AfD-Chat Lästern, hetzen, keifen

Erstveröffentlicht: 
22.06.2017

Selten sind die Masken bei der AfD so deutlich gefallen wie in einer im Internet veröffentlichten Chatgruppe. Eine Bestandsaufnahme.

 

Von Christopher Kissmann › und Michael Bock ›

 

Magdeburg l Es ist noch keine fünf Monate her. Von einer „Wucherung am deutschen Volkskörper“ hatte er Anfang Februar im Landtag in einer Debatte über Linksextremismus gesprochen. Was folgte, war eine Welle der Empörung. Der Druck auf André Poggenburg war groß. So groß, dass er seine Wortwahl einige Stunden später im Internet noch einmal zu rechtfertigen versuchte. „Ich steh’ zu jedem Wort!“, erklärte er über den Kurznachrichtendienst Twitter. Er verwende keine Sprache des Nationalsozialismus, „sondern einfach deutsche Sprache wie gegen Linksextremismus nötig“.

 

Nun hat der AfD-Landes- und Fraktionschef die nächste Gesinnungsdebatte am Hals. „Deutschland den Deutschen“, hat Poggenburg in einem Chat („AfD Info LSA“) unter AfD-Mitgliedern geschrieben, der im Internet über das linke Portal Indymedia veröffentlicht worden ist. Rund 8000 Beiträge von Februar bis Mai sind so an die Öffentlichkeit gelangt. Darin regt Poggenburg nicht nur eine Schulung zum Thema „Erweiterung der Außengrenzen!?“ an und sucht die Nähe zur Identitären Bewegung und zu Pegida („Wir distanzieren uns weder von IB noch von Pegida“), sondern verteidigt auch wiederholt den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Seine Beiträge werden von den Mitgliedern überwiegend bejubelt.

 

Ist die Alternative für Deutschland in Sachsen-Anhalt noch eine national-konservative Partei? Es mehren sich Zweifel, wenn man den Chat unter die Lupe nimmt. Viele Passagen des Nachrichtenverlaufs klingen völkisch-rassistisch und menschenverachtend. Einige der populistischen Parolen könnten auch von der rechtsextremen NPD stammen. 

 

Gegen Flüchtlinge und Journalisten


Vor allem gegen Journalisten teilen die AfD-Mitglieder gehörig aus. Mit der „Machtübernahme“ müsse ein Gremium „alle Journalisten und Redakteure überprüfen und sieben“, fordert ein Mitglied. Chefs sollen sofort entlassen, „volksfeindliche Medien“ verboten werden. Gegenrede? Fehlanzeige. Sogar Landtagsabgeordnete verunglimpfen die Reporter mehrerer Medien. Oliver Kirchner, Sprecher für Arbeit, Soziales und Integration, beschimpft Christoph Richter, den Landeskorrespondenten des Deutschlandfunks. „Irgendwann sollte man Herrn Richter vom Deutschlandfunk den Schlips mal etwas enger ziehen. Ach stimmt ja, ist ein Alt68er, die tragen ja die Hemden offen, damit die Holzwolle auf der Brust rauswachsen kann“, schreibt er.

 

Angelegt hat die Gruppe Vize-Landeschef und Bundestagskandidat Andreas Mrosek aus Dessau. „Unschön gerade im Wahljahr, dass das veröffentlicht worden ist“, sagte Mrosek der Berliner Morgenpost. Er bestätigte: Administratoren seien Mitglieder des Landesvorstands. Doch die schritten zu keiner Zeit ein. Die Hetze wurde laufengelassen.

 

Besonders gegenüber Flüchtlingen wird ausgeteilt. „Ich fürchte nach der Bundestagswahl im September werden uns die Politiker wieder mit Asylanten überschwemmen“, schreibt einer. Ein anderer hofft, dass der „Rücktransport der Schlauchboottouristen“ durch Italien geregelt wird. Ein Dritter fordert, dass man Flüchtlinge „praktischer Arbeit zuführt“, diese könnten „Sand in der Wüste sieben“, der Vorschlag. Es empört sich nicht einmal jemand, als der bis heute nicht aufgeklärte Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle bejubelt wird. „Ich sage nur... Gott sei dank, einer weniger!!!“ 

 

