Die Geschichte hinter dem Song »Solo le pido« von Mercedes Sosa

Erstveröffentlicht: 
19.01.2010

Protestsong

Im Sommer 1982 tritt Mercedes Sosa im ausverkauften Opernhaus von Buenos Aires auf. Die Zuschauer jubeln begeistert, als sie den Song »Solo le pido a Dios« anstimmt. Ihr Anti-Kriegs-Lied ist eine Protesthymne gegen die Militärdiktatur.


Im Frühjahr 1976 kehrt die dunkle Zeit nach Argentinien zurück. Am 24. März putscht sich das Militär an die Macht. General Jorge Rafael Videla übernimmt als Chef der Junta das Amt des Staatspräsidenten. Schon wenige Tage nach der Machtübernahme wird klar, dass diese Militärregierung gefährlicher ist als alle anderen, die Argentinien in seiner Geschichte zuvor schon erlebte: Die Generäle wollen die starke linke Opposition physisch vernichten. Hunderttausende protestieren in den Jahren zuvor auf den Straßen des achtgrößten Staates der Erde. Sie streiten für niedrigere Essenspreise, kämpfen für bessere Bildung und streiken für höhere Löhne. Die radikalen Flügel der Bewegung organisieren sich in revolutionären Organisationen. Die Bewegung griff von den Studierenden auf die Arbeiter über - das Land schien für die Herrschenden »unregierbar«.

Die Machteliten wollen »Ruhe im Land« und fordern die »Wiederherstellung der alten Ordnung« - egal wie. General Luciano Benjamín Menéndez droht unmittelbar vor dem Putsch: »Wir werden 50.000 Menschen töten müssen: 25.000 Subversive, 20.000 Sympathisanten, und wir werden 5000 Fehler machen«. In den nächsten sieben Jahren folgen den harschen Worten schreckliche Taten. Zehntausende werden ohne Haftbefehl verschleppt, jahrelang ohne Prozess festgehalten, gefoltert und ermordet. Die perfideste Methode der Sicherheitskräfte ist das »Verschwinden lassen«: Linke, Gewerkschafter, Künstler, Studierende werden auf offener Straße oder aus ihren Häusern entführt und ermordet. Dann werden sie an geheimen Orten in Massengräbern verscharrt oder von Flugzeugen aus in den Rio de la Plata geworfen. Laut offiziellen Angaben erlitten fast 9000 Menschen dieses Schicksal. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der »Verschwundenen« auf 30.000.

Aber es finden nicht nur Massenmorde statt. Die Militärregierung und die Unternehmer organisieren den größten Sozialabbau der argentinischen Geschichte. Die Militärjunta formuliert in ihrem Wirtschaftsprogramm jene Vorstellungen, die später unter dem Begriff »Neoliberalismus« weltweit zur Wirtschaftsdoktrin werden. Gerade erkämpfte Lohnerhöhungen werden wieder beseitigt, öffentliche Betriebe privatisiert und Hunderttausende entlassen. Gleichzeitig rüsten die Generäle die Armee auf und drohen Chile mit einem Krieg um ein paar kleine Inseln im Beagle-Kanal. Trotz allem findet 1978 die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien statt. In seiner Eröffnungsansprache erklärt General Videla: »Willkommen in diesem Land des Friedens, der Freiheit und der Gerechtigkeit!«

Im selben Jahr veröffentlicht der junge Muisker León Gieco seine Platte »IV«. Das erste Lied auf der LP spricht aus, was viele in Argentinien denken. »Solo le pido a Dios» ist eine Anklage gegen die Brutalität der Putschisten und eindringlicher Aufruf sich nicht einschüchtern zu lassen.


Sólo le pido a Dios / que el dolor no me sea indiferente, / que la reseca muerte no me encuentre / vacío y solo sin haber hecho lo suficiente.

(Nur das Eine erbitte ich von Gott / dass das Leiden mich nicht gleichgültig lässt, / dass der bleiche Tod mich nicht findet, / leer und einsam bevor ich nicht genügend tun konnte.)

