Sinsheim - eine Stadt steht gegen rechts

Erstveröffentlicht: 
12.03.2012

Sinsheim. (wok/tk/slc) Die Sinsheimer und einige Gäste von außerhalb - vornehmlich von einer "Antifa"-Gruppe aus Heidelberg - haben am Samstag vier Stunden lang ein deutliches Zeichen gegen Rechtsradikale gesetzt. Rund 400 Menschen waren dem Aufruf des Bündnisses für Toleranz, dem sich alle politischen Parteien und Antinazigruppierungen angeschlossen hatten, gefolgt und störten in der Allee entlang der Elsenz zwar laut, aber weitgehend friedlich eine Kundgebung von rund 80 Anhängern der NPD und der "Freien Nationalisten Kraichgau". Mehr als 100 Polizisten - sechs davon hoch zu Ross und mit vier Mitgliedern eines Antikonfliktteams - versuchten die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten.

 

"Wir waren überrascht, dass so viele Menschen teilgenommen und sich gegen die Nazis bekannt haben", war Polizeisprecher Dieter Klumpp vom Auftritt des Bündnisses für Toleranz beeindruckt. Bei kleineren Scharmützeln mit der Polizei kam es zu fünf vorläufigen Festnahmen wegen Beleidigung, Köperverletzung und Vermummung. "Grundsätzlich blieb alles recht friedlich", lautete die Bilanz der Ordnungshüter.

 

Ein groteskes Szenario zeigte sich am Kriegerdenkmal: Die Tiraden von Holger Apfel - NPD-Bundesvorsitzender und Landtagsabgeordneter in Sachsen - verschluckte der Lärm der Vuvuzelas. Apfel war von einem fragwürdigen Bombenopfer-Trauermarsch in Zweibrücken angereist und gesellte sich zu den "Freien Nationalisten" ins Absperrgitter. Mehrere Plastiktröten musste die Polizei nach Beschwerden der Rechten beschlagnahmen und es kam zu kleineren Rangeleien, bei denen der eine oder andere Schlagstock zum Einsatz kam. Zuvor traten Polizeireiter auf den Plan, um den Pulk aus Bündnismitgliedern, Linksaktivisten und Schaulustigen zur Elsenzbrücke zurückzudrängen. Aufforderungen über Lautsprecher hatten zuvor keine Wirkung gezeigt.

 

Dennoch habe man bei den Maßnahmen nach der Prämisse "so wenig wie möglich, so viel wie nötig gehandelt", hörte man von der Einsatzleitung. Manche sahen das anders. Etwa ein bekannter Sinsheimer Bündnis-Aktivist, der eine Jugendgruppe mit sich führte: Er sei von Polizeikräften "grundlos gestoßen worden." Grünen-Landtagsabgeordnete Charlotte Schneidewind-Hartnagel hielt Polizeireiter und das Aufgebot an Einsatzzügen "maßlos überzogen" und wunderte sich über "die Nähe der Gruppen zueinander". Ein Ereignis, das sie so "in den letzten acht Jahren nicht erlebt" habe.

 

Kundgebungen des Bündnisses - in den Ankündigungen zentraler Teil - fanden überhaupt nicht statt. Gleich zu Beginn erklangen am "Wächter" zwei Protestsongs; zwischenzeitlich unterstützten dort auch einige Parteigenossen die Mahnung des SPD-Landtagsabgeordneten Thomas Funk, eilten aber umgehend wieder dem Mittelpunkt des Geschehens zu. Widersprüchlich waren die Sichtweisen, warum es auf Seiten des Bündnisses sehr unkoordiniert ablief. Alex Riederer von den Grünen beklagt, man fühle sich "von Stadt und Polizei ausgetrickst", da man den drei geplanten Kundgebungsorten kurzfristig den Riegel vorgeschoben habe. Andere Kundgebungen gerieten zum "Spontan-Akt": Hatte man doch den angemeldeten Kundgebungsort schon beim Eintreffen der Nationalisten gewechselt - und musste schleunigst wieder dort hin, weil man ja nichts verpassen wollte.

 

Die ersten Gegendemonstranten trafen sich bereits um 12.30 Uhr an der Kreispflege in Sinsheim, um an einem von Dietmar Coors, Pfarrer der evangelischen Gemeinde Dühren, geleiteten Stadtrundgang teilzunehmen. Die etwa 70 Personen versammelten sich dort um gemeinsam einzelne Stationen, die an die Geschichte Sinsheims unter dem Naziregime erinnern, zu durchlaufen.

 

Zusätzlich erhielt jeder Teilnehmende ein Merkblatt mit der "Chronologie der sogenannten Euthanasieaktion im Kreispflegeheim", um nachträglich noch einmal alle Geschehnisse nachvollziehen zu können. Der Stadtrundgang unter dem Namen "Nazis früher und heute" begann am Mahnmal der Euthanasie direkt vor der Kreispflege. Das Kunstwerk und Denkmal zeigt einen auseinanderfallender Rahmen, der die gebrochene Ordnung der damaligen Gesellschaft symbolisieren soll. Im Anschluss ging es in den Keller der Kreispflege, in dem die Transportlisten nach Grafeneck in die Vernichtungslager noch einsehbar sind.

 

Laut Jahresbericht 1940/41 des Hauses wurden insgesamt 231 Personen aus Sinsheim abtransportiert und somit Opfer der Euthanasiemorde. Die letzte Station des Rundgangs war das weiße Holzkreuz hinter der Kreispflege, das ebenfalls an die Euthanasieopfer erinnert. Gemeinsam machten sich die Demonstranten auf den Weg in die Innenstadt. Ab hier übernahm das "Bündnis für Toleranz" den Stadtrundgang und machte zu Beginn an der Elsenzhalle halt, um an die Juden zu erinnern, die in den 1920er Jahren noch in Vereinen, beim Tennis und Liederkranz aktiv teilgenommen hatten.

 

Der danebenliegende Flugplatz, den seit über 50 Jahren der Flugsportring Kraichgau als zentrales Segelfluggelände nutzt, diente in den 1930er Jahren noch als Hilfslandeplatz. Weiter ging es über den Karlsplatz in die Fußgängerzone, um an der letzten Station, dem Synagogenplatz in der kleinen Grabengasse, haltzumachen. Die damalige Synagoge wurde unter dem Naziregime 1938 beim Novemberpogrom zerstört und später komplett abgerissen. Obwohl in der Hadergasse vor dem Burgplatz der Rundgang schließlich offiziell beendet wurde, machten sich alle Demonstranten geschlossen auf, um am Wächter an der Elsenzbrücke Kundgebungen beizuwohnen, die dann allerdings nicht stattfand haltzumachen.