Bundeswehr baut Übungsstadt: Häuserkampf in der Heidelandschaft

 Im Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlinger Heide werden bis zu 15 000 Soldaten im Jahr ausgebildet. Ab 2017 sollen sie zudem in der neuen Geisterstadt «Schnöggersburg» für die Konflikte der Zukunft trainiert werden.
Erstveröffentlicht: 
11.12.2012

Die deutsche Bundeswehr sieht die Konflikte der Zukunft in den urbanen Ballungsgebieten. Um den Häuserkampf realitätsnah zu trainieren, baut sie nördlich von Magdeburg eine europaweit einmalige Stadt.

 

Von Günter Hoffmann, Berlin

Die Colbitz-Letzlinger Heide ist das grösste zusammenhängende Heidegebiet in Mitteleuropa. Rund 40 Kilometer nördlich von Magdeburg ist es gelegen; auf mehr als 200 Quadratkilometern Fläche leben viele seltene Tier- und Pflanzenarten. Nur, was macht man mit dem grössten unbewohnten Gebiet Deutschlands?

 

Militärisch oder zivil nutzen?

Für die Nationalsozialisten war die Antwort einfach: Sie errichteten 1934 auf dem ehemaligen kaiserlichen Jagdrevier die Heeresversuchsstelle Hillersleben und erprobten ihre Artillerie- und Panzerabwehrwaffen. Von 1945 bis 1994 belegte die sowjetische Armee das Areal und stationierte auf dem Truppenübungsplatz bis zu 20 000 Soldaten. Nach der Wiedervereinigung sahen die Bevölkerung, Umweltverbände, Bürgerinitiativen, Kommunal- und Landespolitiker erstmals die Chance, das Gelände in zivile Nutzung überzuführen. 70 000 Unterschriften wurden für eine militärfreie Heide gesammelt, und 1991 beschloss der Landtag Sachsen-Anhalts ihre ausschliesslich zivile Nutzung.

 

Doch es kam anders. Während Bürgerinitiativen und Umweltverbände an der Entwicklung eines Naturparkkonzeptes arbeiteten, beschloss die Bundesregierung 1993 die Weiterführung des Truppenübungsplatzes. Nach dem Abzug der russischen Streitkräfte übernahm im August 1994 die Bundeswehr das Gebiet. Man begann, das Gelände von Altmunition zu räumen, baute das «Gefechtsübungszentrum des Heeres» (GÜZ) und errichtete in der nahen Ortschaft Letzlingen die Altmark-Kaserne. Der sogenannte Heidekompromiss, der schliesslich 1997 zwischen dem Verteidigungsministerium und dem Land Sachsen-Anhalt vereinbart wurde, sah aber vor, den südlichen Teil der Colbitz-Letzlinger Heide bis 2006 in eine zivile Nutzung überzuführen. Dieser Kompromiss wurde allerdings im November 2003 von der von CDU und FDP geführten Landesregierung aufgehoben. Man beschloss die Fortführung der militärischen Nutzung.

 

Modernste Technik

Das GÜZ auf dem Truppenübungsplatz Altmark ist die zentrale Ausbildungseinrichtung des Heeres und nach Bergen und Grafenwöhr der drittgrösste Truppenübungsplatz in Deutschland. Während im Rahmen der Bundeswehr-Reform 31 Standorte geschlossen und 90 weitere zum Teil drastisch reduziert werden sollen, hat das Verteidigungsministerium hier mehr als 650 Millionen Euro investiert. «Das GÜZ ist der modernste Truppenübungsplatz in Deutschland. Bevor die Soldaten in einen Auslandseinsatz gehen, müssen die Verbände des Heeres hier ein 14-tägiges Training absolvieren, das sie auf ihre Einsätze vorbereitet», sagt Stefan Heydt, Sprecher des Heeresamtes, dem das GÜZ direkt unterstellt ist. Jährlich würden auf dem Gelände bis zu 15 000 Soldatinnen und Soldaten für ihre Kriegs- und Kampfeinsätze geschult.

 

Die Ausbildung besteht aus einer Mischung aus realem Manöver auf dem 230 Quadratkilometer grossen Gelände und Computerspiel. Mit Laserstrahlen, Satellitennavigation und Computertechnik werden Gefechte simuliert. Die Soldaten üben die Abwehr anrollender Panzer, den Häuserkampf in einer geschlossenen Ortschaft oder das Verhalten an einer Strassensperre. An dieser europaweit modernsten Anlage für Bodentruppen bereiten sich auch niederländische, belgische, polnische und österreichische Streitkräfte auf ihre Einsätze vor.

