Eine ganze Stadt hofft, dass sich der Albtraum von 2005 nicht wiederholt

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Erstveröffentlicht: 
28.05.2011

Demokratie in der Zwickmühle - Neonazi-Aufmarsch in Braunschweig bringt den Rechtsstaat an seine Grenze

 

Von Henning Noske

 

In Braunschweig bewegt sich derzeit alles auf ein Ereignis zu, das zu den traumatischen Ereignissen im Stadt-Gedächtnis zählt. Am 18. Juni 2005 kam es im Umfeld eines NPD-Aufmarsches, der Gegendemonstrationen und unter chaotischen Umständen zum "Braunschweiger Kessel".

 

Damals waren an einem heißen Sommertag 250 Menschen mehr als zwei Stunden lang auf dem Hagenmarkt zwischen Polizeiketten eingepfercht worden, darunter Schüler. 2006 hat der Landgericht Braunschweig entschieden, dass dieser Polizei-Einsatz rechtswidrig war.

 

Zwar geht man mittlerweile davon aus, dass es zu Einkesselungen und den ebenfalls als rechtswidrig beurteilten Wasserwerfereinsätzen wie am 18. Juni 2005 nicht mehr kommen wird.

 

Doch für den 4. Juni 2011 bahnt sich dennoch Ungemach an.

 

Denn die Ausgangssituation ist nahezu unverändert. Neonazi-Kreise - diesmal als private Anmelder - berufen sich auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und wollen in einem Demonstrationsmarsch durch die Stadt ziehen.

 

Rund 700 Teilnehmer aus dem extremen rechten politischen Spektrum sind für den 4. Juni angemeldet. Das Demonstrationsmotto lautet: "Tag der deutschen Zukunft - Ein Signal gegen Überfremdung - Gemeinsam für eine deutsche Zukunft."

 

Das reicht, um gleich mehrere Gegendemonstrationen auf den Plan zu rufen. Mehr noch: Am gleichen Tag findet in Braunschweig auf dem Kohlmarkt - traditionell am ersten Samstag im Juni - das Fest Braunschweig international statt - ein buntes, multikulturelles Massenereignis. Was hier aufeinandertrifft, passt nicht zusammen, schließt sich definitiv aus.

Mehr noch: Nach der polizeitaktischen Lagebewertung ergibt sich, "dass das zu erwartende Blockadeverhalten der Gegendemonstranten voraussichtlich mindestens den Umfang haben wird, wie dies anlässlich des Aufzuges der NPD in Braunschweig im Juni 2005 der Fall war". Wahrscheinlich, so die nüchterne Lagebeurteilung. "geht es noch darüber hinaus".

 

Die deshalb notwendige Absicherung der rechten Versammlung führe dazu, dass die Braunschweiger Innenstadt von Polizeikräften nahezu abgeriegelt werden müsse. Mit Frieden und Völkerverständigung, so sieht es aus, hat das alles nicht mehr viel zu tun. Es riecht eher nach Juni 2005.

 

Die Stadt Braunschweig verbot denn auch die rechte Demo mit Hinweis auf die Kollision, das Verwaltungsgericht Braunschweig bestätigte inzwischen das Verbot und strich heraus, dass auch das Fest Braunschweig international eine vom Grundgesetz geschützte Versammlung darstelle - in diesem Fall mit dem höheren Recht, weil den Rechten der Termin vor Anmeldung ihrer Demonstration bekannt gewesen sei.

 

Endgültig entscheiden muss nun das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, und es hat nur wenige Tage - dort ging am Donnerstag die erwartete Beschwerde ein. Damit nicht genug: Bereits gestern bat das OVG die Stadt Braunschweig zum Rapport, forderte Vorschläge für eine geänderte Marschroute durch Braunschweig an.

 

Oberbürgermeister Gert Hoffmann konterte noch gestern Abend, mit einer solchen Route könne die Stadt nicht dienen.

 

Eine Neonazi-Demo würde an jedem Ort Braunschweig International zunichte machen. Hoffmann: "Es gibt keine Plätze in der Stadt, auf denen die Neonazi-Demo am 4.  Juni keine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und keine Provokation darstellen würde."

 

Das ist die Warnung vor 2005, das ist die Lehre und Konsequenz aus 2005, deutlicher kann man das nicht sagen - doch eine Garantie für eine Aufrechterhaltung des Verbots ist es mitnichten.

 

Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Deutschlands führender Verfassungsrechtler Josef Isensee, warum: "Während die Städte und untere Verwaltungsgerichte zum Verbot rechter Demonstrationen tendieren, werden diese von den höheren Instanzen meist bestätigt. Dies liegt in der überragenden Bedeutung der Grundrechte in unserer Rechtsordnung begründet." Ganz klar: "Man kann Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit nicht danach gewähren oder einschränken , ob einem die Meinung passt."

 

Ohnehin drehen sich die Fronten: Mal plädieren Aktivisten gegen Demonstrationen und wollen sie stoppen. Sind sie hingegen selber Anmelder, kann es oft nicht liberal genug zugehen. Ein solches "Abwiegen" eines Grundrechtes aber kann es nicht geben, stellt Isensee klar. Ein Grundrecht ist ein Grundrecht - und genießt aus bestem Grunde höchsten Schutz.

Noch hat das OVG nicht entschieden. Selbst eine Bestätigung des Verbots durch die Lüneburger Richter wäre indes noch nicht das Aus für die rechten Marschierer. Vermutlich muss dann das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

 

Braunschweiger Zeitung: 28. Mai 2011, Hintergrund, Seite 03