Gegenwärtige Situation in Shingal: "Man hat uns vergessen."

Erstveröffentlicht: 
31.10.2014

Shingal. In einem ausführlichen Gespräch mit Widerstandskämpfern und leitenden Kommandeuren der Widerstandseinheiten im Shingal-Gebirge und an der Pilgerstätte Sherfedîn, hat sich unsere Redaktion über die momentane Situation informiert.

 

In der vergangenen Nacht haben erneut Regenfälle eingesetzt, die laut der Wettervorhersage auch in den nächsten Tagen anhalten sollen. Nur wenige der über 7.000 Zivilisten im Gebirge und an der Pilgerstätte Sherfedîn haben Zelte, unter denen sie unterkommen können. Die meisten suchten Schutz unter Felsvorsprüngen und Einbuchtungen im Gebirgsmassiv, es fehlt jedoch an wärmender Kleidung. Viele hundert der Zivilisten sind erkrankt oder leiden an chronischen Erkrankungen, eine medizinische Versorgung ist nicht gegeben.

 

Trinkwasser sowie Nahrungsvorräte werden immer knapper. Schon vor einer Woche war man gezwungen, die Essensrationen zu halbieren und möglichst wenig Wasser zu verbrauchen. Problematisch ist jedoch, dass die Widerstandskämpfer einen hohen Energiebedarf haben, es aber an ausreichend Vorräten fehlt. Hilfslieferungen per Helikopter kommen nach wie vor nur sporadisch im Gebirge an und können nur wenige hundert der Zivilisten mit dem Nötigsten versorgen. Immer wieder fällt der einzige Stromgenerator aus, sodass selbst die Zubereitung von Brot erschwert wird.

 

Im Gesamten hat sich die Situation also aufgrund der Regenfälle verschlechtert. “Ich glaube, man hat uns vergessen”, äußerte einer der Widerstandskämpfer in Sherfedîn. Man sei äußerst besorgt um die “katastrophale” Lage der Zivilisten, von denen die Mehrheit Kleinkinder, Jugendliche und Ältere sind.

 

Zusammenstöße und Gefechte mit den IS-Terroristen haben sich in den letzten Tagen verringert. Im Süden kam es teilweise jedoch zu schweren Kämpfen, so etwa in Solakh, wo HPG/PKK und YBŞ Kämpfer im Laufe einer Operation 18 IS-Terroristen getötet haben. Nahe Sherfedîn haben sich Scharfschützen der Terrormiliz in Stellung gebracht und versuchen die Êzîden mit der Zerstörung von Häusern und Versorgungssystemen in der nächstgelegenen Gemeinde Borik zu provozieren und so aus der Deckung zu locken.

 

Luftschläge im Süden sowie im Osten des Gebirges verschafften den Kämpfern etwas Luft. Bei einem Angriff der Koalitionsstreitkräfte wurde gestern südlich des Shingal-Gebirges, nahe der zweitgrößten Zementfabrik des Iraks, ein IS-Konvoi zerstört. Dabei sollen fünf Fahrzeuge der Terroristen zerstört worden sein, die Nachschub an die Front in die Stadt Shingal transportieren sollten.

 

Die Widerstandskämpfer sehen sich in ihrem Kampf im Stich gelassen. Alleine und nur mit wenig Hilfe von außen, verteidigen sie die letzte Stellung in Sherfedîn und verhindern ein Eindringen der Terroristen in das Gebirge. Auch wenn die Situation derzeit ruhig erscheint, könnte jederzeit eine weitere Offensive der Terroristen beginnen und die Zivilisten in Gefahr bringen. Ein abermals angekündigter Vorstoß der Peshmerga-Armee zur Befreiung Shingals ist noch nicht angelaufen.