[Niederbayern] Vertonter Hass: Interview mit Thomas Kuban

Erstveröffentlicht: 
22.04.2013

Journalist Thomas Kuban hat heimlich Nazirock-Konzerte gefilmt - auch in Bayern

Autor: Emanuel Socher Jukic

 

Horden von Sieg-Heil grölenden Männern, Aufrufe zur Judenvernichtung und jede Menge Hass - es ist gespenstisch und doch harte Realität, was der Journalist Thomas Kuban bei meist illegalen Nazirock-Konzerten in Deutschland erlebt und vor allem gefilmt hat. Kubans Blick mit einer versteckten Kamera in den Schlund der deutschen Neonaziszene bildet die Grundlage für den Dokumentarfilm "Blut muss fließen", der am Dienstag um 19.30 Uhr im "kleinen Theater" zu sehen ist. Bei der von den Grünen organisierten Veranstaltung ist auch der Regisseur des Films, Peter Ohlendorf, anwesend. Thomas Kuban, dessen Name übrigens ein Pseudonym ist, wird aus Sicherheitsgründen nicht anwesend sein. Seit seinen Recherchen in der Nazirock-Szene tritt er nur noch mit Maskerade öffentlich auf, da er um seine Gesundheit fürchten muss. Unter anderem darüber und über die Situation in Bayern sprach die LZ mit ihm.

Landshuter Zeitung: Zu den Konzerten kommt nur ein harter, gut vernetzter Kern der Neonaziszene. Herr Kuban, was macht diese Veranstaltungen Ihrer Meinung nach trotzdem so gefährlich?

Thomas Kuban: Dieser "harte Kern" ist keine kleine Randgruppe, sondern eine Bewegung mit zigtausend Leuten allein in Deutschland. Und sie wächst europaweit. Zu konspirativ organisierten Konzerten in Europa kommen bis zu 2000 Rechtsextremisten, vor allem Deutsche. Bei öffentlich beworbenen Musikveranstaltungen der NPD waren es in den vergangenen Jahren bis zu 7000 Besucher. Gerade diese NPD-Konzerte, die unter anderem in Stadtparks stattfinden, sind eine Anlaufstelle für junge Leute, die neugierig geworden sind und die fremdenfeindliche Ressentiments haben, wie sie laut Studien in der deutschen Bevölkerung verbreitet sind. In der Masse feiernder Nazis stehend, spüren sie das Kameradschaftsgefühl. Die Musik weckt Emotionen und auf der Gefühlsebene lassen sich hervorragend politische Botschaften transportieren. Spätestens, wenn Lieder auswendig gelernt werden, setzt sich der vertonte Hass in den Köpfen fest. Zudem gibt es bei solchen Veranstaltungen Informationsstände von verschiedenen Gruppierungen, so dass Kontakte in die Nazibewegung hinein geknüpft werden können.

Wie hat sich denn die Polizei bei solchen Konzerten verhalten, sofern sie davon gewusst hat?

In seltenen Fällen löst die Polizei solche Konzerte auf. Im Regelfall lässt sie die Nazis aber ungestört Straftaten begehen. Ich habe erlebt, dass polizeilicher Staatsschutz im Konzertzelt ist und Nazis trotzdem hemmungslos abhitlern und "Sieg Heil" rufen können. Das war zum Beispiel am 22. Oktober 2005 bei einem NPD-Konzert in Mitterschweib bei Mitterskirchen der Fall. Volksverhetzende Lieder kamen hinzu. Deren Texte haben die Staatsschützer, also die Rechtsextremismus-Spezialisten der bayerischen Polizei, jedoch nicht verstanden, weil sie diese nicht kannten. So wurde das vom bayerischen Innenministerium erklärt. Das ist natürlich ein Ausbildungsdefizit. Denn es handelte sich um Szene-Evergreens, die ich zum Beispiel kenne und daher auch vor Ort erkenne.

Wie wirkt sich denn das von Ihnen geschilderte Nicht-Verhalten der Polizei aus ?

