[B] Videokundgebung gegen steigende Mieten in Berlin-Wedding

Transparent auf der Demo am 30.4

Am 08.06.2012 veranstaltete das Aktionsbündnis „Hände weg vom Wedding“ auf dem Sparrplatz eine Videokundgebung gegen Mietsteigerungen im Kiez und soziale Ausgrenzung. 100 Teilnehmer_innen, vornehmlich aus den angrenzenden Quartieren wie dem Sprengelkiez, protestierten damit gegen die zunehmenden Verdrängungseffekte im Bezirk. (Nord-)Neukölln, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Friedrichshain stellen im kollektiven Stadtgedächtnis Bezirke dar, die mit breiten Protesten gegen umgreifende Gentrifizierungswellen Schlagzeilen machen. Dort, wo linke, unkommerzielle Kultur wie Infoläden und Hausprojekte von Räumungen bedroht sind, können sie darauf hoffen, von linkspolitischen Kampagnen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen unterstützt zu werden.


Ende März 2012 konnte dadurch das alternative Kulturprojekt „Schokoladen“ in Berlin-Mitte in quasi letzter Minute vor dem Ausverkauf gerettet und dem Immobilienmarkt entzogen werden.

Der Berliner Bezirk Wedding fällt dabei trotz des vermehrten Zuzugs linkspolitischer Aktivist_innen in der Regel noch immer von der politischen Landkarte. Zwangsumzüge, Verdrängungen durch massive Mietsteigerungen gepaart mit institutionellem und mehrheitsgesellschaftlichem Rassismus durch Behörden gehören hier zum Alltag und beflügeln die Phantasien- nicht nur Berliner Rechtspopulist_innen von „Pro Deutschland“ und „Die Freiheit“.

Und es ist kein Ende in Sicht…

In Bezug auf den Weddinger Wohnungsmarkt lassen sich die Folgen der unsozialen Berliner Stadtentwicklungspolitik nachvollziehen. Zusammen mit dem Stadtteil Mitte gehören beide Gebiete seit Jahren zu den Bezirken mit den höchsten prozentualen Mietsteigerungen bei Neuvermietungen.
Die Quartiere um die Brüsseler- bzw. Sprengelstraße sowie um den Leopoldplatz kommen schon auf Mietsteigerungen von zwischen 19 und 20 Prozent bei Neuvermietungen. Diese Entwicklung ist dabei nicht isoliert zu betrachten, sondern hat schon seit geraumer Zeit effektive Auswirkungen auf angrenzende Stadtteile: so verzeichnet das Stadtgebiet Moabit eine vergleichbare Mietentwicklung, besonders im Kiez um die Stephanstraße und im Hansaviertel. Der Quadratmeterpreis liegt nun bei ca. 7,91 Euro, was eine Mietsteigerung von fast 21 Prozent bei Neuvermietungen bedeutet.

Gentrifizierung bedeutet in diesem Zuge auch immer die Verdrängung sozial schwächerer Schichten und den Verlust kommunaler Freiräume durch den Ausbau von Kontroll- und Sicherheitsinstrumente. Unlängst wurde mithilfe von Stadt- und Bundesmitteln der genannte Leopoldplatz im sogenannten Sanierungsgebiet Müllerstraße „aufgewertet“. Der implizierte Sozialchauvinismus zeigt sich in der Verbannung der sogenannten „Trinker_innen“ aus der öffentlichen Wahrnehmung an einen eigens eingerichteten „Trinkerplatz“. Die soziale Stigmatisierung dieser Menschen scheint somit politisch gewollt. Diese Entwicklung wird durch die zunehmende Vertreibung obdachloser Personen aus Bahnhöfen und Plätzen durch private Sicherheitsdienste flankiert, welche soziale Ungerechtigkeit als „Selbstverschulden“ und „individuelles Versagen“ suggerieren soll.


Je tiefgreifender die Umverteilungsprozesse „nach oben“ sind, desto umfassender scheint die soziale Disziplinierung durch eine Überwachung des öffentlichen Raumes. Nicht zuletzt spiegeln die Neugestaltungen von Parks und Plätzen durch Ausleuchtung und architektonische Kniffe genau jene subtile Kontrollregime wieder. Dazu kommt der Berlinweit zunehmende Ausschluss der Widersprüche, repräsentiert von Gated Communities, einer verstärkten Videoüberwachung von Hausfluren und dem Verschließen von Innenhöfen. Soziale Stigmatisierung schränkt vor diesem Hintergrund die Mobilität weiter ein.


