Als erstes hört das Gericht den Zeugen F., der beim LKA Sachsen in der USBV (Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen)-Gruppe arbeitet und für die Bearbeitung von Explosionstatorten zuständig ist. Zum Anschlag Wilsdruffer Straße berichtet der Beamte, dass er am 1. November 2015 Bereitschaftsdienst gehabt habe. Er sei in der Nacht über den Angriff auf die Wohnung Asylsuchender informiert worden und hätte sich dann zum Tatort begeben. Etwa eine Stunde später sei er dort eingetroffen.
Am Tatort angekommen, habe der Beamte mit der Vermessung und Absuche des Tatorts begonnen. Drei Sprengzentren konnten die Beamten im Erdgeschoss des Hauses feststellen. Dort seien drei Fenster angegriffen und massiv beschädigt worden. Sie hätten etwa 15 bis 20 cm große Durchschläge aufgewiesen: „Sie können da mit dem Arm voll durchgreifen“, erklärt F. Teilweise seien auch die Fensterrahmen durchschlagen und die Fensterscharniere herausgebrochen gewesen. Ein kleiner Teil der Fenstersplitter habe vor dem Haus gelegen, der Zeuge denkt aber, dass 80 bis 90 Prozent in der Wohnung gelegen hätten. Im Inneren der Wohnung seien vor allem in drei Zimmern großflächig Scherben festzustellen gewesen, allerdings nur sehr wenige Reste der Sprengmittel. Bei der Suche im Außenbereich habe der Zeuge und seine Kollegen zahlreiche Pappreste der Sprengmittel sichergestellt. Darunter auch Stücke auf denen sich noch eine geringe Menge eines Textilklebebands feststellen ließ.
Die Splitterverteilung sei auch durch die Bauart der Fenster bedingt, erklärt der Beamte. Das habe er sich aber auch erst von einer Fensterfirma erklären lassen müssen, da er in dieser Frage Laie sei. Die Fenster seien wegen der anliegenden Bundesstraße schallgeschützt gewesen und doppelglasig ausgeführt. Auf eine drei Millimeter starke Außenscheibe sei eine Klebefolie zur Lautstärkedämpfung aufgebracht gewesen, dann folgte die acht Millimeter starke Innenscheibe. Die Außenscheibe sei durch die Klebefolie stabilisiert worden und nur punktuell durchschlagen worden. Die Innenscheibe hingegen sei komplett herausgebrochen. Dabei seien die großen Splitter „einfach heruntergefallen“, die kleineren Stücke seien in die jeweiligen Räume geflogen. Der Zeuge schätzt ein, dass die Schallisolierung auch die Explosionswirkung gedämpft habe, die Folie habe „Kraft aufgenommen“. Er denkt auch, dass diese Isolierung für Laien nicht erkennbar sei, solange das Fenster nicht kaputt sei.
Die während der Befragung in Augenschein genommenen Tatortfotos zeigen, dass die Betten in den Schlafräumen direkt an der Wand stehen, in einem Fall mit dem Kopfende des Bettes nur 50 bis 70 Zentimeter vom Fenster entfernt.
Der Beamte vermute angesichts des Schadensbilds, dass die Sprengkörper schräg zwischen Fensterbrett und Fensterecke eingelegt worden seien. Lediglich beim mittleren Fenster habe die meiste Kraft auf das Fensterbrett gewirkt, dort sei eine „massive Eindellung“ im Blech zu sehen gewesen. Möglicherweise sei der Sprengkörper dort anders abgelegt worden oder habe nicht in der Ecke gehalten, so die Vermutung des Sprengstoffexperten.