Die Neonazis erleben die Staatsmacht machtlos. Sie müssen sich rechtsfreie Räume nicht einmal erkämpfen, sie bekommen sie einfach überlassen. Das ist eine Bankrotterklärung des demokratischen Rechtsstaats, die fast an jedem Wochenende aufs Neue unterzeichnet wird, wenn die Polizei Neonazikonzerte laufenlässt. Ich habe kein einziges konspirativ organisiertes Konzert erlebt, bei dem es nicht zu Straftaten gekommen wäre.

 

Sie belegen auch, dass Funktionäre der NPD und der JN in solche Konzerte involviert sind. Das NPD-Verbot wird kontrovers diskutiert. Wie stehen Sie mit Ihren Erfahrungen dazu?

Wer die Neonazibewegung schwächen will, muss die Nachwuchsrekrutierung unterbinden. Und bei der Nachwuchswerbung spielt die NPD eine zentrale Rolle für die ganze Bewegung. Sie nutzt ihren Parteistatus, um Großveranstaltungen mit Nazibands offiziell genehmigt zu bekommen. Zudem verfügt sie durch ihre Landtagsmandate in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern über hauptamtliche Kräfte, die organisatorische Arbeiten übernehmen können. Freie Kameradschaften benötigen dafür ehrenamtliche Leute und sind daher weniger leistungsfähig.

Wie ist die Rechtsrock-Situation in Bayern?

Als ich in Bayern recherchiert habe, war das dort ein Konzertparadies für Nazis. Unter dem damaligen Innenminister Günther Beckstein war es jeder Polizeidirektion überlassen, wie sie mit Nazikonzerten umgeht - und die Polizei auf Landkreisebene ist mit den international operierenden Nazikadern natürlich schnell überfordert. Unter Becksteins Nachfolger Joachim Herrmann vertritt das Innenministerium die Meinung, dass "Veranstaltungen mit rechtsextremen Tendenzen seit jeher in Bayern intensiv und unter Ausschöpfung aller rechtlicher Mittel polizeilich betreut" würden. Das Wort "betreut" trifft es dabei ganz gut, was ich bei fünf Konzerten in Bayern erlebt habe. Die Polizei ist da. Sie schaut und hört zu, wie Straftaten begangen werden. Sie greift aber nicht ein. Bis heute sind außerdem rechtsextreme Bands aus Bayern international erfolgreich - allen voran "Faustrecht".

Sie haben sich mit einer versteckten Kamera auf Konzerte gewagt, die voll mit gewaltbereiten Neonazis waren. Wieso haben Sie Ihre Gesundheit riskiert, um über die Szene zu berichten?

Ich habe mich so intensiv auf die verdeckten Drehs in der Neonazi-Szene vorbereitet, dass ich der Meinung war, dass ich meine Gesundheit nicht aufs Spiel setze. Wenn ich beispielsweise Zweifel an meiner Kameraausrüstung gehabt hätte, wäre ich nicht zu Nazikonzerten gegangen. Denn die Nazi-Security hat teilweise sogar mit Metalldetektoren kontrolliert. Aber ich hatte Geheimdiensttechnik aus Israel und den USA und habe sie für meine Zwecke noch perfektionieren lassen.

Was war Ihre Motivation, über die Nazirock-Szene zu recherchieren?

Die Motivation für die Recherche resultierte daraus, dass ich es zunächst selbst nicht für möglich gehalten habe, dass es Neonazis gibt, die im Untergrund operieren und im Extremfall hunderte Leute an der Polizei vorbei zu geheimen Konzertorten schleusen. Als ich gemerkt habe, dass es so eine Szene tatsächlich gibt, hat das meinen beruflichen Ehrgeiz geweckt, diese konspirativen Strukturen zu knacken. Als mir das gelungen war, wollte ich der Öffentlichkeit Einblicke bieten. Dank der Minikameras war das möglich. Salopp formuliert ist solch eine Recherche auch ein anspruchsvolles Strategiespiel. Und dieses Strategiespiel habe ich gegen die Nazis ausnahmslos gewonnen. Beruflich ist das natürlich sehr befriedigend.

Info
Im Anschluss an den Film "Blut muss fließen" gibt es im "kleinen Theater" noch eine Podiumsdiskussion, an der unter anderem der Regisseur und der Grüne-Landtagsabgeordnete Eike Hallitzky teilnehmen.