Der vertraute Rechtsextreme

Erstveröffentlicht: 
18.08.2017

Der Bautzener Neonazi Marco Wruck und Landrats-Vize Udo Witschas von der CDU kommunizieren eifrig übers Handy.

 

Von Sebastian Kositz und Ulrich Wolf

 

Bautzen. Von „Wertschätzung“ ist die Rede. Von „Sachlichkeit“. Man wünscht sich eine „Gute Nacht“ und spricht sich ab. Der Kontakt zwischen dem christdemokratischen Bautzener Landratsvize Udo Witschas und dem Neonazi Marco Wruck ist wesentlich vertrauter als bislang bekannt. Das geht aus einem Chat hervor, den Wruck über den Messenger-Account seiner Lebensgefährtin mit dem CDU-Mann führte und der der SZ teilweise vorliegt.

 

Nach den jüngsten Krawallen zwischen Deutschen und Asylbewerbern in Bautzen hatten sich Witschas und Wruck Anfang August im Landratsamt zu einem fast dreistündigen Gespräch getroffen. Beide sprachen dabei auch über einen als „King Abode“ bekannt gewordenen libyschen Flüchtling, der aufseiten der Asylbewerber als Rädelsführer gilt. Mehr als 20 Straftaten soll der junge Afrikaner in den vergangenen zwei Jahren bereits begangen haben. Mittlerweile darf er Bautzen für drei Monate nicht betreten.

 

Wie zwei Freunde ein- und derselben Partei diskutieren Witschas und Wruck das Drama um „King Abode“ zudem auf dem Facebook Messenger. Der CDU-Mann informiert den Neonazi über den kurzfristigen Aufenthalt des Libyers in einem Fachkrankenhaus: „Ja, die Klinik musste Abode heute wieder verlassen.“ Und weiter: „Das Innenministerium war nicht bereit, ihn in eine Erstaufnahmeeinrichtung zu überführen. Man hat mir klar gesagt, dass wir ihn bei uns behalten müssen.“ Dahinter setzt Witschas ein Emoji mit traurigem Gesicht. Der wegen Betrugs vorbestrafte und im Verfassungsschutzbericht 2016 erwähnte NPD-Mann tröstet: „Darüber sprechen wir morgen. Eventuell werde ich mich dazu dann auch vor der Presse äußern.“ Das Wort „Presse“ lässt den Vize-Landrat jedoch nicht zusammenzucken. Im Gegenteil. „Habe ich kein Problem damit“, antwortet er Wruck. „Die konkreten Umstände kann ich morgen erläutern.“

 

Auch über das Betretungsverbot für den Libyer informiert der Erste Beigeordnete des Landkreises Bautzen den Rechtsextremen. Das Verbot, so Witschas, habe seine „Handlungsweise vollstens“ bestärkt. Dahinter setzt er das Symbol eines erhobenen Daumens. Wruck fragt zurück: „Super. Kann ich das veröffentlichen? Das Betretungsverbot?“ Witschas ermahnt: „Habe es noch nicht auf dem Tisch, bitte abwarten. Wenn es öffentlich gemacht werden kann, melde ich mich.“ 

 

Knicken „Weggefährten“ ein?


Es ist nicht die einzige Absprache, die die Lokalpolitiker treffen. Nachdem Wruck ihr Treffen auf Facebook publik gemacht hatte, bietet er dem CDU-Mann an: „Wenn Ihnen das zu viel wird, geben Sie ein Zeichen. Dann werde ich das Ganze zumindest nicht weiter befeuern.“ Witschas antwortet: „Ich kann einiges aushalten, soweit die eigenen ‚Weggefährten‘ nicht einknicken.“ Die Texte wirken, als kommunizierten zwei Parteifreunde.

 

Witschas‘ politischer Weggefährte und Chef, Landrat Michael Harig, meldete sich an diesem Dienstag aus seinem Urlaub und nahm seinen Stellvertreter gegen heftige Kritik und Rücktrittsforderungen in Schutz. Was Harig, der sich 2016 ebenfalls einmal mit Wruck getroffen hatte, offenbar nicht wusste: Im Chat mit Wruck fällt ihm sein Vize in den Rücken.

 

Harig hatte nach seinem damaligen Treffen mit Wruck kritisiert, der NPD-Mann lege „Gespräche mit wenig Inhalt gern staatsmännisch als Verhandlungen aus“. Witschas hingegen hebt nun hervor: „Sorry, nicht ich! (…) Ich habe nach außen hin immer betont, dass ich mit Ihnen sehr sachlich reden konnte, was ja das linke Klientel sehr verärgert“. „Gewisse Linkspolitiker“ hätten ihm deshalb vorgeworfen, Wruck wertzuschätzen: „Dies habe ich absichtlich nicht dementiert“.

 

Aus dem Chat geht zudem hervor, dass – nicht wie von Witschas später behauptet – Wruck ganz allein die Initiative für das Treffen geführt habe. Vielmehr hat der Landrats-Vize sich offensichtlich aktiv daran mitgearbeitet: „Danke für Ihre Kontaktbereitschaft, ich melde mich. Einen schönen Sonntagabend noch!“ Als Wruck darüber informiert, dass er der Presse „ein Interview zur allgemeinen Stimmung in Bautzen“ geben werde, antwortet Witschas: „Ja, das wird für Wirbel sorgen. Damit kann ich leben.“ Er, Witschas, werde der Verwaltung und den Medien keine Details aus dem Gespräch darlegen. „Damit haben Sie Ihren Interpretationsspielraum.“

 

Auch über Flüchtlingshelfer in Bautzen wird kommuniziert, etwa über das Kulturzentrum Steinhaus in Bautzen. An dieser Stelle bittet der Landrats-Vize den NPD-Mann: „Vielleicht haben Sie da Hintergrundkontakte bzw. Recherchemöglichkeiten.“ Und zum geplanten Integrationszentrum im ehemaligen Spreehotel macht der Christdemokrat deutlich: Der Landkreis werde es, „wie ich es gestern schon sagte, definitiv nicht finanzieren.“ Es sei lediglich ein Notquartier für anerkannte Flüchtlinge geplant. „Damit diese Anerkannten durch den Wohnungsmangel bzw. die Nichtvermietung an dieses Klientel nicht als Obdachlose der Stadt zur Last fallen.“ Der Betreiber des Spreehotels werde deshalb „befristet bis zum Jahresende ein sogenanntes Quartiersmanagement durchführen“. 

 

Von Linken und anderer Klientel


Der 45 Jahre alte Witschas ließ am frühen Donnerstagabend mitteilen, es sei zu erwarten gewesen, dass den Medien private Chatprotokolle zwischen ihm und Wruck zugespielt würden. Schließlich habe er sich ja klar positioniert, mit der NPD nicht verhandelt zu haben. „Die Dokumente werden geprüft.“ Es gebe erste Hinweise, dass sie inhaltlich nicht vollständig seien „und wichtige Punkte verschweigen.“ Witschas betont: „Ich habe jegliche Kommunikation mit Marco Wruck, ob öffentlich oder nichtöffentlich, stets mit dem Ziel geführt, in meiner Funktion als Erster Beigeordneter zu einer Deeskalation der Lage beizutragen.“ Er gehe davon aus, „dass bei einer genauen Prüfung der Dokumente diese Intention auch deutlich wird“.

 

Im Chat sind sich der Neonazi und der Christdemokrat ohnehin einig, dass sich die Empörung über ihr Treffen alsbald legen wird. Wruck: „Nach dem Wahlkampf wird da niemand mehr drüber sprechen.“ Witschas: „Diese Hoffnung hält mich oben. Gute Nacht.“