Kurzbericht zum Politischen Donnerstag über die Situation der Flüchtlinge in Tunesien

Refugees Welcome

Gestern Abend fand im Rahmen der antirassistischen Woche in Rostock der Politische Donnerstag im Peter-Weiss-Haus zum Thema "Choucha - Flüchtlinge in Tunesien" statt. Etwa 30-40 Teilnehmer wurden von Mohamed Issa, Mitglied des Netzwerkes Afrique-Europe-Interact und ehemaligen Bewohner des Flüchtlingscamps Choucha, sowie Conni Gunßer, Menschenrechtsaktivistin und Mitglied des Flüchtlingsrates Hamburg, über die Entwicklung des Flüchtlingscamps Choucha und die gegenwärtige Situation von Flüchtlingen in Tunesien informiert.

 

Sehr lebhaft und gut nachvollziehbar schilderten die Referenten die Ängste und Lebensverhältnisse der Campinsassen. Das Camp Choucha befindet sich in der Wüste Tunesiens und nahm bis zu 20 000 Flüchtlinge, größtenteils aus Libyen auf. Conni Gunßer berichtete, dass sie selbst mit einer Delegation vor Ort gewesen sei, um sich ein Bild von der Situation der Flüchtlinge zu machen und für deren Rechte zu kämpfen. Die UNHCR, eine Organisation der Vereinten Nationen zur Überwachung der Flüchtlingsströme, eröffnte das Flüchtlingscamp Choucha im Februar 2011 und war für das sog. Resettlement-Verfahren zuständig. Dabei handelt es sich um ein Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen in den EU-Mitgliedsländern. Conni Gunßer erklärte, dass es zahlreiche Menschenrechtsverstöße bzw. fehlerhafte Verfahren bei der Auswahl der Flüchtlinge gegeben hätte. So wurde mit jedem Flüchtling ein Interview durchgeführt, welches über Aufnahme oder Nichtaufnahme im Rahmen des Resettlements-Programmes entschied. Problematisch war vor allem, dass es weder akkurate Übersetzungen noch eine rechtliche Aufklärung gab. Letztendlich sei nur eine geringe Zahl der Choucha-Bewohner nach Europa gekommen, darunter auch Mohamed Issa.

 

Nachdem das Resettlement-Programm eingestellt wurde, erklärte die UNHCR, dass es fortan eine Art Soforthilfe in Höhe von 600 000 Euro gäbe, die der lokalen Integration der Flüchtlinge in Tunesien dienen sollte. Zudem habe die Bundesregierung Tunesien Hilfe zur Überwachung der Grenzen und der Ausbildung der Polizei angeboten. Im Ergebnis versuche die EU die Grenzen dicht zu machen und eine Integration der Flüchtlinge außerhalb der EU zu fördern. Conni Gunßer erklärte jedoch sehr eindrucksvoll, warum eine solche Politik nicht sinnvoll sei. In Tunesien lebten schließlich viele Menschen in Armut, weshalb eine Bevorzugung der Flüchtlinge durch Geldzahlungen sehr viel Neid, Rassismus und Gewalt bei den Tunesiern hervorrufe. Auch Mohamed Issa erklärte, dass die Flüchtlinge sich im Choucha Camp sicherer fühlten als in den Städten Tunesiens. So seien beispielsweise etwa 30 tunesische Jugendliche vor der Wohnung einer Flüchtlingsfamilie erschienen und hätte diese in Angst und Schrecken versetzt. Flüchtlinge werden dort wie Menschen dritter Klasse behandelt. Weder die Polizei noch die einheimische Bevölkerung solidarisieren sich mit jenen Personen, die ihre Heimat aus Angst um Leib und Leben hinter sich gelassen haben. Das Gegenteil ist traurigerweise der Fall, denn das Leben solcher Flüchtlinge sei "nichts Wert, niemanden interessiere es, wenn diese Personen sterben", so etwa der Wortlaut eines tunesischen Jugendlichen über die Flüchtlinge in Tunesien. Das Camp Choucha befinde sich mittlerweile in einem desolaten Zustand und soll in absehbarer Zeit geschlossen werden. Eine Freihandelszone wird dort entstehen. Was mit den Flüchtlingen passiert bleibt unklar.

 

Insgesamt empfand ich den Vortrag als sehr informativ und durch die Power-Point-Präsentation auch sehr anschaulich. Leider werden solche Erfahrungsberichte und realitätsnahe Darstellungen viel zu selten an die Öffentlichkeit getragen. Oftmals werden in der Presse nur Dreizeiler zu solchen Themen veröffentlicht wie "Flüchtlingscamp in Tunesien wird geschlossen". Deshalb finde ich es gut, dass es Veranstaltungen wie den Politischen Donnerstag in Rostock gibt, die diesen Personen Gehör verschaffen.