"Büge muss sich entscheiden"

Erstveröffentlicht: 
02.12.2012

Burschenschaft

Michael Büge kann nicht Staatssekretär und Mitglied der Verbindung Gothia bleiben, meint Lucius Teidelbaum, der sich wissenschaftlich mit dem Thema befasst.

 

Interview: Konrad Litschko

 

taz: Herr Teidelbaum, Sie haben Geschichte in Tübingen studiert und beschäftigen sich seit Jahren mit deutschen Studentenverbindungen. Wofür steht heute eine Mitgliedschaft in einer Burschenschaft?


Lucius Teidelbaum: Das kommt auf die Gruppe an, in den allermeisten Fällen aber für sehr konservative Positionen. Burschenschaften formen ihre Mitglieder nach strikten Regeln und Ritualen und dem Prinzip: Gehorche und herrsche. Daraus entsteht ein streng hierarchisches und elitäres Weltbild. Gerade die Gruppen unter dem Dachverband der Deutschen Burschenschaft legen das auch politisch aus, und zwar extrem rechts.

 

Gerade sorgt die Mitgliedschaft von Sozialstaatssekretär Michael Büge (CDU) bei der Steglitzer Burschenschaft Gothia für Wirbel. Wie problematisch ist das?


Ich finde die Verquickung sehr problematisch. Ein Verantwortlicher, gerade fürs Soziale, der in einer ultrarechten Verbindung mitmacht, bei der stets eine Verachtung der allgemeinen Masse mitschwingt, das ist schwer vereinbar. Und bei der Gothia geht es ja über das Konservative deutlich hinaus.

 

Wie rechts ist die Gothia?


Auch sie ist Mitglied beim Dachverband Deutsche Burschenschaft, der nach seinem Sondergipfel kürzlich noch weiter nach rechts gerückt ist. Dort gehörte die Gothia bis vor ein paar Tagen sogar zum noch rechteren Flügel der Burschenschaftlichen Gemeinschaft, den SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles mal treffend als völkischen Kampfverband bezeichnet hat. Und der nicht ohne Grund in manchen Ländern vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

 

Aus der Gemeinschaft ist die Gothia laut Büge aber nach dem Treffen ausgetreten.


Nach dem Treffen? Nach dem Trubel um seine Mitgliedschaft würde ich eher sagen. Das riecht doch sehr nach einer Reinigungsaktion, um ihr prominentes Mitglied zu schützen. Denn die Position der Gothia ist klar: weit rechts. Um Nachwuchs zu werben, schaltet sie Anzeigen bei rechten Blättern wie der Jungen Freiheit oder auf dem antimuslimischen Hetzportal „Political Incorrect“. Eine Zeit lang nahm die Gothia am „Heldengedenken“ zum Volkstrauertag am Columbiadamm teil, zusammen mit der NPD. Und noch jüngst trat sie mit einem Stand auf einem neurechten Treff in Berlin auf, dem „Zwischentag“.

 

Die Gothia sagt, sie habe auch schon liberale Köpfe wie den SPDler Egon Bahr eingeladen.


Mag sein. Genauso referierten dort aber auch Redakteure der Jungen Freiheit oder Leute von der antisemitischen Ludendorffer-Sekte. Das geht so weit, dass die Gothia-Villa heute ein Stützpunkt des „Instituts für Staatspolitik“ ist, einem extrem rechten, antidemokratischen Thinktank. Buchvorstellungen und Verlagsabende fanden dort statt. Das finde ich schon ziemlich bezeichnend.

 

Die Gothia weist Rechtsextremismus von sich.


Das sehe ich als Schutzbehauptung. Es ist ja auch die Frage, wie ich rechtsextrem verstehe. Da ist für einige ja selbst die NPD okay, da sie nicht verboten ist. Ich schaue da nach Auffassungen, nach Äußerungen über Minderheiten oder der deutschen Grenzfrage, was extrem rechts ist. Und dazu findet man Fragliches auch bei der Gothia.

 

Sie waren selbst mal in der Gothia-Villa. Was war Ihr Eindruck?


Das war am 9. November letzten Jahres. Da hatte ein Querfrontler über die Wirtschaftskrise referiert, ein selbst ernannter Marxist mit nationalistischen Ansichten, sehr skurril. Mit seinen Ansichten und seinem elitären Ton, nur er und ein paar andere könnten die Krise überhaupt verstehen, hat er da aber gut reingepasst. Und nachher ging’s an die Theke. Da hing oben ein Straßenschild: Reichssportfeldstraße. Die heutige Flatowallee in Westend, 1936 von Hitler umbenannt. Daneben war ein Werbeplakat für ein Bier aus Namibia, das mit Klischees des deutschen Kolonialismus gespielt hat. Das wirkte alles nicht so distanziert nach rechtsaußen.

 

Ist die Gothia repräsentativ für die Burschenschaftsszene in Berlin?


Es gibt etwa 45 Studentenverbindungen in der Stadt, nur eine Minderheit davon sind Burschenschaften. Die aber fallen wiederholt durch rechte Mitglieder oder Vorträge auf. Zum Beispiel ist der Chefredakteur des rechtsextremen Hochglanzmagazins Zuerst Mitglied bei den „Märkern“. Und der Studentenbund „Herrmann von Wissmann“ feiert auch schon mal deutsche Kolonialmörder.

 

Aber sind Burschenschaften nicht längst bedeutungslose Randerscheinungen?


Ihr Einfluss hat auf jeden Fall abgenommen. Als an der FU vor kurzem Burschenschaftler in Uniform auftraten, gab es ja auch Proteste und eine klare Distanzierung der Hochschulleitung. Das zeigt, dass die Verbindungen nicht mehr viel zu sagen haben. Auf der anderen Seite gibt es die konservative Sängerschaft Borussia in Tiergarten, die gleich mehrere CDU-Funktionäre hervorgebracht hat.

 

Unter anderem Innensenator Frank Henkel.


Richtig. Und wenn man in die Wirtschaft guckt: Da sitzen in den Vorständen immer noch zu 20 Prozent Verbindungsmitglieder. Und die reproduzieren natürlich ihr konservatives Weltbild, etwa was Frauenfragen in der Einstellungspolitik angeht.

 

Staatssekretär Büge hat sich inzwischen von rechtsextremem Gedankengut distanziert. Reicht das nicht?


Ich finde nicht. Das Weltbild der Gothia passt einfach nicht zu einem Posten im Sozialen. Büge muss sich entscheiden: entweder für das eine oder das andere.