Eine eindeutige Identifizierung der Sprengkörper sei nicht möglich gewesen, da Beschriftungen entfernt worden seien. Das Schadensbild habe auf große Ausführungen von Sprengkörpern mit Perchlorat-Blitzknallsatz schließen lassen. Aus den Pappresten habe der Ermittler außerdem einen Ringabschnitt der verwendeten Sprengkörper rekonstruieren und so deren Durchmesser bestimmen können, die Wandstärke der Pappe habe weitere Hinweise auf die möglichen Sprengkörpertypen geliefert. Mit Hilfe der pyrotechnischen Sammlung des USBV-Dezernats, „vermutlich die größte in ganz Deutschland“, habe F. die verwendeten Typen aber eingrenzen können. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass entweder Viper-12- oder Cobra-12-Sprengkörper zum Einsatz gekommen seien. Da sei er sich „sehr sicher“, ein Cobra-6-Sprengkörper könne er nahezu ausschließen. Er schränkt jedoch ein, dass die Herstellung solcher Sprengkörper nicht einheitlich sei und teilweise verschiedene Varianten mit derselben Bezeichnung kursieren. Auch sei denkbar, dass ein Sprengkörper mit der Dimension eines Cobra-12 als Cobra-6 bezeichnet worden sei. Oft würden solche Sprengmittel in Hinterhofwerkstätten gefertigt.
Zu den Ausführungen des USBV-Spezialisten gibt es noch eine Reihe an Nachfragen. Sie zielen unter anderem auf die Sprengmittelsammlung des LKA. Der Zeuge erläutert, dass diese fortlaufend aktualisiert werde. Ein Kollege kaufe dazu regelmäßig, insbesondere auch zum Jahresende, Sprengkörper auf den Märkten in Polen und Tschechien, sowie im Versandhandel. Länger diskutiert wird auch die Frage eines möglichen Sichtschutzes hinter den Fenstern. Der Zeuge will einen solchen zumindest an einem der Schlafzimmer erkannt haben, die Innenaufnahmen zeigen jedoch keinen Vorhang oder etwas ähnliches. Der Beamte nimmt aber an, dass er ihn nicht entfernt hätte, ohne das zu notieren.
Eine weitere Frage ist die Personenbewegung im Tatortbereich. Während der Arbeit außen habe der Beamte einmal Bewegung in einem der Schlafzimmer wahrgenommen, er habe jedoch nicht sehen können, wer dort gewesen sei. Bei den Glassplittern im Flur habe er angenommen, dass diese durch die anschließenden Bewegungen der Bewohner dort hingelangt seien. Er und seine Kollegen hätten dort jedenfalls nur „oberflächlich“ gesucht. Das sei für ihre Aufgabe auch nicht relevant gewesen.
Nach der zweieinhalbstündigen Vernehmung wird der Zeuge entlassen.
Im Anschluss vernimmt das Gericht Matthias R., der zum Tatzeitpunkt über der angegriffenen Wohnung in der Wilsdruffer Straße gewohnt hat. Der Zeuge schildert, dass er sich mit den Asylsuchenden gut verstanden habe. An dem fraglichen Abend sei er auch noch einmal in der Wohnung im Erdgeschoss gewesen. Diese habe er gegen 23 Uhr verlassen und sei dann nach oben ins Bett gegangen. Gegen 0:45 Uhr sei er von einem „heftigen Schlag“ geweckt worden. Er habe drei kurz aufeinanderfolgende Explosionen wahrgenommen und eine „leichte Schockwelle“ gespürt. Der Fußboden habe dabei gebebt.
Er habe sich angezogen und sei nach unten geeilt, wo er schon Schreie gehört habe. Er sei der Erste gewesen, der zu den Asylsuchenden gekommen sei. Er habe geschaut, ob jemand verletzt gewesen sei. Dann sei er erneut in seine Wohnung, um sein Mobiltelefon zu holen und die Polizei zu verständigen. Das sei etwa fünf Minuten nach den Explosionen gewesen. Bis die Polizei eintraf, hätte er mit den Bewohnern der angegriffenen Wohnung im Treppenhaus gewartet, um keine Spuren zu verwischen. Er erinnert sich, dass die Bewohner aber Angst um ihre persönlichen Sachen gehabt hätten und eventuell ihre Telefone aus den Zimmern geholt hätten. Den Zustand der Asylsuchenden beschreibt er als „aufgelöst“.
Zunächst seien zwei Streifenpolizisten eingetroffen, später dann eine „Sondereinheit“ für die Spurensicherung. Einer der Flüchtlinge, A., habe gut englisch gesprochen. Der habe ihm den Ablauf geschildert, Matthias R. selbst habe das den Beamten übersetzt. Ansonsten habe er seine Eindrücke geschildert. Eine direkte Vernehmung der Geschädigten habe er nicht gesehen, von den Bewohnern seien lediglich die Personalien aufgenommen worden.