Es geht drunter und drüber


Doch nicht nur gegenüber anderen Gruppen äußern sich die AfD-Politiker abwertend. Auch über Parteifreunde wird gelästert. Die Nachrichten ergänzen das Bild der turbulenten Monate, die hinter der Partei liegen. In einer anderen Chatgruppe hatten sich unzufriedene Mitglieder („Die Verbündeten“) zusammengetan und gefordert, einen neuen Landesvorstand zu installieren. Als dies in der Gruppe „AfD Info LSA“ publik wird, geht es drunter und drüber. Männer und Frauen keifen sich an. Einer schreibt: „Ihr seid widerlich, bösartig, menschenverachtend, intrigant und untragbar. Ich hoffe ihr werdet die entsprechenden Konsequenzen spüren, für mich gäbe es für euch Unmenschen nur eine Konsequenz, raus aus unserer Partei.“ Ein anderes Mitglied teilt ebenfalls kräftig aus: „Jetzt halt mal den Ball flach, Keule. Das ist ja wohl das Allerletzte, was Sie hier von sich geben. Wie kann man nur so einen hässlichen Charakter haben. Mir brennt hier gleich der Helm.“

 

Auch André Poggenburg wird als „Lügner“ beschimpft. Er soll auf die Kritik am Landesvorstand nicht richtig eingegangen sein. Doch der AfD-Chef stützt sich auf seine starke Rolle in der Partei: „Ich habe mir meinen Stand selbst erarbeitet und auch am Stand unseres Landesverbandes maßgeblichst Anteil. Du wirst unverschämt, aber damit passt du leider zu den ‚Verbündeten‘, schade.“

 

Es sind Sätze, die belegen, dass die AfD kaum in der Lage ist, differenzierte Debatten zu führen. Ob Freund oder Gegner – fast alles ist schwarz oder weiß. Es gibt kein grau. Manchmal jedoch kommt in der Gruppe ein einender Geist auf. Männer und Frauen träumen dann von der „Machtübernahme“, der absoluten Mehrheit im Bund. Die Posten dafür werden bereits verteilt. Einer meint: „Für mich bitte den Posten des Gesundheitsministers freihalten, um endlich die Grünen allesamt in die Geschlossene einzuweisen!“ Einer antwortet im Chat mit Bildern von Spritze und Tablette: „Aber gern doch.“

 

Der stellvertretende Kreisvorsitzende aus dem Jerichower Land, der bei der Bundespolizei arbeitet, fragt: „Darf ich Innenminister werden?“ Später schreibt er, er sei „auch ein guter Schütze, also hohe Trefferquote“. Es wird über Unterricht mit der Waffe philosophiert, um sich „bis zum letzten Zug“ zu rüsten. 

 

Bundespolizei ermittelt intern


Ein Sprecher der Bundespolizeidirektion in Pirna bestätigte der Volksstimme am Mittwochabend, dass das Justiziariat intern nun gegen das AfD-Mitglied ermittelt. „Wir prüfen in einem Fall dienst- und strafrechtliche Maßnahmen“, erklärte er.

 

Auch andere in der Chatgruppe schwelgen in Gewaltfantasien. „Ich schaue schnell noch Rambo First Blood zu Ende, ist ja schließlich Wahlkampf“, schreibt einer.

Die Veröffentlichung der Nachrichten bringt Poggenburg weiter in Bedrängnis. Drei Abgeordnete haben die Landtagsfraktion zuletzt verlassen, in der Partei gibt es zudem reichlich Gegenwind für die Aussprache von Sanktionen gegen kritische Mitglieder.

 

Offenbar vertraut der Fraktionschef inzwischen nicht mal mehr einer engen Mitarbeiterin. Aus dem Chatverlauf geht hervor, dass die Pressesprecherin der Landtagsfraktion aus der Gruppe entfernt wurde. Als jemand nach dem Grund fragt, antwortet Poggenburg knapp: „kein Mitglied“. Daraufhin schreibt einer: „Wie kann es passieren, dass sie sich in unserer Gruppe befand? Wir sollten vielleicht besser darauf achten, wer aufgenommen wird.“ Poggenburg dazu: „Richtig ...“ Auf Nachfrage der Volksstimme bestritt der Fraktionschef jedoch ausdrücklich, dass das Vertrauensverhältnis gestört sei. Poggenburg begründet die Entfernung aus der Gruppe damit, dass dieser ausschließlich AfD-Mitglieder angehören sollten. 

 

Anzeige gegen Poggenburg


Nun kommen auf den AfD-Landeschef wohl aber auch noch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu. Die SPD-Landtagsfraktion hat Poggenburg wegen des Verdachts der Volksverhetzung angezeigt. Dieser hatte am vergangenen Sonnabend auf Twitter unter Bezug auf die geringe Beteiligung an der Friedensdemonstration von Muslimen in Köln geschrieben: „Verwundert überhaupt nicht. Islam steht eben für Terror, Gewalt und Co., warum sollten Muslime dagegen demonstrieren?“

 

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Rüdiger Erben, erklärte dazu: „So eine pauschale Diffamierung legt aus unserer Sicht die Axt an die Grundlagen unserer freien und solidarischen Gesellschaft.“ Bei aller inhaltlichen Differenz sowie verschiedenen Welt- und Menschenbildern gebe es „auch im demokratischen Streit rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen“.