Baggerprozess: Ein Urteil im Namen von Stuttgart 21

Baggerbesetzung in Stuttgart

Am Drehbuch war nichts zu rütteln. Es kam wie es kommen sollte: Ein politisches Urteilsspruch im Namen von Stuttgart 21.
Der dritte und vorerst letzter Akt des Theaterstücks "Baggerprozess" vor dem Stuttgarter Amtsgericht mit Richterin Probst sorgte immerhin für Unterhaltung bis in die Abendstunden. Die nächsten Prozesstage fallen aus.

 

Es kommt hier eine kurze Zusammenfassung.


Einen ausführlichen Bericht zum gestrigen Verhandlungstag gibt es schon auf dem Blog vom Eichhörnchen. Mit Highligt aus dem Plädoyer von Oberstaatsanwalt Häußler, der gestern persönlich anwesend war. Weil er aber die zwei ersten Verhandlungstage schwänzte, sorgte er für Unterhaltung in seinem Plädoyer...
Die sind lustig die Herrschaften in Robe, mit ihrer selbst erfundenen Wahrheit.

 

Am Dienstag abend, dem dritten Verhandlungstag, wurde gegen 20:30 Uhr das Urteil gegen die zwei KletteraktivistInnen von Robin Wood , die am 30. August 2010 mit der Besetzung eines Abrissbaggers für einen
sofortigen Baustopp demonstrierten, gesprochen.
Die Angeklagten wurden wegen Hausfriedensbruch zu 30 Tagessätze à 10 bzw. 8 Euro verurteilt.

Der Prozess wurde von zum Teil heftigen Außeinandersetzungen zwischen Gericht und Angeklagten geprägt, weil die zwei AktivistInnen sich nicht wie am Fließband unter Missachtung ihrer strafprozessualen Grundrechte
aburteilen lassen wollten. Das Grundrecht auf ein faires Verfahren missachtete die Amtsrichterin, indem sie den Angeklagten das Fertigen von Ablichtungen aus den Akten zunächst untersagte und dies erst auf dem
schriftlichen Antrag von Cécile hin doch genehmigte. Die Aktivistin hatte Rechtssprechung von höheren Gerichten im Sinne ihres Antrages herausgesucht und vorgetragen. Auch mit der Missachtung des Grundrechtes auf rechtlichen Gehör gaben sich die Angeklagten nicht zufrieden. Am ersten Verhandlungstag wurde ihnen von Richterin Probst das Abgeben einer Stellungnahme nach jedem Beweismittel nach dem § 157 der Strafprozessordnung untersagt. In einem Befangenheitsantrag wiesen die Angeklagten auf diesen Verstoß hin. Danach durften sie sich doch äußern...

" Das Gericht kommt seiner Fürsorgepflicht nicht nach und hält sich an das eigene Gesetz nicht: Von mir wird aber verlangt, dass ich mich an Gesetze halte! - Das bestätigt meine Aussage: Ohne Verletzung von Mensch- und Grundrechte wird die Politik, die über die köpfen der Menschen hinweg entschieden wird, nicht durchgesetzt. Bei einem Castortransport kommt es immer wieder zu hunderten rechtswidrigen Ingewahrsamnahmen, bei Versammlungen kommt es immer wieder zu rechtswidrigen Polizeihandlungen, wie am 30. September, dem schwarzen Donnerstag, geschehen. Und nun das Justiztheater." analysiert doe Angeklagte Cécile.

Strittig blieb die Frage, ob der von der Frima Wolf und Müller gestellter Strafantrag rechtsgültig ist. Hierzu stellten die Angeklagten zahlreiche Beweisanträge. An der Erforschung der Wahrheit war Richterin Probst nicht wirklich interessiert. Die Stellungnahmen der Angeklagten berücksichtigte sie auch nicht - was den Anforderungen des Grundrechtes auf rechtlichen Gehör nach Auffassung der Verteidigung nicht gerecht ist.
Die Richterin erklärte, sie entscheide im Freibeweisverfefahren. Beim Freibeweis genügt ein geringerer Grad an Überzeugung des Gerichts, Zeugenvernehmeung sind nicht notwendig.
"Ein Paragraf zur Wahrheitsschaffung, Rechtssprechung einfach gemacht!" Spottet Cécile

Zahlreiche Beweisanträge der Verteidigung betrafen weiter die Umstände der vorgeworfenen Handlung. Unter Beweis wurde die gefährliche Räumung durch das SEK, das Seile entgegen aller Sicherheitsvorschriften bei einer Höhenrettung Sicherhungseile der KletteraktivistInnen durchtrennte. Das Bauprojekt Stuttgart 21 wurde ebenfalls scharf kritisiert. Weil die Bevölkerung nicht angehört wurde, sei die Genehmigung von Stuttgart 21 rechtswidrig zustande gekommen. Das Projekt gefährde weiter die Umwelt und die Luftqualität der Stadt. Weil ein Volksentscheid in Stuttgart nicht möglich sei und in der Vergangenheit trotz über 60 000 Unterschiften abgelehnt wurde, sei es notwendig gewesen mit Protestaktionen aller Art, darunter auch Aktionen des zivilen Ungehorsams, aktiv zu werden.
Obwohl die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit durch das Gericht sich auf die Tatumstände erstreckt, wurden die Anträge abgelehnt. Die Umstände spielen sowohl bei der Frage, ob die angeklagte Handlung verwerflich ist (rechtfertigender Notstand, 34 StGB) als auch bei der Schuldfrage (§ 46 StGB) eine Rolle.

Die nächste Gerichtsinstanz wird sich mit diesen Fragen befassen müssen. Die Angeklagten haben gleich nach dem Urteilsspruch Rechtsmittel eingelegt.

"Außerparlamentarischer Widerstand ist die Anklage gegen den Staat und eine Pflicht der politisch bewussten Bevölkerung. Die Bestrafung des Widerstandes erfüllt schon gar nicht den Schutzzweck des
Hausfriedensbruchsparagrafes. Es gab weder ein Haus noch Frieden. Wenn die Politik über die Köpfen der Menschen hinweg entscheidet ist kein Frieden möglich. Meine Handlungen richte ich nicht nach der Strafbarkeit, sondern nach meinem Gewissen " Erklärte Kletteraktivistin Cécile am ende ihres einstündiges Plädoyers. Wie ihren Mitangeklagten plädierte sie auf Freispruch.

Einschüchtern, lassen sich die AktivistInnen wie zahlreiche MitstreiterInnen nicht. Am Montag und Dienstag beteiligen sie sich an der Blockade von Aussitzen, um Zeichen für einen sofortigen vollständigen Baustopp zu setzen.

Am 8. Juni wollen sie in Karlsruhe demonstrieren. Die Verteidigerin von Cécile, die am ersten Verhandlungstag vom Gericht abgelehnt wurde (§ 138 Abs. II StPO), will gegen diesen Beschluss Verfassungsbeschwerde einlegen.

Ausführliche Berichte über die Verhandlung und die heutigen Plädoyers :
http://blog.eichhoernchen.fr/tag/S21
Dort sind auch die gestellten Anträge dokumentiert. Plagiat erlaubt und sogar erwünscht....soweit  diese zweckmäßig eingesetzt werden: Als Sand im Getriebe der S21-Baustelle und der Urteilsfabrik. Damit S21 ein BauPROJEKT bleibt und Gerichte zu FREI-räumen für buntes Leben werden.