R. erinnert sich auch an einen weinroten BMW, der auffällig langsam am Haus vorbei gefahren sei. Erst aus Richtung Wilsdruff kommend, dann in die entgegengesetzte Richtung. Im PKW habe er mehrere Personen sitzen sehen. Früher am Abend, als er bei den Geflüchteten in der Wohnung gewesen war, habe er auch drei oder vier Personen auf der Straße vorbei laufen sehen, die auch zum Haus herüber geschaut hätten.
Nachdem die Polizei am Tatort die Spuren gesichert habe und freigegeben habe, habe R. Fotos der Schäden gefertigt. Das rechte Fenster habe nur noch oben an einem Bügel für den Kippmechanismus gehangen, er habe das grob gerichtet und notdürftig gesichert, in dem er einen Schrank davor geschoben habe. Auch die anderen Fenster seien stark beschädigt gewesen. Teilweise habe es auch Schäden am Gemäuer gegeben. „Das hätte man sich so gar nicht vorstellen können“, beschreibt er seinen Eindruck zu den Explosionsfolgen. In einem Zimmer sei ein Vorhang samt Stange heruntergerissen gewesen und habe in der Mitte des Raumes gelegen.
Zum Abschluss der Befragung spielt das Gericht die Aufzeichnung des Notrufs ein. Nach insgesamt 40 Minuten entlässt das Gericht den Zeugen aus der Vernehmung.
Dritter Zeuge des Tages ist der 23-jährige A., der den Anschlag auf die Bahnhofstraße miterlebt hat. Seine Aussage wird von einem Dolmetscher übertragen. Darin schildert er recht knapp die Ereignisse des Tatabends. Nach dem Abendessen sei er und seine Mitbewohner, insgesamt acht Personen, ins Bett gegangen. Er sei in seinem Zimmer zusammen mit einem Mitbewohner gewesen. Später habe er eine laute Explosion vernommen. Diese habe das Küchenfenster zerstört und Glassplitter in Küche und Flur verteilt. Wo sich Splitter befanden, habe er später in einer Skizze bei einer polizeilichen Vernehmung eingezeichnet. Er erinnert sich, dass sowohl der Kühlschrank als auch der Herd offen gestanden hätten. Über der Tür, an der dem Fenster gegenüberliegenden Wand, habe es eine Beschädigung im Putz gegeben, die vor der Explosion noch nicht da gewesen sei.
Nach der Explosion seien sie erst aus ihrem Zimmer in den Flur und dann vor das Haus gelaufen. A. sagt, dass ihn die Explosion erschrocken habe und das er und seine Mitbewohner geschockt gewesen seien. Verletzungen habe er aber keine gesehen. Dann sei die Polizei eingetroffen und habe den Tatort untersucht und fotografiert.
A. berichtet auch von weiteren Vorfällen an der Wohnung. Schon einmal habe es eine Explosion gegeben, etwa drei Wochen vor dem Anschlag im September. In der Nähe des Fensters sei ein Sprengkörper explodiert, wodurch Rauch und Papierschnipsel eingedrungen seien. Draußen unter dem Fenster habe außerdem ein Kartonstück gelegen. Die Polizei sei bei diesem Vorfall aber nicht gekommen. A. erinnert sich auch an einen Vorfall mit Pfefferspray. Erst habe es geklingelt, dann habe jemand „Rauch“ in die Wohnung gesprüht. Bei einem dritten Fall hätten etwa 13- bis 15-jährige Kinder Steine durch die Fenster der Wohnung geworfen. Sie hätten diese verfolgt, „festgenommen“ und der Polizei übergeben.
Zum Abschluss der Vernehmung übernimmt RA Hollstein die schon bekannten Fragen von RA Kohlmann. Er fragt den Zeugen, ob er wisse, was Drogen seien. Der Dolmetscher übersetzt seine Antwort mit: nein das wisse er nicht. RA Schieder will daraufhin wissen, ob er Kokain kenne. Auch das verneint der Zeuge. Als RA Sittner behauptet, in Eritrea werde doch großflächig Cannabis angebaut, intervenieren die Vertreter_innen der Nebenklage: Das sei eine gänzlich unbelegte Behauptung, außerdem sollten die Verteidiger überlegen, ob sie nicht ein Grundwissen voraussetzen, dass so nicht bei jedem Menschen vorhanden sein muss. Der Zeuge, er berichtet, dass er als orthodoxer Christ lebt, erklärt er interessiere sich nicht für das Thema und habe deswegen dazu kein Wissen. Dann endet die knapp einstündige Befragung und der 25. Verhandlungstag.
