Stellungnahme autonomer Gruppen zur Freiburger Antikap-Demo am 11. Juli

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Kurzes Gedächtnis erwünscht? Kapitalismus zerschlagen!

Die Demonstration gegen Kapialismus und aus Solidarität mit den Gipfelprotesten in Italien verlief angesichts einer Mobilisierung von über 600 Leuten, vielen inhaltlichen Beiträgen, starker Präsenz in der Stadt, weit gestreuter Vermummung, dezentralem Spektakel, überregionaler Beteiligung und schönem Wetter eher erfolgreich. Politisch stellt sich nun vor allem die Frage, inwiefern nach einer relativ kulanten Polizeieinsatzleitung und eher wenig Repression während der Demo Scherben "der Sache nützen".


Vorweg: Das war kein Riot. Es gab keine krassen Auseinandersetzungen mit den Bullen, es gab laut Angaben der Bullen "keine Verletzten", nichts hat gebrannt.
Lediglich ein paar Schirme eines Cafes flogen auf die Straße, Scheiben eines Autohauses, einer Bank, eines Regierungsgebäudes und eine Leuchtreklame des Polizeireviers Nord wurden gesmashed. Auch ein Polizeibus musste einen Neuanstrich in Rosa verkraften. Auschreitungen sind was anderes, nicht mal Remmi-Demmi trifft die spontanen Aktionen der Autonomen so richtig.

Die Einsatzkräfte reagierten gewohnt brutal und nahmen mindestens zwei Genossen in Gewahrsam. Dutzende wurden kontrolliert und durchsucht.
Im Nachhinein sollte sich immer die Frage der Verhältnismäßigkeit gestellt werden: was sind ein paar Tausend Euro Sachschaden, was ist das Angreifen einer Bank und welche Symbolik trifft den wunden Punkt? Wo greift "verkürzte Kapitalismuskritik", vor der das Demobündnis im Vorfeld gewarnt hatte?
Es kann über die Sinnhaftigkeit der einzelnen Sachbeschädigungen gestritten werden, wobei so eine Leuchtreklame der Bullen weniger im Mittelpunkt stehen sollte.

Von der Symbolik waren die Angriffe eher eine Mischung aus: Scheiß Bullen, scheiß Staat, scheiß Konsum, scheiß Banken. Eigentlich ist verwunderlich, dass die Bullen kaum angegriffen wurden, vor dem Hintergrund, dass ihre arrogante Gewalt den Alltag der Menschen derart restriktiv beeinflusst. Vor dem Hintergrund, dass die Polizei mordet, abschiebt und foltert. Vor dem Hintergrund, dass sie uns überwacht und kontrolliert. Und weil sie unsere Versammlungen immer wieder brutal zerschlägt und diejenigen juristisch belangt, die sich kooperativ und vermittelnd zeigen. Der Rassismus, die Verachtung und die Willkür der Behörden bleibt täglich spürbar. Größere Vernetzungen anarchistischer Bewegung werden unter dem Vorwand der Anti-Terror-Politik zerschlagen. Global gesehen wird mit militärischen Mitteln gegen all diejenigen gekämpft, die sich gegen Staat, Kapital und Nation einsetzen.

Der Wutausbruch vom 11. Juli gliedert sich reibungslos in einen Kontext brutaler Repression durch Bullen und die Justiz ein. Dutzende GenossInnen wurden in Italien verhaftet. Es gab zahlreiche Razzien gegen autonome Strukturen.
Regional stecken denjenigen, die ihre Meinung zu äußern versuchen, immer noch traumatisierende Ereignisse in den Knochen. Da wäre die militaristische Polizeigroßübung vom 30. März in Freiburg nicht zu vergessen und der folgende Repressionsgipfel in Strasbourg anlässlich des 60. Natogeburtstages.

Erst zu Beginn der Woche wurde in Freiburg eine Genossin wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Tatsächlich wurde sie bei einer Bildungsdemo im Januar 2009 brutal von BFE-BeamtInnen festgenommen und misshandelt.

Seit Monaten laufen Ermittlungsverfahren gegen Linksradikale, die in Augen der Behörden die KTS-Demonstration mit 2.500 TeilnehmerInnen gegen das Versammlungsgesetz am 13. Dezember 2008 zu verantworten haben. Am 11. Juli 2009 gab es eine Vorladung für mindestens eine Genossin, die in Augen der Behörden für die Wagenburgaktion der Schattenparker am 6. Juni 2009 verantwortlich ist. Die Person soll bei der kreativen dezentralen Aktion gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben.


