Nach Rhino-Räumung: Wie soll es weitergehen?

Nach Rhino-Räumung: Wie soll es weitergehen? Foto: Dominic Rock
Erstveröffentlicht: 
12.08.2011

Vermummte haben randaliert, Menschen wurden verletzt, eine Wagenburg wurde geräumt – und jetzt? Eine Woche nach der Räumung von Kommando geht die Debatte um die Ereignisse an jenem Tag weiter. Ein Interview mit den Sozilogen Albert Scherr und Timothy Simms.


BZ: Herr Simms, Herr Scherr, wie haben Sie die Nacht, in der die Wagenburg geräumt wurde, erlebt?
Timothy Simms: Um 1.15 Uhr bin ich wach geworden und habe gesehen, wie von der benachbarten Baustelle Material entwendet und Barrikaden errichtet wurden. Als sie brannten, habe ich um 1.26 Uhr die Feuerwehr gerufen und war dann die ganze Zeit unterwegs. Die Randalierer waren 15 oder 20 Leute, alle vermummt. Als ich Richtung Merzhausen radelte, hatte sich bei Aldi gerade die Feuerwehr zurückgezogen; nicht ohne Grund, weil eine größere Gruppe von Leuten im Laufschritt mit brennbaren Material ankam und neue Barrikaden entzündete. Das Ganze war eine gut durchgeplante Aktion. Die Unterführung an der Wiesentalstraße war auch verbarrikadiert mit Mülltonnen, Großcontainern, einzelnen Absperrgittern. Die wurde Gott sei Dank nie in Brand gesteckt. Irgendwann zwischen 3 und 4 Uhr haben sie einige junge Männer, die wohl mit dem Auto nicht durchkamen, weggeräumt.


Albert Scherr: Man sollte die Ereignisse in der Räumungsnacht nicht verharmlosen, aber auch nicht dramatisieren. Als ich kurz nach 3 Uhr ankam, war die Situation ruhig. Auf der Merzhauser Straße stand die Polizei: Da vorne gebe es Riesenrandale. Es gab aber keine. Von Angriffen auf Polizei oder Feuerwehr habe ich auch bis jetzt nichts gehört. Es brannten Barrikaden, aber niemand bewachte sie. Ich habe mich gefragt: Warum lässt die Polizei das zu? Obwohl diese nach eigener Aussage jederzeit Herr der Lage war. Für mich heißt das, die Polizei hat nichts dafür getan, die Barrikaden zu löschen oder abzusichern; rückblickend finde ich das fahrlässig. Da stellt sich die Frage, inwieweit das eine Strategie war, nämlich ein Bild herzustellen, das die Polizei im Vorfeld immer beschworen hatte: die Rhinos sind gewaltbereit. Ab halb 4 habe ich dann mit vielen Leuten vor Ort diskutiert, mit Rhinos und Autonomen, weil ich die brennenden Barrikaden für absolut unsinnig und falsch halte. Die Rhinos haben das auch so gesehen und sich aktiv um eine Deeskalation bemüht. Der Unterschied zwischen Teilen der autonomen Szene, die ganz eindeutig auf Randale gesetzt hatte, und den Rhinos, die sie davon abhalten wollten, war unverkennbar.

BZ: Wie naiv ist es, einen Solidaritätsaufruf an Autonome zu richten, von denen man Randale erwarten muss?
Scherr: Die Rhinos haben einen generellen Solidaritätsaufruf gemacht, der sich an einen Pfarrer genauso richtete wie an einen Autonomen. Aber mit der klaren Ansage: Es geht um gewaltfreien Widerstand. Die Rhinos haben nicht zu verantworten, wenn dies missbraucht wird.
Simms: Na, es gibt dieses schöne Video eines Rhinos, in dem er sagt, es gebe halt verschiedene Aktionsformen und man wolle das nicht werten. Eine Distanzierung sieht anders aus.
Scherr: Nach der Nacht haben die Rhinos unklare und falsche Stellungnahmen in die Welt gesetzt. Ich finde allerdings, in Freiburg muss man eine andere Debatte führen: um die gewaltbereite Fraktion in der autonomen Szene.