Der erste Zeuge Tobias S. berichtet über den Vorfall Overbeckstraße. Er habe in der Nacht des Angriffs bei seiner Freundin in der Wohnung übernachtet. Diese liegt im Haus neben der Overbeckstraße und dort im obersten Stockwerk. Der Zeuge berichetet, dass er von einem Knallen geweckt worden sei. Zunächst sei er liegen geblieben und habe sich nichts dabei gedacht, nachdem die Explosionen jedoch nicht aufgehört hätten, sei er aufgestanden und habe aus den Fenstern des Zimmers geschaut. Dabei habe er zum einen drei maskierte, schwarz gekleidete Personen wahrgenommen, die das Nachbarhaus mit faustgroßen Steinen beworfen hätten. Diese hätten an einem grünen Laster gestanden. S. habe eine Person klar sehen können, diese habe bei der Sache „scheinbar ihren Spaß“ gehabt, so sein Eindruck. Zwei weitere Personen habe er außerdem wegrennen sehen.
Die Rückseite des Hauses könne er aus den Fenstern kaum einsehen, außerdem sei es dunkel gewesen. Dennoch habe er auch hinter dem Haus eine Person entlang „huschen“ sehen. Bei den Knallgeräuschen habe er damals an Granaten gedacht, wobei er heute aufgrund seiner Tätigkeit als Zeitsoldat wisse, dass eine Handgranate lauter sei. Dennoch ist er sich sicher, dass es keine normalen Silvesterböller gewesen seien, die da gezündet worden. Die Sprengkörper seien „druckvoll“ detoniert.
Da er sich Sorgen um sein Auto gemacht habe, habe sich der Zeuge angezogen und sei nach unten gegangen. Als er die Straße betrat, seien drei Personen in Richtung Sternstraße geflüchtet. Bereits auf der Straße sei ihm der Gestank von Buttersäure aufgefallen, außerdem hätten dort Glasscherben gelegen. Er sei dann zu dem angegriffenen Haus gegangen und habe gesehen, dass dort Fenster eingeschlagen waren und abgeplatzter Putz herumgelegen habe. Er habe ein Frau an einem Fenster gesehen und kurz mit ihr gesprochen, sie habe zu ihm gesagt, er solle erstmal nach hinten kommen.
Er sei dann hinter das Haus gegangen, zunächst habe ihm niemand die Tür öffnen wollen. Die Leute seien zum Teil verängstigt gewesen, zunächst habe er fünf bis sechs Personen gesehen. Als die Tür geöffnet wurde, seien vielleicht zehn bis zwölf Leute auf einmal herausgekommen. Er habe sich kurz mit den Leuten verständigt. Gesehen habe der Zeuge auch, dass eine Person eine „Eisenstange“ und eine andere einen „Baseballschläger“ in der Hand gehalten habe. Die Polizei sei noch nicht gerufen worden, das habe Tobias S. dann selbst gemacht. Er hatte den Eindruck, das sei nicht gut angekommen, warum, wisse er aber nicht. Bevor er mit drei weiteren Personen nach vorn gegangen sei, habe er noch zwei Personen auf einem Balkon gesehen, die, obwohl „vermummt“, geraucht hätten. Schäden habe er dort nicht wahrgenommen, Tobias S. erinnert sich aber, dass er auf die Personen konzentriert gewesen sei und das Umfeld kaum wahrgenommen habe. Offensichtlich verletzte Personen habe er keine gesehen.
Der Zeuge habe dann an der Straße mit zwei jungen Frauen und einem älteren Herrn, der wohl der Vater einer Person aus dem Haus gewesen sei, auf das Eintreffen der Polizei gewartet. Zwischenzeitlich habe sich S. erkundigt, was passiert sei. Dann sei ein Streifenwagen aus Richtung Washingtonstraße eingetroffen, ein weiterer aus Richtung Sternstraße. Die Beamten hätten sich einen Überblick verschafft und S. befragt. Er habe den in seiner Erinnerung „heftigen Angriff“ geschildert. Seine Aussage sei aufgenommen worden und dann habe man ihm gesagt, dass er wieder hochgehen könne, was S. auch getan habe, da er am nächsten Tag arbeiten musste.
