[B] Architektur außer Kontrolle?

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Das „In­sti­tut für Me­dia­les Ent­wer­fen“ der TU Braun­schweig ver­an­stal­tet vom 06.​06.​2013 bis 29.​06.​2013 im „oran­ge­lab“ am Ernst-​Reu­ter-​Platz in Ber­lin eine Aus­stel­lung “OUT OF CON­TROL_­For­ma­tio­nen kol­lek­ti­ver Räume”. Da wir uns vom Titel der Ver­an­stal­tung ir­gend­wie an­ge­spro­chen füh­len, wol­len wir ei­ni­ge Punk­te der An­kün­di­gung (kri­tisch) kom­men­tie­ren und uns hier­mit kol­lek­tiv zum Be­such im „CB.e Haus/oran­ge­lab“ ein­la­den.

 

Er­staunt haben wir im Rah­men einer phä­no­men­spe­zi­fi­schen In­ter­net-​ und Me­di­en­aus­wer­tung fest­ge­stellt, dass der Kon­troll­ver­lust und damit zu­sam­men­hän­gen­de Fra­gen of­fen­bar nicht nur für Si­cher­heits­ar­chi­tek­t_in­nen in­ter­es­sant sind. Das „In­sti­tut für Me­dia­les Ent­wer­fen“ der TU Braun­schweig ver­an­stal­tet vom 06.​06.​2013 bis 29.​06.​2013 im „oran­ge­lab“ am Ernst-​Reu­ter-​Platz in Ber­lin eine Aus­stel­lung “OUT OF CON­TROL_­For­ma­tio­nen kol­lek­ti­ver Räume”. Ge­spon­sert wird sie vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung, teach4­TU und einer „CB.e agen­tur für kom­mu­ni­ka­ti­on“.

 

Be­reits  im April fan­den dort unter dem Titel „Wem ge­hört die Stadt??“ an 7 Tagen ver­schie­de­ne Vor­trä­ge und Dis­kus­sio­nen statt. Als il­lus­te­re Gäste waren bei­spiels­wei­se der Char­lot­ten­bur­ger Be­zirks­bau­stadt­rat Marc Schul­te, die Stadt­for­sche­rin Jo­han­na Schl­aack, die Grü­nen-​Spre­che­rin für „Mie­ten und So­zia­le Stadt“ Kat­rin Schmid­ber­ger oder der da­ma­li­ge Mit­be­grün­der des Kreuz­ber­ger „Büros für Stadt­sa­nie­rung und So­zia­le Ar­beit“ und spä­te­re Raum­ord­nungs­prä­si­dent Flo­ri­an Maus­bach ein­ge­la­den. Stadt­teil­i­n­i­ta­ti­ven oder un­mit­tel­bar Be­trof­fe­ne von Zwangs­räu­mun­gen kamen hin­ge­gen nicht zu Wort. Die nun­mehr ge­wähl­te Ver­an­stal­tungs­form „Aus­stel­lung“ bie­tet viel­leicht bes­se­re Mög­lich­kei­ten für einen Dis­kurs oder eine kri­ti­sche In­ter­ven­ti­on.

Doch nun zum In­halt: Die knap­pe Ein­lei­tung der Austel­lungs­an­kün­di­gung be­zieht sich zu­erst auf das „Out of Con­trol“-​Kon­zept, wel­ches be­reits an ver­schie­de­nen Stel­len be­schrie­ben und auch prak­ti­ziert wor­den ist:

 

„Out of Con­trol“ be­schreibt ein Pro­test­kon­zept, bei dem sich die De­mons­trie­ren­den schein­bar spon­tan zer­streu­en und an an­de­rer Stel­le er­neut sam­meln. Auf diese Weise sol­len die Gren­zen zwi­schen Pro­test­zug und Um­ge­bung auf­ge­löst und die Über­wa­chung des Ge­sche­hens sys­te­ma­tisch er­schwert wer­den. Diese Ak­ti­ons­form steht in der Aus­stel­lung pa­ra­dig­ma­tisch für die Ent­wick­lung neuer Kon­zep­te des hand­lungs­ori­en­tier­ten Rau­mes, der de­zen­tral or­ga­ni­siert ist und dem Nicht-​Plan­ba­ren eine pri­mä­re Rolle ein­räumt. „Out of Con­trol“ wid­met sich der Stadt als Ort ge­mein­schaft­li­cher Ak­tio­nen im öf­fent­li­chen Raum und be­leuch­tet das Zu­sam­men­spiel räum­li­cher Ord­nun­gen und kol­lek­ti­ver Hand­lun­gen.

