Faktisch am Ende

Erstveröffentlicht: 
10.05.2017

Echokammer. Das Internetportal Kopp Online hatte es mit Verschwörungstheorien. Nun schließt es seine Pforten

 

Zuerst die Fakten: Kopp Online, das Nachrichtenportal des gleichnamigen Verlags und Versandhauses aus dem schwäbischen Rottenburg, ist offline. Der Verlag – „Bücher, die Ihnen die Augen öffnen“ – hat den Betrieb seines kostenlosen Onlinemagazins – „Informationen, die Ihnen die Augen öffnen“ – eingestellt. Der letzte Artikel datiert vom 10. März diesen Jahres. Sollten sie nicht anderweitig eingesetzt werden, verlieren wohl zwanzig Mitarbeiter ihren Job oder haben ihn schon verloren. Warum ein Portal schließt, das nach Aussage seiner Macher in Spitzenzeiten weit über 600.000 Besucher am Tag hatte – die Prüfgemeinschaft IVW gibt sogar monatliche Besuchszahlen zwischen 1,2 und 3,4 Millionen an – , darüber lässt sich spekulieren. Und darüber wird auch spekuliert. Womit das Reich der Fakten natürlich ganz schnell wieder verlassen wäre.

 

So erwähnte zum Beispiel das Schwäbische Tagblatt eine im Netz kursierende Theorie, wonach das Medienunternehmen Bertelsmann die Website bis vor kurzem noch „gepampert“ habe. Jetzt habe man das beendet, da der Anti-Merkel-Kurs von Kopp den politischen Interessen des Gütersloher Hauses entgegenstehe. Welche das sein könnten, erfährt man nicht. Ohnehin klingt das alles ziemlich ausgedacht. So erklärte es uns auch Bertelsmann.

 

Gleichzeitig klingt es nach einer Theorie, die aus dem Haus von Verschwörern stammen könnte. Jochen Kopp verkauft neben Murmeltiersalbe, Chia-Samen und ayurvedischem Mundwasser Bücher mit Titeln wie Was Sie nicht wissen sollen!. Darin liest man, dass eine Gruppe von Bankiers unsere Welt im Verborgenen regiere. Das gelänge, indem sie nicht nur heimlich FED und EZB, sondern auch UNO, Weltbank und den Internationalen Währungsfonds steuern.

 

Kopp Online wurde nicht umsonst zu einem rechten bis autoritären Resonanzraum im Netz gerechnet, der von der Jungen Freiheit über RT Deutsch bis Compact reichte.

 

Auch die Schriften des kürzlich verstorbenen ehemaligen FAZ-Redakteurs und publizistischen Rechtsaußen Udo Ulfkotte hat das Versandhaus im Sortiment: dessen Spiegel-Bestseller Gekaufte Journalisten. Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken oder sein Buch Volkspädagogen. Wie uns die Massenmedien politisch korrekt erziehen wollen. Ulfkotte schrieb auch regelmäßig für Kopp Online und war Chefredakteur des wöchentlichen Nachrichtendienstes Kopp exklusiv. „Einen Blick hinter die Kulissen der Macht“ und darauf, was uns die Massenmedien verschweigen, verspricht die Broschüre, in der auch die ehemalige Tagesschau-Moderatorin Eva Herman schreibt. Sie wird „grundsätzlich nicht an die Presse verschickt“, nur zur „persönlichen Information“ will sie dienen. Solche Exklusivität täuscht allerdings, denn jeder kann hier Abonnent werden. 

 

Fäkalien-Dschihad


Ulfkotte erlangte bei Kopp Online mit der unappetitlichen These Aufmerksamkeit, dass islamische Erntearbeiter unsere Lebensmittel mit ihren Exkrementen verunreinigten – und so einen „Fäkalien-Dschihad“ gegen den Westen führten. Herman indes wurde unter anderem dafür bekannt, weder an der Autobahn noch an der Familienpolitik Hitlerdeutschlands nur die schlechten Seiten sehen zu wollen. Die Ex-Tagesschau-Frau steht auch für die Spekulation, bei dem Unglück auf der Duisburger Love-Parade 2010, bei dem 21 Menschen starben, hätten „höhere Mächte“ mitgewirkt – und zwar, um der Love Parade, diesem Symbol des „kulturellen und geistigen Absturzes einer ganzen Gesellschaft“ ein Ende zu setzen.

 

Während die esoterisch verquasten Geschmacklosigkeiten Hermans nur tiefes Befremden auslösten, lässt sich an den Titeln von Ulfkottes Büchern ablesen, dass hier einer in der Tradition der Verschwörungstheorie steht. Und er ist nicht der Einzige unter denen, deren Bücher man in Rottenburg beziehen kann. „Es zeichnet die moderne Verschwörungstheorie aus, dass es das Feindbild Lügenpresse, System- und Mainstreammedien gibt. Was erzählt wird, ist, dass die eigene Wahrheit unterdrückt wird“, sagt der Kölner Medienwissenschaftler John David Seidler, der ein Buch über Verschwörungstheorien seit dem 18. Jahrhundert geschrieben hat.