Von den Nachbarn selbst habe er einen guten Eindruck gehabt, dass seien „nette Leute“ gewesen, die vor Partys auch immer alle schriftlich informiert und eingeladen hätten. Sie seien sehr offen gewesen und hätten mit ihm kein Problem gehabt.
Nach gut einer Stunde endet die Befragung und die nächsten beiden Zeugen werden im Sitzungssaal belehrt. Sandro M. und sein Bruder Kevin M. geben jedoch nur ihre Personalien an und berufen sich ansonsten auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht, da zumindest gegen Sandro M. Ermittlungen laufen. Sie werden kurz darauf entlassen.
Zum Abschluss wird die Zeugin Stefanie M. gehört. Die Polizeibeamtin war gemeinsam mit ihrem Dienstgruppenführer zuerst am Tatort Wilsdruffer Straße. Sie seien damals vom Lagezentrum über eine Detonation an einem Wohnhaus informiert worden. Sie hätten da schon geahnt, worum es ging, es sei schließlich in der Zeit gewesen, in der es in Freital „ein bisschen extremer“ war.
Als sie am Objekt eintrafen, habe sie bereits Anwohner vor dem Haus stehen sehen, darunter denjenigen, der die Polizei informiert hatte. Es habe ein „riesiges“ Detonationsfeld gegeben, weswegen ihr Kollege sofort die Spurensicherung und die USBV-Gruppe hinzugezogen hätte. M. habe sich um die Fotodokumentation am Tatort gekümmert. Dabei habe sie sich bemüht „spurenschonend“ vorzugehen und den Tatort unverändert zu lassen. Außerdem habe sie geschaut, wer als Zeuge in Frage komme und habe sich auch mit um die Sicherung des Gebäudes gekümmert. Das sei durch die Sprachbarriere nicht einfach gewesen, weil die Bewohner sehr aufgeregt gewesen seien und nicht verstanden hätten, dass sie die Räume nicht betreten durften. Sie hätten sie letztlich in einen der Straße abgewandten Wohnraum gebracht. Bei einem der Bewohner habe die Beamtin leichte Schnittverletzungen an der Stirn festgestellt.
Im Inneren, erinnert sich die Beamtin, habe es vor der Küche und dem linken Wohnraum ein Splitterfeld gegeben, das bis in den Vorraum gereicht habe. Sie habe den Eindruck gehabt, dass das „richtig aus den Türen“ heraus gekommen sei und sich bis in eine Entfernung von fünf bis sieben Metern verteilt habe. Sie denkt nicht, dass das per Fuß „herumgetragen“ worden sei. Das könne bei einzelnen Splittern passieren, aber nicht in der „Masse“, wie sie am Tatort vorzufinden gewesen sei. Aufgrund der Explosionsschäden habe sie vermutet, dass es sich bei den Fenstern um „sehr gute Fenster“ gehandelt haben müsse, denn sie seien nicht komplett gesplittert gewesen, obwohl stellenweise sogar „Mauerwerk“ herausgesprengt worden sei.
Nach der knapp halbstündigen Vernehmung nimmt das Gericht noch Fotos der Geburtstagsparty von Kevin M. in Augenschein. Dann endet der 26. Prozesstag.
Die Hauptverhandlung beginnt mit der Vernehmung von Hauptkommissar P., der Spurenmaterial vom Anschlag Overbeckstraße bearbeitet hat. P. berichtet knapp, dass er am 20. Oktober 2015 drei Spuren aus dem Spurenzimmer der Dienststelle genommen habe. Dabei habe es sich um eine deformierte braune Flasche gehandelt, außerdem um eine gleichfarbige intakte Flasche, die mit Flüssigkeit gefüllt und an der mit Klebeband ein Sprengkörper befestigt gewesen sei, sowie um die „angerusten“ Reste eines Sprengkörpers. Die Gegenstände hätten „schrecklich gestunken“, P. vermute, es habe sich bei der Flüssigkeit um Buttersäure gehandelt, weswegen der Beamte die Gegenstände in Plastiktüten eingeschweißt habe, um sie anschließend in den „Umlauf“ zu geben. Selbst habe er keine Spurensicherung vornehmen können, erklärt der Zeuge, da das „über unsere Möglichkeiten“ hinaus gegangen sei. Er habe eine kriminaltechnische Untersuchung beauftragt und angeregt DNA– und Fingerabdruckspuren zu sichern, die Flüssigkeit zu identifizieren und eine Klassifizierung des Sprengkörpers vorzunehmen.
