Studie zu Rechtsextremismus in Ostdeutschland Harmoniesucht, fehlende politische Bildung und Scheu vor Konflikten haben dem Rechtsextremismus in Sachsen Raum verschafft

Erstveröffentlicht: 
19.05.2017

Der starke Rechtsextremismus in einigen sächsischen Regionen hat direkt mit politischer Verweigerung zu tun. Das war deutlich genug aus der am Donnerstag, 18. Mai, vom Göttinger Institut für Demokratieforschung vorgelegten Studie herauszulesen. Entsprechend deutlich fallen die Kommentare jener Parteien aus, die diese christdemokratische Wegschaupolitik immer kritisiert haben.

 

Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag:


„Sachsens CDU hat die extreme Rechte im Freistaat ein Vierteljahrhundert lang groß gemacht: Sie hat die Bevölkerung der Verunsicherung durch Niedergang der Industrie, Arbeitslosigkeit und Abwanderung überlassen. Die CDU interessierte sich für die Pflege der scheinbar schönen Statistiken, die Einzelschicksale der Menschen wurden als belanglos abgetan. Dieses soziale Vakuum füllte sie mit der Verheißung einer segensreichen neuen Staatspartei. Deshalb wurde die Entwicklung einer normalen demokratischen Diskussions- und Streitkultur nach Kräften behindert, egal ob an Schulen oder sonst im öffentlichen Raum.

 

Zugleich verharmlosten die CDU-Führungspersönlichkeiten, angefangen von Kurt Biedenkopf, die extreme Rechte und betrieben stattdessen – auch unterstützt von installierter konservativer Wissenschaft – die Dämonisierung von allem, was ein bisschen links von der Mitte steht. Was im Ergebnis in Sachsen fehlt, ist eine starke Zivilgesellschaft. Daran sind aber nicht die Menschen in Sachsen schuld, sondern der Machtmissbrauch der CDU.

 

Die reflexhafte Abwehr der Einsichten auch dieser Studie durch Sachsens CDU-Generalsekretär heute zeigt aber, dass der Weg zur Selbsterkenntnis an der Spitze der sächsischen Union offenbar nach wie vor blockiert ist. Wahrscheinlich wird er erst begangen, wenn die CDU die Gelegenheit zur Erneuerung in der Opposition erhält.“

 

Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Grünen-Fraktion im Bundestag:


„Die Zivilgesellschaft darf vor allem nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Noch immer gibt es staatliches Misstrauen gegen Anti-Rechts-Projektträger. So werden sie vor der Förderung einer Prüfung unterzogen, in manchen Fällen mit Beteiligung des Verfassungsschutzes.

 

Insbesondere für die CDU Sachsen, die das Bundesland seit 1990 durchgehend regiert, sind die Ergebnisse der Studie ein Armutszeugnis. Dass die politische Bildung hier jahrelang sträflich vernachlässigt wurde, hat die durch die Studie beschriebenen Zustände begünstigt. Die sächsische Union muss sich endlich von ihrer Wagenburgmentalität verabschieden. Statt jene, die sich unter schwierigsten Bedingungen für die Demokratie einsetzen, als Nestbeschmutzer zu diffamieren, sollte sie jedes zarte Pflänzchen zivilgesellschaftlichen Engagements, insbesondere in ländlichen Regionen, hegen und pflegen.

 

Nicht nur in Ostdeutschland braucht es eine eindeutige und offensive Distanzierung von rechtspopulistischen Diskursen, auch innerhalb der Politik. Hier gilt es, humanistische Werte und Geschichtsbewusstsein in den Vordergrund zu stellen. Darüber hinaus muss die demokratische Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen verbessert, mehr Partizipationsmöglichkeiten in Schulen, Unis und Betrieben geschaffen werden. Alle Demokratinnen und Demokraten sind durch die Studie aufgefordert, gemeinsam für eine lebendige und vielfältige Demokratie zu streiten.“

 

Daniela Kolbe, Generalsekretärin der sächsischen SPD:


„Die Ursachenforschung für Rechtsextremismus in den ostdeutschen Ländern muss sachlich und ernsthaft betrieben werden. Rechtsextremismus ist eine der größten Herausforderungen für unsere Demokratie und das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft. Nur wenn wir die Ursachen kennen und ernst nehmen, können wir Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit wirksam begegnen.

 

Die Studie belegt deutlich, dass staatliches Handeln starken Einfluss darauf hat, ob Rechtsextremismus gedeihen kann oder nicht. Diese Erkenntnis muss dringend in Sachsen und bei der seit 1990 regierenden sächsischen CDU ankommen und endlich ernst genommen werden. Passivität und falsche Zurückhaltung haben in der Vergangenheit großen Schaden angerichtet.

 

Rechtsextremismus darf nicht unterschätzt werden. Wir müssen in Sachsen vor allem die Zivilgesellschaft in den betroffenen Regionen stärken. Es kann nicht sein, dass genau die Menschen, die sich den Rechtsextremen bei Demonstrationen in den Weg stellen, vielerorts massiv eingeschüchtert werden. Im Gegenteil, sie müssen viel mehr Unterstützung aus der Politik und der Öffentlichkeit erhalten. Die politische Kultur Sachsens muss sich wandeln. Wandeln zu einer klaren Haltung für Demokratie und gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.“

 

Jetzt kann man gespannt sein, ob die sächsische Regierung wirklich mal ein handfestes Programm zur Stärkung der Demokratie in Sachsen auf die Beine bekommt und vor allem die demokratischen Kräfte in den vernachlässigten ländlichen Räumen stärkt. Aber die ersten Wortmeldungen aus der CDU-Spitze deuten eher auf ein „Weiter so“ hin. Und da die Studie ziemlich direkt die von der CDU getragene Harmonie-Strategie kritisiert, kann man eigentlich damit rechnen, dass die kritisierte Partei gleich wieder die Burgtore schließt und dahinter schmollt über die Zumutungen der Welt da draußen.