BZ: Sind die Rhinos mit dieser Szene vernetzt?
Scherr: Natürlich gibt es Netzwerke, zum Beispiel zwischen KTS und Grünen, zwischen Rhinos und Autonomen. Leute jenseits der CDU treffen in politischen Zusammenhängen immer wieder aufeinander. Im Augenblick muss man aber eher über Spaltungsprozesse und Konflikte in der linken Szene reden. Was in dieser Nacht passiert ist, hat zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Die linke Szene hat Schwierigkeiten, ihren Zusammenhalt noch herzustellen, weil es eine Konfliktlinie gibt zwischen der großen Mehrheit – dazu gehören die meisten Rhinos –, die Gewalt ablehnt, und anderen, die nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung militanter Aktionen bereit sind.

BZ: Warum distanzieren sich die Rhinos dann nicht?
Scherr: Es gibt einen internen Konflikt, und sie tun sich schwer mit dem, was sie als Entsolidarisierungsdruck wahrnehmen.
Simms: Für mich war die erste Distanzierung der Rhinos nicht glaubwürdig. Die Konstruktion, Rhinos und Autonome hätten nichts miteinander zu tun, ist vollkommen lächerlich. Teilweise waren Leute vermummt, bauten Barrikaden, gingen 50 Meter die Merzhauser Straße runter, nahmen die Vermummung ab und verschwanden auf dem von den Rhinos besetzten Gelände vor M1. Die Frage ist doch: Werte ich die Gewalt genau an diesem Morgen als legitime Aktionsform oder tue ich das nicht? Und was halt nicht geht, ist, sich aus falsch verstandener Solidarität auf die Position zurückzuziehen: Wir sind friedlich, andere sind es nicht, aber das wollen wir nicht werten.

BZ: Was muss geschehen, dass so etwas wie vorvergangenen Mittwoch nicht wieder passiert? Die Mehrheit im politisch legitimierten Freiburg ist der Meinung, die Stadt brauche keine weiteren städtischen Wagenplätze.
Simms: Es gibt immer noch die Möglichkeit, Wagenburgen auf privatem Gelände anzusiedeln.
BZ: Und warum findet man keins?
Simms: Weiß ich auch nicht. Ich habe das Gefühl, die Rhinos sind damit überfordert. Hier wäre Hilfe aus der Mitte der Gesellschaft, zum Beispiel vom Runden Tisch, gar nicht schlecht.
Scherr: Die Rhinos wären bereit gewesen, das M1-Gelände zu verlassen, hätten sie eine Alternative gehabt. Sie haben allerdings zu spät angefangen, engagiert zu suchen. Die Stadt hätte als Zwischenlösung ein Gelände anbieten können, das später bebaut wird. Aber dazu hat sie klar Nein gesagt. Auch deshalb, um am Beispiel Rhino deutlich zu machen, dass keine weiteren Wagenplätze gewünscht sind.


BZ: Und weil bereits seit zwei Jahren verhandelt wurde.
Scherr: Das ist unstrittig und keine Kritik an der Stadt. Allerdings arbeitete sie in den letzten Wochen eher dagegen.
Simms: Inwiefern?
Scherr: Jetzt stehen die Rhinos auf dem noch unbebauten Grundstück einer Baugruppe in Vauban. Die Stadt hat diese Baugruppe gebeten, Rhino gleich miträumen zu lassen. Als sich die Baugruppe weigerte, ist das von der Stadt recht unfreundlich kommentiert worden. Auch die Bemühungen von Herrn von Gayling wurden nicht unterstützt.
Simms: Den Vorschlag hatte er schon vor fünf Jahren gemacht, und schon damals wurde er aus guten Gründen abgelehnt. Die Stadt hat in den letzten Jahren bei der Standortsuche für die Schattenparker viele städtische Grundstücke geprüft. Es ist klar, dass es keine geeigneten Grundstücke gibt.
Scherr: Wenn der politische Wille da wäre, gäbe es auch ein Grundstück.
Simms: Wo gibt’s denn bitte solche Grundstücke in Freiburg?
Scherr: Es gibt zumindest Grundstücke, auf denen erst in einigen Jahren gebaut wird. Die kämen für Zwischenlösungen in Frage.