Auf Nachfrage erklärt P., dass er keine Kenntnis von weiteren Spuren zum Fall Overbeckstraße habe. Seiner Meinung nach sind die drei Spuren die Gegenstände, die zum Fall gehören. Von den Ergebnissen der Untersuchung wisse er nichts. Der Zeuge wird nach 20 Minuten entlassen.
Da der nächste Zeuge erst 11 Uhr geladen ist, richtet der Beisitzende Richter Scheuring mehrere Fragen an den Angeklagten Patrick F., der sich bereits an den Prozesstagen 14 und 15 eingelassen hatte. Der Angeklagte erklärt, dass er bei einem Sprengversuch auf einem Feld in Freital-Weißig selbst nicht dabei gewesen sei. Er wisse aber, dass dort Timo S. involviert gewesen sei, weil in dessen Auto später die Kugelbombe sichergestellt worden wäre, die ursprünglich beim Sprengversuch gezündet werden sollte. Das habe aber nicht geklappt. Zeitlich sei der Sprengversuch einige Tage vor dem „ersten Anschlag“ auf die Bahnhofstraße gewesen, so der Angeklagte.
Bei den Ausschreitungen in Heidenau im August 2015 seien neben ihm selbst auch Justin S., Timo S., und Mike S. dabei gewesen, sowohl am Freitag, als auch am Samstag. Bei Rico K. sei er sich nicht mehr sicher. Die Freie Kameradschaft Dresden (FKD) sei ebenfalls vor Ort gewesen, allerdings könne er keine Namen nennen, erklärt Patrick F., eine bildliche Zuordnung könne er aber gegebenenfalls vornehmen. Auf die Frage, seit wann ihm klar gewesen sei, dass Rico K. Teil der FKD gewesen sei, antwortet Patrick F., er könne das nicht genau sagen, das habe sich „schleichend“ ergeben. Ansonsten sei er eher „einer von uns“ gewesen, so der Angeklagte.
Kurz nach 11 Uhr nimmt der Polizeibeamte B. im Zeugenstand Platz. Er war im September 2015 als Dienstgruppenführer im Streifendienst beim Revier Dippoldiswalde aktiv. Er berichtet zunächst vom Anschlag Bahnhofstraße. An dem Abend sei „einiges los“ gewesen, er sei mit einem Kollegen bei einem Einbruch gewesen, als er vom Lagezentrum über einen „lauten Knall“ in der Bahnhofstraße informiert worden sei. Warum das Lagezentrum keine anderen Kräfte hinbeordert habe, wisse er nicht. Nach einem zweiten Anruf, in dem mitgeteilt worden sei, dass noch immer niemand vor Ort sei, habe er sich mit seinem Kollegen auf den Weg gemacht.
An der Bahnhofstraße angekommen, habe er sich einen Überblick verschafft. Vor dem Haus hätten mehrere Personen gestanden, zum Teil in Decken gehüllt. Ein Fenster sei offenkundig beschädigt gewesen. B. habe zunächst mit der Person gesprochen, die den Notruf gewählt habe. Die habe von einem lauten Knall gegen 0 Uhr berichtet. B. habe mit seinem Kollegen zunächst den Bereich vor dem Fenster mit dem Splitterfeld gesichert und dann mit den „sehr aufgeregten“ Bewohnern Kontakt aufgenommen, in englisch und teils „mit Händen und Füßen“. Im Innenbereich hätten sie anschließend die Küche und den Nebenraum mit Flatterband abgesperrt. Da Teile des Fensters auch auf dem gegenüberliegenden Fußweg lagen, habe der Beamte entschieden, die komplette Bahnhofstraße zu sperren. Da er als Laie angesichts der Schäden und des Splitterfelds von der „Umsetzung einer Sprengvorrichtung“ ausgegangen sei, habe er die entsprechenden Fachdienste angefordert.
