Überwachung kannte ich nur aus der Glotze

Erstveröffentlicht: 
15.06.2017

Folge 117 der nd-Serie »Ostkurve«: Chemie Leipzig steigt auf und wird von den Behörden in die Zange genommen

 

Vor Kurzem bekamen Sie Post von der sächsischen Staatsanwaltschaft in Leipzig. Was stand darin?

 

In dem Brief wurde mir mitgeteilt, dass im Zuge der Ermittlungen gegen das Umfeld meines Vereins Chemie Leipzig auch meine persönliche Kommunikation überwacht worden war, also vor allem mein Handy. Der Umfang der Überwachung war gewaltig. Die Behörden haben das volle Repertoire der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel genutzt. Eigentlich wurde »nur« gegen 14 Personen ermittelt. Aber im Zuge der Ermittlungen sind mehr als 200 Menschen »mitabgehört« worden. Darunter Ärzte, Rechtsanwälte, Landespolitiker. Und eben auch ich. Genaue Angaben habe ich noch nicht, aber ich gehe davon aus, dass die Ermittler alles abgehört haben - Anrufe, Chats und so weiter.

 

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Sie offenbar als einziger Spieler überwacht wurden?

 

Mir wurde mitgeteilt, es läge daran, dass ich ein enges Verhältnis zu einer Person des Vereinsvorstands gepflegt habe, gegen die wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wurde. Der Mann war aber für jeden zu sprechen. Ein ganz netter Kerl. Bei dem waren die Türen immer offen und auch andere sind dort ein- und ausgegangen.

 

Was dachten Sie, als Sie von den Abhörmaßnahmen erfahren haben?

 

Das war ein riesiger Schock. Überwachung kannte ich so nur aus der Glotze. Man macht sich da schon Gedanken. Ich benutze mein Smartphone jeden Tag, auch die Kamera. Man fühlt sich in seiner Privatsphäre extrem eingeschränkt. Ich will gar nicht wissen, was die alles an privaten Daten erfasst haben. Chats mit meiner Freundin zum Beispiel. Das ist gruselig. Ich habe seitdem ein ganz anderes Verhältnis zu meinem Handy. Die Ermittlungen sind ergebnislos eingestellt worden. Trotzdem gehe ich seitdem davon aus, dass irgendjemand alles mitliest, was ich schreibe.

 

Was halten Sie davon, dass die sächsischen Behörden Ihren ganzen Verein ins Visier genommen haben?

 

Wir gelten als links-alternativer Verein. Die Jungs und Mädels, die zu unseren Spielen kommen, gehen auch auf Demos. Da ist doch nichts dabei. Und geht außerdem nur sie etwas an.

 

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Fans?

 

Ich liebe die Fanszene hier. Es ist immer eine tolle Stimmung. Es wird oft gesagt, unsere Anhänger seien politisch links eingestellt. Das mag sein. Ich glaube aber vor allem, dass sie gesunden Menschenverstand besitzen. Es sind Menschen, die sich reflektiert mit der Gesellschaft auseinandersetzen, in der sie leben. Bestimmte Dinge gehören eben nicht ins Stadion. Das gilt für Rassismus und für andere menschenverachtende Ideologien.

 

Sie haben fast fünf Jahre lang für die BSG Chemie gespielt. Was macht den Verein für Sie aus?

 

Ich war zwar noch nie am Millerntor, aber das hier ist auf jeden Fall das kleine St. Pauli. Ich habe mich immer wie ein Teil des Ganzen gefühlt. Besonders in den schwierigen Zeiten in den unteren Ligen waren wir immer alle füreinander da. Die Spieler, die Betreuer und auch die Fans. Es ist eine Riesensache, in einer solch positiven Gemeinschaft aufzugehen - gerade in unserer heutigen Gesellschaft. Das gibt es nicht oft im Fußball.

 

Dennoch werden Sie in der kommenden Saison wohl nicht mehr für den Verein auflaufen. Was sind die Gründe dafür?

 

Ich bin jetzt 27, einige sagen im besten Fußballeralter. Aber ich habe gerade andere Dinge im Kopf. Ich gehe seit meinem fünften Lebensjahr quasi durchgängig fünf Mal in der Woche zum Fußball. Jetzt fühle ich, dass es an der Zeit ist, andere Wege einzuschlagen. Und es ist ein guter Moment, um aufzuhören, nachdem wir eine so tolle Saison hingelegt haben.

 

Sie sprechen an, dass Chemie Leipzig gerade in die vierte Liga aufgestiegen ist. Wie haben Sie den Höhenflug Ihrer Mannschaft erlebt?

 

Es war eine wunderschöne Saison. Wir haben ein tolles Niveau über die ganze Hin- und Rückrunde durchgezogen. Ich bin stolz auf die Jungs. Und auch auf alle anderen. Mein Dank gilt besonders den Fans. Wir hatten gefühlt nur Heimspiele. Ich werde den Weg des Vereins weiterverfolgen. Und die Mannschaft weiter unterstützen - jetzt eben von der Tribüne aus.

 

Was macht der Aufstieg mit dem Verein? Stehen größere Veränderungen an, um in der Regionalliga mitzuhalten?

 

Davon gehe ich aus. Es wird mit einem sechsstelligen Etat geplant. Das ist auch notwendig. In der Regionalliga warten ganz andere Gegner. Das Derby gegen Lok Leipzig zum Beispiel. Und noch weitere Kracher. Um das zu bestehen, muss man ein paar Sachen anders machen. Die Rahmenbedingungen müssen eben passen. Aber ich bin mir ganz sicher, dass der Verein das hinbekommt. Es wird aber nicht ohne Spielerwechsel gehen, auch um den Kader aufzustocken.