 

Da Plan­bar­keit und Raum­ord­nung in der Ar­chi­tek­tur der Mo­der­ne eine be­deu­ten­de Rolle spie­len, ist die­ser An­satz durch die Ku­ra­tor_in­nen durch­aus zu be­grü­ßen. Lei­der wer­den diese fal­schen Pa­ra­dig­men je­doch nicht in­fra­ge ge­stellt oder de­mas­kiert, son­dern die Ana­ly­se gleich auf deren „Zu­sam­men­spiel“ mit kol­lek­ti­ven Hand­lun­gen ein­ge­engt. Wei­ter heißt es:

 

Be­deu­ten­de Pro­test­er­eig­nis­se des 20. Jahr­hun­derts – vom 17. Juni 1953 in Ber­lin bis zum 28. Ja­nu­ar 2011 in Kairo – wer­den zeit­lich und räum­lich re­kon­stru­iert und in Dia­gram­men, Kar­ten und Struk­tur­mo­del­len dar­ge­stellt. Die Ver­wand­lung ur­ba­ner Räume durch ge­mein­schaft­li­che Ak­tio­nen wird hier­bei eben­so un­ter­sucht wie die Er­mög­li­chung kol­lek­ti­ver Hand­lun­gen durch räum­li­che Struk­tu­ren. Grund­la­ge der Re­kon­struk­ti­on sind Zeit­zeu­gen­be­rich­te, Po­li­zei­pro­to­kol­le, Bild­an­ge­bo­te von Agen­tu­ren, aber auch Ama­teur­bil­der, pri­va­te In­ter­net­vi­de­os sowie Blog­ein­trä­ge. Die Aus­stel­lung „Out of Con­trol“ er­schließt eine an­de­re Les­art der his­to­ri­schen Er­eig­nis­se, indem sie das wech­sel­sei­ti­ge Wirk­ver­hält­nis von Raum, Zeit und Be­we­gung in den Vor­der­grund stellt.

 

Zu­nächst bleibt un­klar, wel­che ur­ba­nen „räum­li­chen Struk­tu­ren“ ge­mein­schaft­li­che Ak­tio­nen oder kol­lek­ti­ve Hand­lun­gen er­mög­li­chen. Au­gen­schein­lich wird nur, dass das Ver­hält­nis von Stahl, Beton und Stei­nen und kol­lek­ti­ver Ak­ti­on ein re­zi­pro­zi­täts­ob­ses­si­ves ist. Ar­chi­tek­tur und die Mög­lich­keit, sich un­kon­trol­liert zu be­we­gen, be­din­gen sich laut These der Austel­lungs­ma­cher_in­nen ge­gen­sei­tig. Eine Bin­sen­weis­heit, wenn mensch ein­mal ver­stan­den hat, dass ei­ner­seits Men­schen nicht durch Wände gehen kön­nen und dass an­de­rer­seits Beton nicht brennt. Auf­fäl­lig ist auch, dass mit dem 17. Juni 1953 (Ber­lin) und dem 28. Ja­nu­ar 2011 (Kairo) doch zwei sehr un­ter­schied­lich mo­ti­vier­te Auf­stän­de ver­knüpft wer­den. Aber die Frage nach Ge­mein­sam­kei­ten und Un­ter­schie­den der bei­den Er­eig­nis­se wird gar nicht erst ge­stellt – das würde ja auch der po­li­ti­schen Di­men­si­on der Auf­stän­de Rech­nung tra­gen, was of­fen­sicht­lich nicht ge­wollt ist. Und auch die Grün­de für die Wie­der­an­eig­nung von öf­fent­li­chem Raum und die For­de­rung nach dem Guten Leben las­sen sich nun mal nicht nach ihrem zeit­li­chen und räum­li­chen Ver­lauf in Dia­gram­me, Kar­ten und Struk­tur­mo­del­le pres­sen. Dass die Kon­stan­te der ge­zeig­ten Er­eig­nis­se mög­li­cher­wei­se eher die Wut gegen den Un­ter­drü­ckungs­ap­pa­rat in Ge­stalt sei­ner Si­cher­heits­ar­chi­tek­tur als ein dif­fu­ses „wech­sel­sei­ti­ges Wirk­ver­hält­nis von Raum, Zeit und Be­we­gung“ ist, kommt den Ku­ra­tor_in­nen nicht in den Sinn. Als in­ter­es­san­te An­ek­do­te sei in die­sem Zu­sam­men­hang auch auf den Ver­lauf des 28. Ja­nu­ar 2011 in Ber­lin hin­ge­wie­sen.