Sie hätten dann weiterhin versucht die Lage „etwas zu strukturieren“. Sein Kollege habe einen Zeugen vernommen, die Bewohner der angegriffenen Wohnung seien in andere nicht betroffene Wohnräume gebeten worden und seien dem auch nachgekommen. Der Versuch über das Landratsamt eine andere Unterbringung zu organisieren, habe nicht geklappt, so der Beamte. Die USBV-Gruppe und weitere Verstärkung seien dann gegen 2 oder 3 Uhr eingetroffen. In der Folge sei außerdem eine Personengruppe auf der Bahnhofstraße aufgetaucht, darunter eine Frau, die behauptet hätte, in der Wohnung würden „Dealer“ wohnen. Die Polizeibeamten sollten sich darum kümmern. B. habe daraufhin die Personengruppe unter Androhung von Platzverweisen weggeschickt. Später habe sich die zusätzliche Streifenwagenbesatzung um die Absperrung gekümmert. Gegen 4 oder 5 Uhr sei die Arbeit des Streifendienstes am Tatort beendet gewesen.
Am nächsten Tag folgte dann der Anschlag auf das Parteibüro der Linken. Der Beamte und die gesamte Dienstschicht sei im Moment der Detonation im Revier gewesen. Dort hätten sie den lauten Knall gehört, da das Büro nur wenige 100 Meter entfernt sei. Dann sei schon ein Notruf eines Nachbarn eingegangen und ein Anruf aus der Rettungsleitstelle, wo sich ebenfalls Leute gemeldet hätten. B. habe drei Fahrzeuge seiner Schicht „raus verlegt“. Eine Streife sei zum Tatort gefahren, zwei weitere hätten die Tatortbereichsfahndung aufgenommen. Er selbst sei ebenfalls zum Tatort gefahren. Dort habe er gesehen, dass die große Scheibe des Linken-Büros beschädigt gewesen sei.
B. habe wieder die Tatort- und USBV-Gruppe angefordert und dann den Gehwegbereich vor dem Büro absperren lassen. Er habe vermutet, dass ein Zusammenhang zum Vorfall in der Bahnhofstraße bestehe, da die Vorgehensweise „ähnlich“ gewesen sei. Eine Zeugin sei befragt worden, aber sie habe keine Täter beschreiben können. Später sei der Stadtrat Richter und eine Abgeordnete am Büro eingetroffen. Aufgefallen sei ihm außerdem eine Person, die sich „die ganze Zeit“ auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgehalten habe. Von der Person seien auch die Personalien aufgenommen worden. Die ebenfalls angerückte Feuerwehr habe noch ausgeschlossen, dass ein Brandherd entstanden sei. Ansonsten sei der Fall für den Zeugen „relativ schnell“ erledigt gewesen. Er bestätigt, dass der Kriminaldauerdienst noch Videomaterial der ARAL-Tankstelle gesichert habe. Damit endet die Befragung.
Als nächstes wird die Vernehmung der Zeugin K. aus der Overbeckstraße fortgesetzt. Sie hatte bereits am Prozesstag 24 ausgesagt und war gebeten worden, heute noch einmal zur Frage der Fensterschäden Belege vorzulegen. Die Zeugin hat dem Gericht einen Kostenvoranschlag mitgebracht, der so zur Schadensmeldung auch bei der Versicherung eingereicht worden sei, und eine Rechnung über die erbrachten Arbeitsleistungen. Durch den Angriff im Oktober 2015 seien insgesamt neun Scheiben beschädigt und anschließend ausgetauscht worden, erläutert die Zeugin. Die Aufwendungen belaufen sich auf mehrere hundert Euro, die erbrachte Eigenleistung lasse sich rückwirkend jedoch nicht mehr aufschlüsseln. Nachdem diese offenen Fragen geklärt sind, wird die Zeugin entlassen.
