Keine Polizeigewalt? Herr Bürgermeister, das stimmt nicht.

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Erstveröffentlicht: 
15.07.2017

Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz erklärte rundheraus, es habe beim G20-Gipfel keine Polizeigewalt gegeben. stern-Fotograf Hans-Jürgen Burkard musste andere Erfahrungen machen. Er wurde zwei Mal gezielt attackiert. Und glaubt, dass man darüber auch reden sollte.

 

stern-Fotograf Hans-Jürgen Burkard hatte während der G20 Krawalle zwei Begegnungen mit der Polizei, die er nicht auf sich beruhen lassen wollte. Darum veröffentlichte er auf Facebook den "Hamburger Gruss an die Presse" - Ein Foto seines Kollegen zeigt diesen Gruß der Polizei: eine gezielte Attacke auf Burkard – einem akkreditierten Vertreter der Presse. Nur weil es dieses Foto gibt, ist Burkard an die Öffentlichkeit getreten. "Klagen ohne jeden Beleg ist immer wohlfeil – aber hier gibt es ja das Bild meines Kollegen Thomas Lohnes von Getty." 

 

Erfahrener Foto-Reporter


Hans-Jürgen Burkard ist kein Unbekannter, er ist einer der renommiertesten und erfahrensten deutschen Fotojournalisten. Eines ist ihm jetzt sehr wichtig: "Ich bin kein Polizeihasser, keiner mit Schaum vorm Mund." Am Sonntag nach den Ausschreitungen in Hamburg und nach den schmerzhaften Angriffen auf ihn ist Burkard mit dem Rad auf der Suche nach den stilleren Fotos für ein demnächst erscheinendes Deutschland-Buch durch die Stadt gefahren. "Vor dem Rathaus wollte eine Hundertschaft aus Braunschweig ein Erinnerungsfoto machen. Ihr Leiter hat mich gerade per Mail gebeten, ihm einige Bilder zu schicken, die ich von der Situation geschossen habe. Die waren nett! Klar schicke ich dem die Fotos."

 

Was war zuvor geschehen? Zunächst war Burkard am Donnerstag bei der Demonstration "Welcome to Hell", die von der Polizei gestoppt und aufgelöst wurde. Auf Facebook schreibt er: "Einmal kräftig durchgeweicht und dann, als ich mich mit Augenkontakt und Geste beim Fahrer des Wasserwerfers darüber "beschwere" und auf meine um den Hals hängende, gut sichtbare, offizielle G20 Akkreditierung deute, gezielt als Fotojournalist vom Wasserwerfer Nr.5 per Nachschuss erledigt und aus dem Verkehr gezogen. Begleitet von einem herzlichen Lachen des Werferfahrers. Zwei Kameras und ein Objektiv Totalschaden." 

 

Absichtliche Attacke


Zum stern sagte er, ihm sei klar, dass ein Fotograf auf so einer Demonstration auch mal nass wird. "Ich bin ja schon etwas älter. Habe Wackersdorf, Brokdorf, Kalkar etc. als junger Fotograf erlebt. Habe rund 50 große stern-Reportagen fotografiert und war auch in Kriegen und Konfliktgebieten wie im Sudan, in Tschetschenien, im zerfallenden Jugoslawien. Kollegen und Freunde vom stern, der Fotograf Volker Krämer, die Journalisten Gabriel Grüner und Jochen Piest, mit denen ich zusammenarbeitete, sind dabei in ihrer Berufsausübung ermordet und erschossen worden. Da werde ich schon einmal böse, wenn Leute von Berufsrisiko sprechen und sagen 'dann geh halt nicht hin'. Das ist unser Beruf, das mache ich seit fast 40 Jahren mit Herzblut. Ich bin kein frischer Hase, der jammert, weil er mal nass geworden ist."

 

Dass es jetzt ein Foto gibt, welches genau den Moment des Vorfalls einfriert, ist selten. Burkard steht auf diesem Bild ganz allein. Mit der Kamera, einer Blitzlampe und der Akkreditierung um den Hals. "Meine Geste sagt es ja: 'Was soll das?' Ich war da wahrlich kein 'Gefährder' wie das im Polizeijargon heißt. Und auf diese friedliche Geste hin habe ich gezielt und vorsätzlich noch einmal einen Wasserwerfer-Schuss oben drauf bekommen. Diese gezielte Attacke ist es, die mich ärgert." 

 

Es blieb nicht bei einem Angriff


Und das ist nicht der einzige gezielte Angriff auf den Fotografen. Am Donnerstagabend – also nicht in der Chaos-Nacht in der Schanze am Tag darauf – war Burkard mit einer Ersatzausrüstung wieder im Einsatz. Direkt gegenüber der Roten Flora. "Ich stand an der anderen Straßenseite. Als die Polizei sich bereit gemacht hat, um zu räumen, habe ich mich mit den Gästen in den Flur eines Restaurants gestellt. Man konnte auch nirgendwo hin. Wir waren da ganz friedlich."