Imagekampagnen und die durch „Subventionen“ forcierte Ansiedlung einer Kreativindustrie im Müller- und Brunnenviertel sollen den Stadtteil als attraktiver Stand- und Wohnort erscheinen lassen. Die soziale Realität seiner Bewohner_innen treffen diese Maßnahmen freilich nicht. Zusammen mit den privatisierten Wohnungsbaugesellschaften GSW und DEGEWO versucht der Berliner Senat politisches und ökonomisches Kapital mittels einer langfristigen Umgestaltung der Wohnquartiere in sogenannten „Problembezirken“ wie Neukölln und Wedding zu schlagen. Eine Aufwertung durch Gewerbestrukturen und der Neugestaltung öffentlicher Räume kaschiert existente soziale Widersprüche und leistet einen aktiven Beitrag zur Verdrängung ökonomisch ärmerer Schichten. An Stadtteilen wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain, welche mehr als ein Jahrzehnt als „Europas größtes Sanierungsgebiet“ firmierten, lässt sich aufzeigen, welch katastrophale Auswirkungen dies auf die Mieter_innenschaft haben kann. Soziologischen Schätzungen zufolge sind bereits bis zu 80 Prozent der Bevölkerung in diesen Bezirken ausgetauscht worden.

 

Alternativkultur als Gentrifizierungsmotor?


Im Zuge der totalen Kommerzialisierungs- und Verwertungstendenzen der neoliberalen Gesellschaft wird deutlich, dass selbst Widerstandskulturen im Sinne des Kapitalismus aufgenommen und instrumentalisiert werden können. Der Zuzug von Künstler_innen und sogenannten „Kreativen“, auch wenn sie kapitalismuskritisch bzw. antikapitalistisch agieren, wird im Sinne des neoliberalen Wohnungsmarktes genutzt, um sozial stigmatisierte Wohnquartiere für wohlhabendere Mieter_innen attraktiv zu machen. Anhand der Entwicklungen vom Prenzlauer Berg lässt sich nachvollziehen, wie gerade linke Kulturangebote für kapitalistische Interessen nutzbar gemacht werden können, bevor sie selbst verdrängt werden. Als Lehre aus der Vergangenheit heißt das: Der alleinige Bestand von alternativen Kulturräumen reicht nicht aus- die Intervention in soziale Kämpfe muss erfolgen. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, Alternativkultur nicht zu dämonisieren, sondern zu stärken- als Antipode zur kapitalistischen Inwertsetzung!

 

Kein Angst, es ist nur Gentrifizierung!


Den dargestellten Entwicklungen muss der Riegel vorgeschoben werden. An den Mieter_innenkämpfen in Kreuzberg (bspw. am Kottbusser Tor) und in Neukölln (bspw. in der Oker- und Weisestraße), lassen sich Widerstandsoptionen ableiten. Die Ausweitung der Gentrifizierungsprozesse auf weitere Stadtgebiete zeigt, dass das Schlagwort nun endgültig zum „städtischen Mainstream“ geworden ist. Im Gegensatz zu bereits „verlorenen“ Quartieren, wie sie bereits in Teilen Prenzlauer Bergs (bspw. Kollwitzplatz) und Friedrichshains (Bänschstraße) existieren, bieten die umgreifenden Prozesse Handlungsanleitungen und Vernetzungsmöglichkeiten. Nur eine Mieter_innenorganisierung von unten kann Alternativen zur Verwertungslogik des Immobilienmarktes aufzeigen. Einen Dikussionsführung „von oben“ wie durch das BMW Guggenheim Lab in Prenzlauer Berg lehnen wir ab- die Häuser denen, die darin wohnen!

Weitere Aktionen hierzu sind mit Anwohner_innen geplant.
Weitere Informationen findet ihr zukünftig hier: walpurgisnacht.blogsport.eu

Keine Rendite mit der Miete! Weder im Wedding noch woanders in Berlin! Für eine solidarische Gesellschaft! Mietenstopp sofort!

Webblog zu Gentrification sowie sozialen Auswirkungen und Widerständen:
http://gentrificationblog.wordpress.com/

Solidarität mit den kämpfenden Mieter_innen am Kottbusser Tor!
http://kottiundco.wordpress.com/

Kampagne „Steigende Mieten stoppen!“
http://mietenstopp.blogsport.de/


Webblog zu den Widerständen gegen das BMW-Lab am Pfefferberg (Prenzlauer Berg):
http://bmwlabverhindern.blogsport.de/


18.06.: Protest und Widerstand gegen die Berliner Immobilienmaklerkonferenz.
Fang den Bus! Berlin ist Risikokapital!
http://keinerenditemitdermiete.blogsport.de/