 

Sechs Jahre Planung

Das GÜZ wird seit 2001 als Public-Private Partnership betrieben, seit 2008 vom Rheinmetall-Dienstleistungszentrum Altmark (RDA), einem Tochterunternehmen des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Das RDA liefert alle Dienstleistungen, die nicht zu den militärischen Kernaufgaben gehören, stellt die Ein- und Ausrüstung der Übungstruppen mit den Simulationsgeräten sowie den Betrieb der Datenverarbeitungsanlage. Die Firma kümmert sich zudem um Ausbildungspersonal, wartet die Panzer und ist für den Nachschub an Material und Verpflegung zuständig. Rund 20 Millionen Euro im Jahr kostet das.

 

Nach sechsjähriger Planung soll das GÜZ an die neuen Herausforderungen der Armee angepasst werden. Dafür will die Bundeswehr nun die Übungsstadt «Schnöggersburg» bauen. Laut Demoskopen werden bis zum Jahr 2030 rund 60 Prozent der Weltbevölkerung in Ballungsgebieten leben. «Die zunehmenden sozialen Brennpunkte entstehen in den Megacitys», erläutert Heeresamtsprecher Heydt. Bei der Vorstellung des Projektes im vergangenen Sommer begründete der GÜZ-Leiter, Dieter Sladeczek, den Bau am Beispiel eines Panzergrenadiers, der durch die Strassen einer Stadt fährt: «Die Gefahr lauert in der Kanalisation, auf Dächern, in Gebäuden. Attentäter verstecken sich in Menschenmengen. Darauf müssen die Soldaten vorbereitet sein, damit sie sich schützen und verteidigen können.»

 

U-Bahn und Elendsviertel

Im November ist mit dem Bau der Megastadt begonnen worden. Auf einer Fläche, dreimal so gross wie Monaco, werden bis 2017 mehr als 500 Gebäude gebaut. Damit die Häuserkämpfe realistisch trainiert werden können, erhält die Geisterstadt alle Elemente moderner Grossstädte: Autobahn und Bahnhof, Regierungsgebäude, Sakralbauten, Sportstadien und Hochhaussiedlungen. An U-Bahn und Kanalisation haben die Planer ebenso gedacht wie an Elendsviertel und Müllhalden und einen 1,5 Kilometer langen Fluss. Über einen Flugplatz mit einer 1700 Meter langen Graspiste verfügt das Gelände bereits. Benannt ist die Übungsstadt nach der ehemaligen Waldarbeitersiedlung, die die Wehrmacht in der Colbitz-Letzlinger Heide abgerissen hatte, um den Truppenübungsplatz zu bauen. «Damit wird Deutschland europaweit über das modernste Gefechtszentrum für Militärmissionen in Stadtgebieten verfügen», sagt Heydt. Vergleichbare, allerdings deutlich kleinere Übungsstädte gebe es in Frankreich und Grossbritannien. «Hier ist es erstmals möglich, dass ganze Einsatzverbände mit bis zu 1500 Soldaten alle urbanen Konflikte gleichzeitig trainieren.» Das Projekt kostet rund 100 Millionen Euro. Betrieben werden soll «Schnöggersburg» von einem privaten Unternehmen.

 

Für Einsätze im Innern

Für die Fraktion der Partei «Die Linke» im Bundestag ist die Übungsstadt ein Zeichen dafür, «dass hier Kampfszenarien geübt werden sollen, die nicht den Gegebenheiten in den bisherigen Einsatzgebieten entsprechen». Auf ihre kleine Anfrage räumt die Bundesregierung in ihrer Antwort ein, dass es auch um die Vorbereitung für Einsätze im Innern gehe. Dazu gehören «Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand». Wie kritische Infrastruktur geschützt wird, erlebten Mitte September rund 200 Pazifisten, die gegen den Ausbau des Truppenübungsplatzes demonstrierten. Ihnen standen rund 1000 Polizisten aus dem Bundesgebiet gegenüber, teilweise auch Feldjäger der Bundeswehr.

 

Unterdessen bestätigt der Rüstungskonzern Rheinmetall Meldungen, dass er gemeinsam mit dem russischen Partner JSCO Oboronservis vom russischen Verteidigungsministerium den Auftrag erhalten habe, in Mulino in der Wolga-Region bis 2014 «die weltweit modernste Trainingsbasis mit simulationsgestützter Ausbildung» zu errichten. Dort sollen pro Jahr bis zu 30 000 Soldaten ausgebildet werden. Rheinmetall beziffert das Auftragsvolumen auf über 100 Millionen Euro. Gebaut wird das russische Ausbildungszentrum nach dem Vorbild «Schnöggersburg».