 

Was es an Forschungsergebnissen zusammenträgt, erstaunt bisweilen. So haben viele Interpreten des Phänomens dafürgehalten, dass besonders Krisenzeiten solche Theorien florieren lassen, weil sich Menschen in einer überkomplex gewordenen Welt nun mal nach einfachen Erklärungen sehnen. Der marxistische Kulturtheoretiker Fredric Jameson ging so weit, Verschwörungstheorien als die kognitive Landkarte derer zu charakterisieren, die sich im postmodernen Zeitalter nicht mehr zurechtfinden. Psychologische Studien können das allerdings nicht bestätigen. Offensichtlich suchen Verschwörungstheoretiker nicht zwangsläufig nach vereinfachenden Welterklärungen. Wer sich ein wenig mit den Theorien einschlägiger 9/11-Truthers beschäftigt, also solcher Verschwörungstheoretiker, die der offiziellen Deutung der Anschläge auf das World Trade Center wenig Glauben schenken, merkt sehr schnell, dass von Komplexitätsreduktion kaum die Rede sein kann. Hier hat man es am liebsten so kompliziert wie möglich. Das sich wirklich eine kleine Schar um Mohammed Atta verschworen hat, um die Türme zum Einsturz zu bringen, das scheint zu simpel.

 

Menschen allerdings, die ihre ganz persönliche Situation als krisenhaft empfinden, die Angst haben, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren oder schon verloren zu haben, neigen zur Überinterpretation aller Zeichen, die ihnen begegnen, so dass sich der Eindruck der Fremdsteuerung schnell einstellen kann. Wenn alles mit allem in Verbindung steht und alles auf ein großes Ganzes verweist, muss da ja auch jemand sein, der das so eingerichtet hat. Hierzu passt, dass Verschwörungstheoretiker die Agenten der vermeintlichen Verschwörung, an die sie glauben, nicht immer nur verachten. Sie sind vielmehr oft neidisch auf sie, erweisen die Verschwörer sich doch als dermaßen mächtig, im Geheimen eine Kontrolle ausüben zu können, von der die Opfer der Verschwörung nur träumen können.

 

Was Verschwörungstheoretiker vom Schlage Ulfkottes wohlweislich aussparen, wenn sie uns erklären, auf welche Art und Weise Massenmedien und bürgerliche Öffentlichkeit uns davon abhalten, unsere Meinung klar und deutlich verlautbar zu machen, ist, dass die Idee der freien öffentlichen Rede historisch dort aufkam, wo man gleichzeitig versuchte, diese Errungenschaft vor Zensur und Absolutismus zu schützen. Und das eben durch Geheimhaltung und durch den Aufbau von Kommunikationsnetzwerken, aus denen unsere Massenmedien entstanden sind. „Das große historische Verdienst der Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert ist es, dass sie Stück für Stück eine Art Redefreiheit etabliert haben“, sagt Seidler. Diesen aufklärerischen Anspruch vertritt der Kopp-Verlag in unseren Tagen. Er ist aber verdreht: „Alle, die sich beschweren, es gebe Zensur, tun das als Massenmedien.“ 

 

Rechts-alternativer Geiz


Publikationen und Netzauftritte derer, die behaupten, sich jenseits des Mainstreams zu bewegen, tun das eben immer auch als Publikationen und Netzauftritte, also gar nicht so anders als der so verachtete Mainstream. Bestsellerautor Ulfkotte ist ein gutes Beispiel dafür, dass die meiste Aufmerksamkeit erzielt wird, wenn sich jemand auch hier einen Namen macht. Und eigentlich will man auch dorthin und als seriöses Medienprodukt anerkannt werden. Deutlich wird das, wenn man sich Aufnahmen der Online-TV-News Kopp Nachrichten, die bis 2011 unter anderem mit Herman produziert wurden, auf dem Videoportal Youtube anschaut. Die Mimikry an der Tagesschau, Hermans früherem Arbeitgeber, scheint total.

 

Die Erklärung, warum man offline gehe, hat der Verlag in einer E-Mail an ein Internet-Forum nachgeliefert, wohl um den dort aufgekommenen Theorien über die Schließung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Glaubt man dem Schreiben, dann waren die User von Kopp Online einfach zu knauserig. Trotz mehrfacher Aufrufe seien in einem Jahr gerade einmal 6.000 Euro an Spenden beim Rottenburger Website-Betreiber eingegangen. Und damit könne man höchstens eine Woche qualitativ hochwertige Redaktionsarbeit stemmen. Solch rechts-alternativer Geiz wirft durchaus kein gutes Licht auf diejenigen, die sich jenseits von Mainstream, System- und Lügenpresse wähnen. Andererseits könnte man aber auch sagen, dass Kopps Leserschaft nun endlich da angekommen ist, wo der Mainstream der Mediennutzer schon lange ist: Zahlen will hier ja auch keiner.