In Zschäpes Schatten

Erstveröffentlicht: 
31.07.2017

Helfer aus der rechten Szene ermöglichten die Morde des NSU. Jetzt rechnen die Ankläger im Terrorprozess mit den Unterstützern ab. Einer kann trotzdem mit Milde rechnen.

 

Fünf Menschen sitzen auf der Anklagebank im NSU-Prozess. In der ersten von drei Reihen Beate Zschäpe. Wer die vier anderen sind, wissen viele nicht. Die Hauptangeklagte bindet Aufmerksamkeit und Schlagzeilen, zieht die Blicke von Prozessbesuchern auf sich, die sich in Pausen an der Trennscheibe vor der Besuchertribüne versammeln wie an einem Zoogehege.

 

Wer sind die, die in den Reihen dahinter sitzen? Ihre Namen sind Ralf Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, das NSU-Trio auf vielfältige Art unterstützt zu haben. Bislang hätten sie „in der öffentlichen Wahrnehmung ein Stück weit im Schatten der Angeklagten Beate Zschäpe“ gestanden, sagt Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. Die Wahrnehmung der Anklagebehörde aber werde „durch den öffentlichen Schattenwurf nicht beeinflusst“.

 

 

Damit beginnt Weingarten ein neues Kapitel des Anklageplädoyers, das mittlerweile seit vier Sitzungstagen andauert. Es geht nicht mehr um Zschäpe, sondern um die Helfer des NSU. Zuerst um Ralf Wohlleben und Carsten S. – angeklagt, weil sie dem Trio die Pistole vom Typ Ceska 83 beschafft haben sollen. Mit der Waffe erschossen Zschäpes Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Menschen ausländischer Herkunft. Die Polizistin Michèle Kiesewetter starb durch Schüsse aus einem anderen Fabrikat.

 

Eine Pistole, „möglichst deutsches Fabrikat“


Der Staatsanwalt ist sich sicher: Der Vorwurf der Anklage hat sich „in vollem Umfange“ bestätigt. Sowohl der 42-jährige Wohlleben als auch der 37-jährige S. haben sich demnach der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht.

 

Die Version der Anklage geht so: Im Januar 1998 flüchteten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in den Untergrund. In dieser Zeit wurde S., damals jung und polizeilich weitgehend unauffällig, ihr Verbindungsmann zu den Kameraden der rechtsextremen Szene. Knapp zwei Jahre nach der Flucht bestellten Mundlos und Böhnhardt in einem Telefongespräch bei S. eine Pistole, „möglichst deutsches Fabrikat“. S. fragte daraufhin Wohlleben, wo so etwas zu bekommen sei. Wohlleben nannte ihm einen Ansprechpartner – den Zeugen Andreas Sch. Auch die Kaufsumme, 2.500 Mark, stellte Wohlleben bereit.

 

Tatsächlich trieb Andreas Sch. eine Pistole auf, und zwar das tschechische Modell Ceska 83. Das Modell stammte von einem Händler aus der Schweiz. Detailliert zeichnet Weingarten nach, wie ein Schmuggler die Waffe über einen Strohmann bei einem Geschäft kaufte, um sie in das waffenrechtlich deutlich restriktivere Deutschland zu schmuggeln. Über mehrere Mittelsmänner fand sie ihren Weg zu Andreas Sch., der sie an Carsten S. verkaufte. Dieser wiederum übergab sie dem NSU-Trio im Frühjahr 2000 in Chemnitz. Rund vier Monate später erschossen Mundlos und Böhnhardt damit in Nürnberg ihr erstes Opfer, den Blumenhändler Enver Şimşek.

 

Der Sinn der Aktion war damals allen Beteiligten klar, daran hat der Oberstaatsanwalt keinen Zweifel: Wohlleben und S. hätten sich „unbedingt verpflichtet“ gefühlt, dem NSU bei dem zu helfen, was sie „unter rassisch-völkischer Reinerhaltung des deutschen Volkes verstanden“.

 

„Aus tief empfundener Reue“


Weingarten ist verliebt in akademisch gewundene Satzkonstruktionen und den Wortschatz der Bildungssprache. Gern kleidet er beißenden Sarkasmus in seine blitzgescheiten Formulierungen. Da ist auch mal die Rede von einer sich „friktionslos fortentwickelnden Sachverhaltsdarstellung“, wenn es um einen Zeugen geht, der seiner Meinung nach die Wahrheit sagt.

 

Zwischen den beiden Angeklagten gibt es dabei gewichtige Unterschiede: Wohlleben sitzt seit 2011 in Untersuchungshaft, S. kam nach einem halben Jahr auf freien Fuß. Er war kurz nach der Übergabe aus der Szene ausgestiegen. In Vernehmungen sagte er aus, was er wusste. Er habe sich „aus tief empfundener Reue“ an der „rückhaltlosen Aufklärung“ der Verbrechen beteiligt, sagt Weingarten. Auch im Prozess sei ihm anzumerken gewesen, welche „inneren Qualen“ es ihm bereitete, seine eigentlich abgehakte Neonazizeit aufzuarbeiten.

 

Das rechnet ihm die Bundesanwaltschaft hoch an: Seine Aussagebereitschaft müsse sich im Urteil „realisieren“. S., für den das Jugendstrafrecht in Betracht kommt, kann daher mit der Forderung nach einer milden Strafe rechnen. Tatsächlich ist er eine Art Kronzeuge: Ohne seine Angaben, sagt der Oberstaatsanwalt, säßen weder er noch Wohlleben auf der Anklagebank.

 

Dieser hatte eine ganz andere Strategie gewählt: Er verweigerte jahrelang die Aussage, um sich dann im Dezember 2015 doch noch zu äußern und jede Schuld abzustreiten. Dabei handle es sich um eine „Spekulationsblase“, sagt Weingarten. Wohllebens Äußerungen stünden allem entgegen, was aus den Ermittlungen bekannt ist.

 

Weil er nicht wollte oder weil er nicht konnte?


Dennoch ist das Geschehen rund um die Waffenübergabe nicht bis in die letzten Details geklärt. Weingarten ist sich sicher, dass Mundlos und Böhnhardt bei S. eine Waffe mit Schalldämpfer bestellten – untrügliches Zeichen für die Absicht, die Waffe zum Morden zu benutzen und nicht etwa zum Selbstschutz oder Suizid. S. bestreitet, dass es so war.

 

An vielen Stellen, die ihm heute unangenehm erscheinen, hatte S. bei seiner Aussage auffällige Schwierigkeiten, klare Antworten zu geben. Weil er nicht wollte oder weil er nicht konnte? Eine Frage, die im Urteil eine Rolle spielen wird. Beantworten müssen sie die Richter.