Kaum eine Freiburger Demonstration verläuft ohne Festnahmen. Ob autonome Demos oder angemeldete Aktionen, immer wieder werden Linke herausgegriffen, festgenommen und anschließend mit Verfahren überzogen. Auch direkte Übergriffe mit physischen Schäden häufen sich in letzter Zeit: Erst Ende Mai griffen BFE-Einheiten und Bereitschaftsbullen eine HausbesetzerInnendemo im Grün an. Nach der Räumung der "Freien Antonia" in der Kirchstraße am 19. Mai war es zu einer Sponti in der Adlerstraße gekommen. Nach Angriffen durch die Bullen mussten mehrere Autonome medizinisch versorgt werden, zum Teil im Krankenhaus. Einer Person wurden Zähne ausgeschlagen.

Whose Streets? Our Streets!
Die Demo stoppt, die Demo geht. Das nervt!

Zum Demoverlauf kann an sich gesagt werden: Das war ganz OK. Nach einer Rede zu G8 und Bildung ging es vom Schwabentor aus los, mit knapp 400 Leuten. Die schöne Route von Oberlinden über die Salzstraße ohne Cops und danach bis zum Martinstor in einer überfüllten Innenstadt mit sichtbaren Transpis, echt cool. Am Berti wurden weitere Reden zu Krise, Prekarität und AnarchA-Syndikalismus gehalten.

 



Dezentral gab es auch viel kreatives. Die Clowns-Army hatte zum Beispiel eine Shopping-Tour veranstaltet, als Berlusconi und Merkel verkleidete DemonstrantInnen trafen sich mit Sofa zu Verhandlungen am Konzerthaus und ein Dutzend Leute bespritzten sich mit Wasserpistolen auf dem Augustinerplatz. An der Bertoldstraße gab es eine Ausstellung und die Superhelden landeten gegen 18 Uhr mit einem geschweißten Riesenfahrrad und Technomusik auf der KaJo.

Die in allen Seitengassen stehenden Polizeikräfte hielten sich vorerst zurück, zeigten aber im Verlauf der Demonstration immer mehr Präsenz. Es war nicht viel von einer "neue Linie" zu erkennen: Vermummte und behelmte BFE-Einheiten wurden bereits am Martinstor gesichtet, was einige Autonome ebenfalls mit Behelmung beantworteten.
Zwar formte die Einsatzleitung keinen Wanderkessel, dennoch wurde ein lehrbuchhaftes "crowd-management" der nicht-konfrontativen Weise gewählt. So wurden die zahlreichen Einheiten an der Rempartstraße durch ein martialisches Aufgebot an der Schreiberstraße ergänzt um die Demo de-facto beidseitig einzuschließen.

Die Bullen ließen der Demo keine Wahl: Die gewünschte Route wurde abgelehnt, auf eine Auflösung seitens der Demoorga wurde aus taktischen Gründen dennoch verzichtet. Zu diesem Zeitpunkt wären schwere Ausschreitungen auf der KaJo inklusive viel Repression die Folge gewesen.
Ursprünglich sollte die Demonstration nach der Kundgebung zum G8-Gipfel am italienischen Konsulat über die Schreiberstraße, in Richtung Stadttheater und weiter ins Sedanviertel ziehen, um sich dort aufzulösen.

Die Polizeieinsatzleitung wollte eine absurde Route über die Baslerstraße zum Baslertor erzwingen, um dann in die Heinrich-von-Stephan Straße einzubiegen (über das Revier Süd! wo am 2.12.'05 eine Wagendemo verhaftet wurde) in Richtung Schnewlinstraße und Hauptbahnhof (Zuletzt ein 7-Fach-Spalier am 30.03.'09) zu ziehen. Die Verhandlungen zwischen Kontaktperson und den Bullen wurden vom Lautsprecherwagen durchgesagt. Es wurde sich nach einiger Zeit, unter der dringlich eingeforderten Bedingung die behelmten Spaliere mögen sich nach der Brücke zurückziehen, auf eine Route über die Baslerstraße eingelassen. Allerdings, so die Bedingung, würde die Demo dann über die Kronenstraße, durchs Wohngebiet in die Rehlingstraße laufen, um sich dann über die Schnewlinstraße in die Wilhelmstraße zu bewegen und aufzulösen.

Die Bullen ließen sich auf den Vorschlag ein. Allerdings zeigten die Bullen bis zum Ende der Baslerstraße mit starken Kräften am Rande der Demo Präsenz.
Nach einem Redebeitrag zu den Strasbourger Gefangenen an der Reiterstraße konnte wieder mit schwachem Polizeiaufgebot demonstriert werden. Auf der Schnewlinbrücke rannten jedoch erneut zahlreiche Einsatzkräfte heran, während der gesamten Demonstration hielten sich enorm viele Einsatzkräfte in den Hinterhöfen bereit.
Bei gute Stimmung und Sonnenschein wurde auf Höhe der Industrie- und Handelskammer ein weiterer Redebeitrag abgespielt. Nach einem weiteren Sprint bis zum Konzerthaus löste sich die Demo, wie abgesprochen, in der Wilhelmstraße auf.