Als letztes vernimmt das Gericht Hauptkommissar F., der den Einsatz nach dem Angriff auf die Overbeckstraße geleitet hat. F. berichtet, dass er schon ein paar Stunden im Dienst gewesen sei, als in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2015 mehrere Notrufe im Lagezentrum eingegangen seien. F. sei informiert worden, dass mehrere Personen ein Mehrfamilienhaus angreifen würden: „Ein dringender Sachverhalt“, erklärt der Zeuge, der sich daraufhin mit insgesamt vier Kollegen zum Tatort begeben habe. Vor dem Haus hätte eine Personengruppe an der Straße gewartet, F. habe mit der Zeugin K. gesprochen, die ihm geschildert habe, dass es gegen Mitternacht Stein- und Böllerwürfe gegen das Haus gegeben habe.
Vermutlich nachdem sie über die Fluchtrichtung der Angreifer informiert wurden, sei ein Streifenwagen mit zwei Beamten weggefahren, um mögliche Täter zu finden. Ob und wann die Beamten zurückgekommen seien, wisse er aber nicht mehr. Überhaupt fallen die Schilderungen des Zeugen spärlich aus. Er habe dann mit der Zeugin, die auch Geschäftsführerin der Haus-GmbH gewesen sei, „Einzelheiten“ besprochen. Dabei sei die Stimmung „ruhig“ gewesen, „auf keinen Fall aggressiv“. An die Dauer des Gespräches könne er sich nicht mehr erinnern. Gefragt, wer im Haus wohne, habe er nicht, räumt der Zeuge ein. Der Vorsitzende Richter Fresemann bemerkt, dass es dazu „keine besonderen kriminalistischen Fähigkeiten“ brauche.
Behinderungen seitens der Hausbewohner habe es nicht gegeben, erklärt der Zeuge auf Nachfrage. Auch eine Bewaffnung habe er nicht festgestellt: „Das wäre mir aufgefallen.“ Gesichert worden seien lediglich zwei Flaschen, die auf der Hofseite in der Nähe einer Sitzbank gefunden wurden, erzählt der Hauptkommissar weiter. Eine davon sei deformiert gewesen, an der anderen sei ein „Böller“ befestigt gewesen. Beide hätten stark nach Buttersäure gestunken. In einem später gefertigten Vermerk habe F. eingeschätzt, dass es den Tätern darum gegangen sei, das Haus damit unbewohnbar zu machen.
Von einem Stein im Inneren des Hauses sei F. zwar in Kenntnis gesetzt worden, er habe diesen aber nicht sichergestellt. „Der Gedanke lag nahe“, erklärt er heute, er meint aber, dass der Stein vom Grundstück stamme und die Flaschen für ihn „spurentechnisch“ relevanter gewesen seien. Ob Reste der Pyrotechnik gesichert worden seien, wisse er nicht mehr. Im Objekt selbst sei er nicht drin gewesen, aber ein auszubildender Polizeimeisteranwärter habe Fotografien der Schäden in seinem Auftrag gefertigt, die das Gericht auch in Augenschein nimmt. An einen gezündeten Sprengkörper im Hausinneren könne sich F. nicht erinnern.
Auf die Befragung weiterer Zeugen aus dem Haus habe er „bewusst“ verzichtet, da er die Leute erst einmal zur Ruhe kommen lassen wollte und sein „Hauptaugenmerk“ nicht darauf gelegen habe. Ob der dritte Beamte vor Ort einen konkreten Auftrag hatte, wisse er nicht mehr. Den Kriminaldauerdienst oder die USBV-Gruppe habe F. nicht hinzugezogen. Ob das später geschehen sei, wisse er nicht. Überhaupt könne er nicht mehr sagen, ob noch Verstärkung eingetroffen sei.
Die Befragung zieht sich über etwa anderthalb Stunden. Die Verteidigung spricht von einem „Skandal“ angesichts der Erinnerungslücken des Beamten, der zuweilen minutenlang nicht auf Fragen antwortet. Auch die Bundesanwaltschaft bekundet, dass sie sich eine „bessere Vorbereitung“ durch den Zeugen gewünscht hätte, verweist aber auch auf die Vielzahl an zwischenzeitlichen Einsätzen. Erinnerungslücken seien da nicht „fern jeder Lebenserfahrung“.
Bericht aus Sicht der Nebenklage und fortlaufender Pressespiegel
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