Angriff auf russische Umweltschützer - "Wir kommen, um zu töten"

Erstveröffentlicht: 
23.07.2010

Willkommen in Russlands Realität: Im Morgengrauen haben rund hundert vermummte Schläger ein Camp von Umweltaktivisten bei Moskau überfallen, sie trampelten Zelte nieder, verletzen viele Naturschützer. Dann griff die Miliz ein - und verhaftete die Opfer.

 

Die Angreifer überraschten die Umweltschützer im Morgengrauen: Um fünf Uhr am Freitagmorgen attackierten mehrere Trupps Vermummter ein Zeltlager, dass Öko-Aktivisten unweit der Moskauer Stadtgrenze aufgeschlagen hatten. Die insgesamt hundert Angreifer verhüllten ihre Gesichter mit Tüchern und schwarzen Sturmhauben, sie riefen: "Wir sind gekommen, um aufzuräumen und zu töten."

 

Dann griffen sie die Umweltschützer an, trampelten deren Zelte nieder und verletzten mehrere der Aktivisten.

Notrufe bei der Polizei blieben zunächst ungehört. Später schickte die Miliz 40 Mann der Sondereinheit Omon, die jedoch nicht die Angreifer verhafteten, sondern die Umweltschützer sowie mehrere Journalisten. Nach Angaben von Radio Swoboda wurden bei den ruppigen Festnahmen mehrere Personen leicht verletzt.

 

Seit mehr als drei Jahren widersetzen sich die Waldschützer Plänen der russischen Zentralregierung und der örtlichen Verwaltung, eine Schneise durch den Wald von Chimki zu schlagen. Er gilt ihnen als "grüne Lunge" Moskaus, als ein beliebtes Naherholungsgebiet. Eine neue Schnellstraße soll mitten durch das Gelände gebaut werden, und Moskau mit dem rund 700 Kilometer entfernten St. Petersburg verbinden.

 

Barrikaden gegen Bulldozer

 

Die Gegner des Projekts halten den Bau der Trasse für gesetzeswidrig, es gebe andere Möglichkeiten für die Trassenführung. Jüngst billigten Gerichte gleichwohl den Straßenbau bei Chimki, allerdings in stark reduzierter Form: Ursprünglich sollte eine drei Kilometer breite Schneise durch den Wald geschlagen werden, angeblich für notwendige Infrastruktur längs der Fahrbahn. Jetzt ist nur noch von einem 300 Meter breiten Streifen die Rede, doch die Umweltschützer vertrauen den offiziellen Bekundungen nicht.

 

Seit einer Woche eskaliert der Konflikt im Wald. Bulldozer wurden zusammengezogen, die Aktivisten besetzten daraufhin das betroffene Waldstück, schlugen dort ihr Zeltlager auf, errichteten Barrikaden - und verhinderten so die Fällarbeiten.

 

Am Donnerstag rückten sie dann sogar Premierminister Wladimir Putin auf den Leib. 50 Aktivisten marschierten vor das "Weiße Haus" an der Moskwa, den Sitz der russischen Regierung. Medienwirksam schleppten sie Baumstämme mit sich - "Brennholz aus Chimki" - dass sie zusammen mit einer Petition Putin übergeben wollten.

 

Am Abend kam es zu einem ersten Zwischenfall: Rund zehn Unbekannte versuchten, sich Zugang zu dem Zeltlager bei Chimki zu verschaffen. Bereits Ende der vergangenen Woche war die Vorsitzende der "Bewegung zum Schutz des Chimki-Walds", Jewgenija Tschirikowa, angegriffen und mit einem Auto angefahren worden. Tschirikowa wurde nicht verletzt.

 

Die Leiden des Umweltaktivisten Beketow

 

Der Journalist und Umweltschützer Michail Beketow, 52, hingegen wird sich nie wieder von dem Attentat erholen. Einst sowjetischer Fallschirmjäger, berichtete Beketow lange Jahre als Kriegsreporter aus Tschetschenien und Afghanistan. 2006 gründete er die Zeitung "Chimskaja Prawda - Die Wahrheit von Chimki" und wurde zum Anführer der Bürgerinitiative gegen den Bau der Schnellstraße.

 

Beketow wurde bedroht, zuerst per Telefon. Dann fand er eines Tages seinen Hund vergiftet im Treppenhaus. Als sein Auto angesteckt wurde und explodierte, fragte sich Beketow, "was kommt wohl als nächstes?"

 

Im November 2008 lauerten ihm Unbekannte vor seinem Wohnhaus auf. Sie töteten ihn nicht, aber sie stellten sicher, dass Beketow niemals wieder einen Artikel veröffentlichen würde und brachen seine Finger. Dann ließen sie ihn blutend im Schnee zurück.

 

Erst Anfang dieses Monats ist Michail Beketow wieder nach Hause zurückgekehrt, nach anderthalb Jahren Behandlung. Heute sitzt er im Rollstuhl, die Ärzte mussten ein Bein amputieren, ebenso wie drei Finger. Er kann kaum sprechen, sein Gehirn ist schwer geschädigt.

 

Die Täter hat man bis heute nicht gefasst.

 

Von Benjamin Bidder, Moskau