 

In ar­chi­tek­to­ni­schen Ent­wür­fen an be­kann­ten Ver­samm­lungs­or­ten in Ber­lin und Kairo wird der Frage nach­ge­gan­gen, wie die cha­rak­ter­li­chen Merk­ma­le von Pro­tes­ten und Fes­ten in Ar­chi­tek­tur über­tra­gen wer­den kön­nen. Wie las­sen sich die Ver­dich­tung von Ak­ti­vi­tä­ten und Ak­teu­ren, die Of­fen­heit und Zu­gäng­lich­keit des Rau­mes und der rausch­haf­te Zu­stand des Un-​Ge­plan­ten ar­chi­tek­to­nisch über­set­zen? Wie muss ge­bau­ter Raum kon­fi­gu­riert sein, damit kol­lek­ti­ve Hand­lun­gen ent­ste­hen? Und wel­che Rolle spie­len heute die so­zia­len Me­di­en bei der Kon­sti­tu­ti­on von re­al-​phy­si­schen Hand­lungs­räu­men?

 

Erst am Ende ma­chen die Austel­lungs­ma­cher_in­nen deut­lich, worum es ihnen ei­gent­lich geht, näm­lich: „die cha­rak­ter­li­chen Merk­ma­le von Pro­tes­ten und Fes­ten in Ar­chi­tek­tur [zu] über­tra­gen“. Mensch könn­te vor­schnell mei­nen, es ginge dabei darum, dass sich Ar­chi­tek­tur den Be­dürf­nis­sen der Men­schen zu un­ter­wer­fen habe. Be­rück­sich­tigt mensch al­ler­dings, dass Pro­test (im Sinne von „Out of Con­trol“-​Kon­zep­ten) als „rausch­haf­ter Zu­stand des Un-​Ge­plan­ten“ pa­ra­phra­siert wird und ihm dem­ent­spre­chend jede po­li­ti­sche Be­deu­tung ab­ge­spro­chen wird – es han­delt sich ja an­geb­lich nicht um einen Aus­druck von Un­zu­frie­den­heit mit den herr­schen­den Ver­hält­nis­sen, son­dern um die Ek­sta­se „er­leb­nis­ori­en­tier­ter Ju­gend­li­cher“ – und dass auf­stän­di­sche, wü­ten­de Spon­ta­ni­tät in Beton ge­gos­se­ner Ar­chi­tek­tur ab­ge­bil­det wer­den soll, soll­te sich mensch schon die Frage stel­len, ob die An­sprü­che, die die Ku­ra­tor_in­nen an ihre Ar­beit haben, über­haupt er­füll­bar sind. Oder an­ders for­mu­liert, ob ein Pro­jekt wie das ihre nicht eher ein wei­te­res Puz­zle­teil zur Le­gi­ti­mie­rung der pro­ak­ti­ven Kon­trol­le so­zia­ler Pro­tes­te im ur­ba­nen Raum sein könn­te.

