Aufstand im Feuilleton

Erstveröffentlicht: 
27.11.2010

Unter welchem Blickwinkel man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ausweglos. Das ist nicht der geringste ihrer Vorzüge." Gleich im ersten Satz die große These - und eine paradox anmutende Ergänzung. So beginnt das schmale Bändchen "Der kommende Aufstand", das derzeit die Feuilletonisten hierzulande bewegt. In Frankreich schon vor drei Jahren anonym erschienen, gilt es als nachträgliche Theorieschrift zu den Unruhen in den Pariser Banlieues 2005. Und es blieb erst einmal weitgehend unbeachtet. Wahrscheinlich, weil zwar die Analyse der gesellschaftlichen Missstände scharf und kraftvoll ist, der Vorschlagskatalog zur Veränderung aber ziemlich naiv - etwa: Kommunen bilden; sich organisieren, um nie wieder zu arbeiten; Plündern und die Sichtbarkeit meiden. Daniel Haufler

 

Unter welchem Blickwinkel man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ausweglos. Das ist nicht der geringste ihrer Vorzüge." Gleich im ersten Satz die große These - und eine paradox anmutende Ergänzung. So beginnt das schmale Bändchen "Der kommende Aufstand", das derzeit die Feuilletonisten hierzulande bewegt. In Frankreich schon vor drei Jahren anonym erschienen, gilt es als nachträgliche Theorieschrift zu den Unruhen in den Pariser Banlieues 2005. Und es blieb erst einmal weitgehend unbeachtet. Wahrscheinlich, weil zwar die Analyse der gesellschaftlichen Missstände scharf und kraftvoll ist, der Vorschlagskatalog zur Veränderung aber ziemlich naiv - etwa: Kommunen bilden; sich organisieren, um nie wieder zu arbeiten; Plündern und die Sichtbarkeit meiden.

 

Das öffentliche Interesse erwachte erst, wie Bettina de Cosnac im Tagesspiegel schreibt, als der vermeintliche Autor Julien Coupat 2008 für sechs Monate im Gefängnis landete: "Ein Justizskandal. Es bildeten sich Unterstützerkomitees, die Grünen setzten sich für Coupat ein." Die Aufregung hielt sich jedoch in Grenzen. Denn: "In den heißen Vorstadtquartieren liest niemand solche Manifeste", glaubt Gero von Randow auf zeit.de.

 

In deutschen Redaktionsstuben hingegen schon. Und das durchaus mit Wohlwollen. Axel Rühle pries in der Süddeutschen Zeitung den glänzenden Stil des Buches. Der Text komme "ohne das sonstige phraseologische Sperrholz linker Pamphlete aus, die Autoren schreiben mit situationistischem Schwung und gleichzeitig düster-revolutionärem Zorn eine 'Ästhetik des Widerstands' für das 21. Jahrhundert." Das Buch treffe durchaus einen Nerv, auch wenn es letztlich nur einen "pastellfarbenen Traum vom anderen Leben" anbiete. Ähnlich freundlich urteilten auch Nils Minkmar, der "Der kommende Aufstand" in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung als "glänzend geschriebene Zeitdiagnostik" lobte.

 

In der taz zeigt sich Johannes Thumfart von solchen Reaktionen irritiert, stütze sich die Argumentation des Buches doch auch auf Carl Schmitt, den Kronjuristen des Reiches, "dessen Thesen zum 'Ausnahmezustand', zum 'Partisanen' und zum Begriff des Politischen sie wiedergegeben. Ein anderer Haupteinfluss ist der Philosoph des nationalsozialistischen Denkdienstes, Martin Heidegger. Insbesondere seine Ressentiments gegen Technik und Moderne haben das Buch inspiriert." Mithin sei das Buch ein Paradebeispiel für die unkritische Frankophilie der sogenannten postmodernen Linken.

 

In der FAZ findet es Jürgen Kaube allerdings müßig zu diskutieren, ob das eine linke Theorie sei oder eine rechtsradikale. "Denn einmal haben sich ja schon lange die Motive der Kulturkritik vermischt, und wenn irgendwo Heidegger oder Carl Schmitt zitiert werden ... lässt das kaum Schlüsse auf politische Positionen zu." Und überhaupt handele es sich nicht um eine Theorie, sondern bloß um Jugendliteratur. Vielleicht werde das Buch deshalb auch nicht beschlagnahmt, so Helmut Höge in der taz, die Autonomenzeitschrift interim dagegen schon - und zwar wegen eines Satzes wie: "Haupsache, es knallt!"