 

Die ganze Hundertschaft sei dann auch ohne Attacken an ihnen vorbei gelaufen. "Am Ende des Zuges kommt dann oft der Mann mit der Spritze. Der hat mich, den Fotografen, fixiert und mir aus 50 Zentimetern ins Gesicht gespritzt. Direkt in die Fresse, wie man so sagt." Burkard war sofort vollkommen hilflos, ein zufällig anwesender Arzt hat seine Augen auf dem WC des Restaurants erstversorgt und ausgespült. Und ihn dann einen Kilometer, wie ein Blindenführer, zu einer Stelle geführt, an der eine Ambulanz ihn aufnehmen konnte. Im Krankenhaus wurde er weiter behandelt. 

 

Es geht um die Arbeit der freien Presse


Burkard geht es weniger um seine Schmerzen oder die Schäden an der Ausrüstung. Er hat den Vorfall als Arbeitsunfall bei der Berufsgenossenschaft gemeldet. Eine Versicherung gibt es auch. Er kann es aber nicht einfach kommentarlos hinnehmen, dass seine journalistische Arbeit mitten in Deutschland so behindert wird. "Die Polizei erwartet selbstverständlich und natürlich ein gesetzeskonformes Verhalten von Demonstranten und auch von uns Journalisten. Das erwarte ich umgekehrt aber auch. Das was in meinem Fall passierte war nach meiner Meinung weit über der roten Linie. Dass ich einer berechtigten journalistischen Arbeit nachgehe, war klar ersichtlich. Und ich lasse mir deswegen auch nicht, wie geschehen, den Vorwurf machen, ich kriminalisiere die Polizei, behindere diese, würde den Randalierern, Chaoten und Plünderern Vorschub leisten und nur darauf warten, der sensationsgeilen Presse das entsprechende Futter zu liefern."  

 

Burkard lässt sich nicht vorschreiben, wann und wo er seine Arbeit machen darf, solange er sich im gesetzlichen Rahmen bewegt. Im Facebook-Posting zitiert Burkard Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" aus einem Gespräch im Deutschlandfunk: "Da ist die Presse und Journalisten Teilnehmer an einem großen demokratischen Konzert, und in diesem Konzert spielt jeder seine Rolle, und die Polizei ist nicht in der Rolle des Dirigenten, die jetzt einen einzelnen Mitspieler in diesem demokratischen Konzert des Saales verweist".

 

Auch seine Anwesenheit auf dem höher gelegenen Gehweg neben der Demonstration "Welcome to Hell" hatte einen journalistischen Grund. An die Stelle, an der ihn der Wasserwerfer erwischte, hatte er sich gestellt, um ein sogenanntes "Wimmel-Foto" von einem Meer schwarzvermummter Köpfe des Schwarzen Blocks zu machen. Die dann überwiegend aber die Vermummung ablegten. Zuerst wurde er deshalb von Personen aus dem Schwarzen Block attackiert, die ihm Portraitfotos vorwarfen, und danach kam dann der Wasserwerfer von der Gegenseite. 

 

Kein Sensationsfotograf


Aus dem Alter, sich mit Fotos aus gefährlichen Situationen profilieren zu wollen, sei er lange raus.  "Ich bin 65 Jahre alt, kein junger Fuzzi, der auf Teufel komm raus das Bild schießen will, das ihn berühmt macht. Das brauche ich nicht. Ich bin seit Jahren anerkannt und geachtet in unserer Fotografenwelt  Es gibt eine Reihe jüngerer Kollegen, die sind wegen meiner Arbeiten im stern und Geo Fotograf geworden.  Große Ausstellungen, Auszeichnungen – das habe ich alles hinter mir." Schnelle Nachrichtenfotos, Sensationspresse? Da kann Burkard nur abwinken. Von ihm stammen aus den G20-Nächten einfühlsame Bilder einer spontanen Nachbarschaftshilfe. Menschen, die sich mit Schrubbern, Wasserpistole und Besen breitbeinig in die Margaretenstraße gestellt haben, damit die Chaoten dort nicht randalieren, Barrikaden errichten und Autos anzünden. "Diese wahnsinnig netten, eigentlich normalen Leute haben mich mehr interessiert als Feuer in der Schanze.  Zu diesen Menschen habe ich einen Schreiber geschickt, der ihre Story erzählt. Das ist von meinen Arbeiten veröffentlicht worden." 

 

Reden - raus aus den Gräben


Burkard würde sich freuen, wenn über die Vorkommnisse ohne Voreingenommenheit gesprochen wird. "Wir alle müssen aus den Schützengräben raus." Es gehe nicht an, dass Bürgermeister Olaf Scholz sich hinstelle und pauschal erkläre, es habe keine Gewalt der Polizei gegeben, wer etwas anderes behaupte, denunziere die Polizei." Ich habe immer anständig und seriös gearbeitet und das erwarte ich auch von der Polizei. Das ist meistens ja auch der Fall und gerade deshalb muss man über Vorkommnisse wie hier auch reden dürfen und man sollte uns nicht als Denunzianten in die Ecke stellen."