Teile der Demonstrantion begannen danach mit einer Sponti Richtung Innenstadt, andere begaben sich ins Grün und zur Volxküche. Die durch die Laufeinlage vor Ende der Demo etwas zurückgefallenen Einsatzkräfte wurden nun über die Sedanstraße hinterhergeschickt. Viele Bullen befanden sich auch um das Konzerthaus, wo der Uni-Sommerball geschützt werden musste.
Die Sponti zog über die Belfortstraße und den Rotteckring zum Revier Nord. Dort gingen die Scheiben eines Regierungsgebäudes und das ominöse Polizeischild kaputt, etwas Mobiliar und die Scheibe einer Sparda-Bank sollten folgen.

Die gezielte Militanz gegen Privateigentum im Anschluss an eine autonome Demo gegen Kapitalismus war nicht völlig unvorhersehbar. Tatsächlich haben die Bullen jedoch darauf gehofft angesichts des Bundestagswahlkampf-Auftakts der Grünen, der Freiburger Laufnacht und des Uni-Sommerballs einen Kuschelkurs umsetzen zu können. Der ist ihnen zu Anfang gelungen und danach allmählich entglitten. Zugleich haben sie die Kontrolle gehabt und danach abrupt verloren.

Es scheint, als würde die Obrigkeit ein kurzes Gedächtnis von denen erwarten, die alltäglich unterdrückt werden. Es scheint, als würden wir den Staat und die Nation, den Kapitalismus und seine AkteurInnen immer nur beurteilen sollen, wie sie uns im Augenblick erscheinen und präsentiert werden. Tatsächlich ist das kapitalistische System jedoch als ganzes und alltägliches zu begreifen, als ein System systematischer Unterdrückung und radikaler Verlogenheit.

Mit denjenigen über Routen zu verhandeln, die uns kontrollieren müssen, ist das absolute Maximum, was eine autonome Demonstration eingehen kann. Am Samstag wurde sich an sämtliche Absprachen gehalten. Die Verhandlungen liefen auf sehr kooperativer Basis, bereits Wochen vor der Demo wurde die Bereitschaft zu verhandeln signalisiert. Trotz radikalem Anspruchs, wurde erneut auf eine "softe Linie" gesetzt. Sogar die Finte der "Schlagstöcke in der Demo" wurde als Anlass für eine Lautsprecherdurchsage genommen, um guten Willen zu zeigen - welch Fehler. Tatsächlich handelte es sich um Fahnenstangen. Bis zum Bertoldsbrunnen war alles völlig sachte verlaufen. Im weiteren Verlauf wurde die Bullenpräsenz immer weiter gesteigert, gefilmt wurde ohnehin die ganze Zeit.

Das Spektakel eines "deeskalierenden" Polizeieinsatzes steht in keinem Verhältnis zu den ständigen Übergriffen gegen die linke Szene und der Rolle der Bullen in diesem System. Wir sehen Angriffe auf Symbole dieses Systems und seine Ausführungsorgane als einen notwendigen Ausdruck unseres Antagonismus. Wir fordern einen Umsturz der Verhältnisse mit allen Mitteln.

Fest steht, dass der Aktionsverlauf diverse Folgen für die Zukunft hat. Zum einen ist mit weiterer Repression im Bezug auf die Aktion zu rechnen. Kommende Demonstrationen werden wohl kaum ohne Spalier laufen können und das Vertrauen zu den Behörden dürfte, trotz Einhaltung der Absprachen und "Auflösung der unangemeldeten Demo", hinüber sein.
Fragen wären zum Beispiel: Wollen wir ein solches Vertrauen überhaupt? Wie können wir auch in Zukunft unsere Versammlungen durchsetzen? Wie können wir auch anders als mit schwarzen Blöcken eine Demo durchsetzen? Was ist mit der Weiterentwicklung dezentraler Aktionen?

Die Demonstration hat jedenfalls gezeigt, dass es weiterhin eine entschlossene linksradikale Szene in Freiburg und der Region gibt. Welche Form der Vermittlung  wir für unsere antikapitalistischen Inhalte wählen,A bestimmen wir selbst. Politische Veränderung bleibt ein Experiment bei dessen Durchführung die Vergangenheit nie außer Betracht gelassen werden kann. Die Zukunftsgestaltung liegt immer zwischen Einflussnahme und Lethargie. Wir entscheiden uns für den Widerstand. Wir wollen die falsche Freiheit auf der Strecke lassen und nach wie vor den Kapitalismus mit all seinen Facetten überwinden.
Unsere Wut ist groß und unser Gedächtnis ist lang. Autonom und antifaschistisch in die Zukunft!

Brigate luglio-out-of-control & Aktionsgruppe langes Gedächtnis, Mitte Juli 2009