie ja nur noch auf der Welt waren, weil alle anderen für sie starben'." Auf Demnigs Initiative hin sollten auch solche Menschen mit einem der kleinen Erinnerungsmale bedacht werden; soll es nun auch für Max, Ruth und Miriam Rodoff je einen Stolperstein an der Pleiße geben. Dafür wollen Schülerinnen der Schule am Adler ab 5. Januar nun erneut in die Spur gehen und Spenden sammeln.


Bei dem anderen Vereinsprojekt geht es um das Gedenken an Ernst Lewek, ab 1926 Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche. Weil sein Vater Jude war, galt er den Nazis als "Nichtarier". Überdies gehörte er dem "Pfarrer-Notbund" an, der dem Naziregime die Stirn bot. Notbund-Gründer Pfarrer Martin Niemöller hatte sinnbildlich gemeint: "Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."


Am 31. März 1935 verhafteten die Nazis Ernst Lewek, steckten ihn für einige Wochen ins KZ Sachsenburg. Er wurde von seinem Amt auch suspendiert, konnte es 1936 zunächst wieder aufnehmen, durfte aber endgültig ab 1938 nicht mehr als Pfarrer dienen. Der Grund diesmal - die jüdische Abstammung. 1944 kam Lewek ins Arbeitslager Osterode im Harz, musste da bis Kriegsende Zwangsarbeit in einem rüstungswichtigen Betrieb leisten. 1946 durfte er dann wieder Pfarrer sein - in der Leipziger Johannisgemeinde. Er starb 1953 an einem Herzleiden, das er sich in der KZ-Haft zugezogen hatte, und hinterließ seine Frau Dorothea sowie sieben Kinder.


"Seit Jahren gab es Bemühungen, auch ihn mit einem Stolperstein zu würdigen", erzählt Kimmerle. "Der inzwischen verstorbene Pfarrer Christian Führer sollte die Patenschaft übernehmen. Bei ihrer Recherche im Archiv der Nikolaikirche fanden Schüler der Neuen Nikolaischule dafür Belege." Nun halfen sie und das Erich-Zeigner-Haus dem Förderverein der evangelischen Nikolaikirche, dieses Vorhaben umzusetzen. Jener Stolperstein soll gleich der erste sein, der am 21. März um 10 Uhr verlegt wird: auf dem Nikolaikirchhof, vorm Eingang zum Pfarrhaus, dem letzten frei gewählten Wohnort Ernst Leweks.

 

"Die vielen Berichte über unsere Stolperstein-Projekte mit Jugendlichen in der LVZ haben den Weimarer Eckhaus Verlag auf uns aufmerksam gemacht. Er plant nun eine eigene Publikation dazu", erzählt Frank Kimmerle vom Erich-Zeigner-Haus-Verein. Zugleich beschere dieser Kontakt seinem Verein 2015 ein Highlight: "Eva Schloss, die Stiefschwester Anne Franks und selbst eine Überlebende des Holocaust, wird am 13. März um 18.30 Uhr bei uns in der Zschocherschen Straße 21 zu Gast sein", ist Kimmerle stolz.


Mit 15 war die österreichische Jüdin mit dem älteren Bruder und den Eltern nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Überlebt haben nur sie und die Mutter.
Später heiratete diese den Vater von Anne Frank. Eva wurde sozusagen postum Annes Stiefschwester - und sollte ihr Leben lang mit der Erinnerung an die ermordete Anne konfrontiert werden, die viel zu jung Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns geworden war.


Von Eva Schloss, heute 85 Jahre alt, erscheint in besagtem Weimarer Verlag Anfang dieses Jahres das Buch "Amsterdam 11. Mai 1944. Das Ende meiner Kindheit". Zur Leipziger Buchmesse will sie es vorstellen - nebst Abstecher ins Erich-Zeigner-Haus! A. Rau.