Skandalurteil wegen G8 in Genua

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Nur noch sieben von ursprünglich 44 Polizisten wurden wegen folterähnlicher Misshandlungen beim G8-Gipfel 2001 in Genua verurteilt. Jetzt stehen weitere Zivilverfahren an
Ein Großteil der in erster und zweiter Instanz zu Haftstrafen verurteilten Staatsdiener kam heute in Genua glimpflich davon. Ursprünglich waren 44 Polizisten, Vollzugsbeamte und Mediziner vom Berufungsgericht wegen Autoritätsmißbrauch, Nötigung und Mißhandlung verurteilt worden. Hintergrund war das brutale Vorgehen von Polizei und Carabinieri gegen rund 300 DemonstrantInnen während der Proteste gegen das G8-Gipfeltreffen 2001.


Jetzt hat der Kassationsgerichtshof die Urteile teilweise aufgehoben. Vier Angeklagte wurden freigesprochen, bei 33 weiteren sind die Vorwürfe ohnehin verjährt. Nur noch sieben Polizisten und Vollzugsbeamte wurden überhaupt verurteilt. Ein Polizeifunktionär erhielt mit drei Jahren und zwei Monaten Haft die höchste Strafe. Jetzt ist keine Berufung mehr möglich. Letztlich hat der Gerichtshof die Urteile aus der ersten Instanz bekräftigt. Damals waren 30 Polizisten aus „Mangel an Beweisen“ freigesprochen worden, was die Richter der zweiten Instanz zunächst korrigiert hatten.

Die in Rede stehenden Vorfälle ereigneten sich in der Polizeikaserne Bolzaneto nahe Genua, in der viele DemonstrantInnen eingesperrt wurden. Unter ihnen waren auch jene 63 AktivistInnen, die nach dem Polizeiüberfall auf die als Schlafstätte dienende Diaz-Schule eine Woche lang festgehalten wurden.

Die in Bolzaneto EIngesperrten dokumentierten Schläge, Beleidigungen, systematische Demütigungen und Folter. Alle mussten stundenlang mit dem Gesicht zur Wand stehen und waren Schlafentzug, Androhung sexueller Gewalt sowie CS-Gas in den Zellen ausgesetzt. Einige wurden gezwungen, faschistische Lieder zu singen und vor Fotos des italienischen Diktators Mussolini zu salutieren. Einer der jetzt Verurteilten hat einer Aktivistin die Finger einer Hand soweit auseinander gerissen, dass die Haut einriß. Anderen wurden Finger gebrochen und Piercings ausgerissen.


Im Bolzaneto-Verfahren traten 155 Betroffene und ihre Angehörigen aus verschiedenen Ländern als NebenklägerInnen auf. Während das Berufungsgericht die Schadensersatzansprüche noch deutlich heraufgesetzt hatte, wurden diese jetzt wieder kassiert. Aus „Mangel an Beweisen“ müssen viele AktivistInnen ihre Ansprüche nun in einem Zivilverfahren geltend machen, das wieder mehrere Jahre dauern kann.

Maßgeblich für das Urteil war unter anderem, dass Italien die UN-Konvention zwar 1989 ratifizierte, das Gesetz aber nicht dahingehend angepasst hat. Es gibt also keinen Paragraphen, der Folter unter Strafe stellt. Deshalb waren im Bolzaneto-Verfahren in erster Instanz etwa „niedere Beweggründe“ und das „Fehlen eines Anlasses“ als taterschwerende Umstände abgewiesen worden. Gerade gibt es eine Initiative einiger Abgeordneter, die Verankerung von Folter im Gesetz neuerlich zu diskutieren.

Die verurteilten Polizisten werden wohl kaum ihre Haftstrafen antreten müssen. Auch die im Diaz-Verfahren Verurteilten kamen ungeschoren davon oder wurden sogar befördert. Für DemonstrantInnen gilt ein anderes Maß: Letztes Jahr wurden auch die Urteile gegen 25 AktivistInnen vor dem Kassationsgerichtshof verhandelt. Zwar wurden 15 von ihnen freigesprochen, da ihnen unter anderem Notwehr zuerkannt wurde. Das Urteil gegen zehn andere hingegen wurde  teilweise erhöht.

Zwei von ihnen, Vicenzo und Francesco, sollen bis zu 14 Jahre Knast absitzen, das abgeurteilte Vergehen nennt sich „Plünderung und Verwüstung“, in Deutschland etwa mit schwerem Landfriedensbruch vergleichbar – zuzüglich erschwerender Umstände, die laut Gericht darin bestehen, im Falle von Ausschreitungen nicht das Geschehen zu verlassen. Zum Zuge kam der sogenannte „Codice Rocco“, ein Paragraf aus der Zeit des Faschismus. Er soll Vergehen ahnden, die gemeinschaftlich begangen werden.

Vicenzo und Francesco haben es deshalb letztes Jahr vorgezogen, unterzutauchen. Allerdings wurde Francesco letzte Woche in Barcelona verhaftet. Angeblich sei eine gemeinsame Ermittlung der Polizeien Frankreichs, Italiens und Spaniens vorausgegangen. Er soll nun nach Italien ausgeliefert werden, in Barcelona gab es dazu bereits Solidaritätsaktionen. Zwei weitere Verurteilte befinden sich im Gefängnis, eine hat als Strafmilderung erreichen können, ihr kleines Kind im Hausarrest zu betreuen.