BZ: Warum sollte die Stadt überhaupt in der Pflicht sein, einen Platz zu finden für eine sehr überschaubare Gruppe von Menschen?
Scherr: Die politische Grundsatzfrage ist: Sieht man Gruppen wie die Rhinos als Bereicherung für eine Stadt oder nicht? In der Tat finde ich, es ist die Verantwortung der Rhinos, selbst ein Gelände anzumieten. Nur ist das bei einer Wagenburg besonders schwierig. Warum Freiburg das nicht unterstützen sollte, weiß ich nicht.
Simms: Ist es Aufgabe einer Kommune, weitere städtische Flächen für Wagenburgen zur Verfügung zu stellen? Der Schattenparkerplatz wird gerade verlängert. Ich sehe momentan keine Mehrheit im Gemeinderat für einen weiteren städtischen Platz. Wir benötigen die städtischen Flächen für andere Zwecke, zum Beispiel für Mietwohnungsbau.

BZ: Hat sich nach den Ausschreitungen jetzt das Thema erledigt?
Simms: Die Art und Weise, wie das abging, hat den Rhinos und dem Anliegen von Wagenburgen einen Bärendienst erwiesen.
Scherr: Das ist vollkommen unstrittig. Das sehen die Rhinos übrigens auch so.
Simms: Für mich persönlich hat sich die Diskussion über Wagenburgen nicht erledigt, warum auch. Es gibt Menschen, die so wohnen wollen.
Scherr: Was die Stadt leisten könnte, ist, einen anderen Ton zu setzen. Zu sagen: Freiburg unterstützt die Idee der Wagenplätze. Dann hätten wir eine andere kommunikative Atmosphäre, das würde die unterstützen, mit denen man verhandeln kann, und die entmutigen, die Randale machen wollen. Wenn man eine Perspektive finden will, muss man die Debatte um diese Nacht beenden. Dieses Feld werden jetzt Polizei und Staatsanwaltschaft bearbeiten.
Simms: Und man sollte bitte ein anderes Verständnis der Stadt gegenüber entwickeln. Und nicht öffentlich so tun, als würden die größten Verbrecher im Rathaus sitzen, gleichzeitig aber Hilfe von ihnen einfordern. Das ist schizophren.
Scherr: Das stimmt. Das betrifft übrigens auch die autonome Szene, die einen ähnlichen Eiertanz aufführt. Die KTS etwa ist viel näher an der autonomen Szene als die Rhinos und kriegt von der Stadt einen ordentlichen finanziellen Zuschuss. Ich will das nicht in Frage stellen, aber diese Schizophrenie hat man in der Szene lange gepflegt und die Stadt hat mitgespielt. Diese wechselseitigen Feindbilder muss man aufbrechen, und banalerweise setzt das voraus, dass beide Seiten miteinander reden.

BZ: Falls das klappt: Rollen dann Wagenburgen aus ganz Deutschland an, wie der Gemeinderat befürchtet?
Simms: Freiburg ist eine attraktive Stadt, wir sind eine wachsende Stadt und es gibt ganz unterschiedliche Wohnbedürfnisse – auch das Leben in Wagen. Ich glaube, man sollte regionaler, über die Stadtgrenze hinaus, denken.
BZ: Wagenburgen in die March?
Simms: Warum denn nicht?
Scherr: Natürlich kann nicht jede Wagenburg, die hier anlandet, einen Platz kriegen; das geht nur im Rahmen der Möglichkeiten. Aber die Suche nach Möglichkeiten einzustellen ist nicht sinnvoll. Da dürfte man auch keine Wohnungen mehr bauen, weil dann noch mehr Leute nach Freiburg ziehen. Und Wagenburgen, das muss man auch sehen, sind keine Massenbewegung.


BZ: Der Runde Tisch Vauban will einen Arbeitskreis Alternatives Leben gründen.
Scherr: Das ist in Planung. Es soll ein offener Arbeitskreis werden, um eine konstruktive Debatte zu führen. Wahrscheinlich nach der Sommerpause wird es eine Einladung zur Mitarbeit geben.