Sólo le pido a Dios / que lo injusto no me sea indiferente, / que no me abofeteen la otra mejilla / después que una garra me arañó esta suerte.

(Nur das Eine erbitte ich von Gott / dass die Ungerechtigkeit mich nicht gleichgültig lässt, / dass sie mich nicht auf die andere Wange schlagen, / nachdem ihre Klauen mich zum Glück nur gekratzt haben.)
 
Sólo le pido a Dios / que la guerra no me sea indiferente, / es un monstruo grande y pisa fuerte / toda la pobre inocencia de la gente.

 (Nur das Eine erbitte ich von Gott / dass der Krieg mich nicht gleichgültig lässt, / dieses Furcht erregende Monstrum, / das die Unschuldigen gnadenlos zertrampelt.)
 
Sólo le pido a Dios / que el engaño no me sea indiferente / si un traidor puede más que unos cuantos, / que esos cuantos no lo olviden fácilmente.

 (Nur das Eine erbitte ich von Gott / dass der Betrug mich nicht gleichgültig lässt, / falls ein treuloser Verräter an der gerechten Sache mehr erreicht als die Wenigen, / und dass diese Wenigen nicht so leicht vergessen.)

Sólo le pido a Dios / que el futuro no me sea indiferente, / desahuciado está el que tiene que marchar / a vivir una cultura diferente.

 (Nur das Eine erbitte ich von Gott / dass die Zukunft mich nicht gleichgültig lässt, / und dass ich auch die nicht aufgebe, dass ich auch an die denke, / die sich aufgemacht haben, weil sie anders leben wollen.)


Als León Gieco den Song in seinem Exil in Los Angeles 1978 komponiert, ist Mercedes Sosa bereits eine Berühmtheit - nicht nur in Argentinien. Sie selbst schreibt keine Lieder. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie ein unbändiges Vergnügen am Singen hat. Die richtigen Songs dafür findet sie bei den unterschiedlichsten Liedermachern in ganz Lateinamerika. So auch bei León Gieco und seinem »Sólo le pido a Dios«. Die Junta versucht, auch Sosa zum Schweigen zu bringen. 1979 wird sie bei einem Konzert mitsamt ihrem Publikum verhaftet. Aus Angst vor den Reaktionen der Öffentlichkeit im In- und Ausland wird sie nach einigen Stunden mit der Auflage freigelassen, das Land zu verlassen.

Die Junta fürchtet die politische Folklore, weil es die Musik der Armen ist. Entstanden war die sogenannte Bewegung des »Neuen Lateinamerikanischen Liedes« in der Zeit, in der die kubanische Revolution die Jugend und die Intellektuellen auf dem ganzen Kontinent aufrüttelte. Abertausende strömten in den folgenden Jahren in die Konzerte der neuen Liedermacher, vor allem von Mercedes Sosa. Viele Songs lateinamerikanischer Liedermacher wurden erst populär, weil Mercedes Sosa sie sang. Die Menschen nannten sie wegen ihrer schwarzen Haare »La Negra«. Sie spielte für die Tagelöhner im Hafen von Buenos Aires, für die Männer und Frauen in den Fabriken und Schlachthöfen, für die Menschen in den Arbeitervierteln.

Als sie 1982 erstmals wieder für ein Konzert nach Argentinien zurückkehrt, ist die Diktatur angeschlagen. Argentinien erlebte die bis dahin größte Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Die Menschen verlieren langsam die Angst vor dem Terrorapparat, immer häufiger gibt es Demonstrationen und Streiks. Tausende singen mit ihr »Sólo le pido a Dios«.

Als Mercedes Sosa zwei Jahre später, im Dezember 1984, erneut im Stadion Vélez in Buenos Aires auftritt, kann sie das Lied gemeinsam mit León Gieco anstimmen. Die Menschen feiern, denn die Diktatur ist Geschichte.


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