 

So ist zum Bei­spiel bei der Ber­li­ner Po­li­zei die Ar­chi­tek­tin In­g­rid Her­manns­dör­fer im Be­reich der „Städ­te­bau­li­che Kri­mi­nal­prä­ven­ti­on“ be­schäf­tigt. Sie sorgt seit 2011 dafür, dass Un­ter­füh­run­gen be­leuch­tet, He­cken zu­rück­s­tutzt und Graf­fi­ti schnell be­sei­tigt wer­den. Damit wer­den öf­fent­li­che Räume an­geb­lich „angst­frei­er“ aber auch uni­for­mer und kon­trol­lier­ba­rer. Ziel des Gan­zen: Die Po­li­zei möch­te auch bei Stadt­pla­nung als „selbst­ver­ständ­li­cher An­sprech­part­ner in Fra­gen der Si­cher­heit“ einen ord­nen­den Ein­fluß neh­men und den öf­fent­li­chen Raum nach ihrem Gut­dün­ken mit­ge­stal­ten. Pro­tes­te und Feste spie­len bei sol­chen po­li­zei­li­chen Be­trach­tun­gen oft nur als so ge­nann­ter Aus­gangs­punkt oder Rück­zugs­ort für „Stö­rer“ eine Rolle. Die­sen Men­schen soll auf­grund von Mut­ma­ßun­gen und Un­ter­stel­lun­gen be­reits im Vor­aus jeg­li­che Mög­lich­keit kol­lek­ti­ver Hand­lun­gen ge­nom­men wer­den. Das Haupt­au­gen­merk der stä­de­bau­li­chen Si­cher­heits­ar­chi­tek­tur liegt aber im All­tag – näm­lich auf der per­ma­nen­ten so­zia­len Kon­trol­le der Ge­sell­schaft, die eben auch durch ar­chi­tek­to­ni­sche Maß­nah­men oder bau­recht­li­che Auf­la­gen in ihrer Wir­kung un­ter­stützt wer­den soll.

 

Prä­sen­tiert wird die Aus­stel­lung in der glä­ser­nen Ga­le­rie des ehe­ma­li­gen IBM-​Hoch­hau­ses am Ernst-​Reu­ter-​Platz in Ber­lin. Die­ser Raum er­hielt in den 1960er Jah­ren den Namen „Elek­tro­nen­ge­hirn hin­ter Glas“, da in ihm die ers­ten IBM-​Rech­ner öf­fent­lich aus­ge­stellt wur­den.

 

Die­ser his­to­ri­sche Bezug des Aus­stel­lungs­or­tes ist auch nicht un­in­ter­es­sant, da ge­ra­de durch die mo­der­ne In­for­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie eine immer per­fek­te­re Über­wa­chung durch die Re­pres­si­ons­or­ga­ne (z.B. Da­ten­ban­ken, Funk­zel­len­ab­fra­ge, au­to­ma­ti­sier­te Ras­ter­fah­nung, „vor­her­sa­gen­de Po­li­zei­ar­beit“) aber auch eine breit­flä­chi­ge und schlag­kräf­ti­ge Ver­net­zung von Wi­der­stands­be­we­gun­gen mög­lich wird.

Zum Dis­kurs über die of­fe­nen Fra­gen und zur kol­lek­ti­ven Er­wei­te­rung der Aus­stel­lung um neue As­pek­te von „Out of Con­trol“ kün­di­gen wir hier­mit un­se­ren „rausch­haf­ten“ Be­such im „oran­ge­lab“ an.

 

For­ma­tio­nen kol­lek­ti­ver Räume krea­tiv nut­zen – Si­cher­heits­ar­chi­tek­tu­ren ein­stür­zen!

 

OUT OF CON­TROL: Aus­stel­lung des In­sti­tuts für Me­dia­les Ent­wer­fen in Ber­lin, vom 07. bis 29. Juni 2013, oran­ge­lab im CB.e Haus (Ernst-​Reu­ter-​Platz 2), Ver­nis­sa­ge: 06.​06.​2013 um 19:00 Uhr