Bundesrat: Gesetzentwurf zur weitergehenden Deutung von DNA-Spuren vorerst gescheitert

Erstveröffentlicht: 
01.04.2017

Der Gesetzentwurf zur weitergehenden Deutung von DNA-Spuren ist im Bundesrat vorerst abgeblitzt. Wissenschaftler warnen vor rechtlichen, ethischen und sozialen Risiken.

 

Von: Sebastian Kaiser und Franz Schmider

 

Baden-Württemberg ist am Freitag mit dem Versuch gescheitert, einen Gesetzentwurf zur erweiterten Nutzung der DNA-Spuren im Eilverfahren durch den Bundesrat zu bringen. Das Land hat im Februar einen entsprechenden Antrag eingebracht, dieser wird nun wie üblich zunächst im Rechts- und Innenausschuss beraten. Das Land will erreichen, dass Ermittler auch Augen-, Haar-, Hautfarbe und Alter potenzieller Täter anhand von Erbinformationen bestimmen dürfen. Doch Wissenschaftler warnen vor rechtlichen, ethischen und sozialen Risiken der Technologie.

Es ist im Dezember 2016, als sich der Freiburger Polizeipräsident Bernhard Rotzinger zu Wort meldet. Der Fall der in Freiburg getöteten Maria L. erschüttert die Republik. Polizei und Staatsanwaltschaft haben wenige Tage zuvor die Festnahme eines dringend tatverdächtigen minderjährigen Flüchtlings bekanntgegeben. Seine DNA ist identisch mit Spuren, die an der getöteten 19-jährigen Studentin gefunden wurden. Auf seine Spur kamen die Ermittler mit Hilfe eines am Tatort gefundenen schwarzen Haars, das eine auffällige Färbung aufwies – klassische Polizeiarbeit. Rotzinger appelliert an die Politik, eine umfassendere Auswertung von Erbgut bei Fahndungen zuzulassen. Bei der Tätersuche im Fall Maria L. "hätte uns das massiv geholfen", sagt Rotzinger. "Wir hätten wesentlich konzentrierter die Ermittlungen vorantreiben können."

 

Auch Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf treibt der Fall Maria L. um. Wolf drängt Ende 2016 darauf, die Regeln für die DNA-Analyse zu lockern und bittet Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) um Hilfe. Maas signalisiert Gesprächsbereitschaft. Nach anfänglichem Zaudern findet Wolfs Ansinnen die Zustimmung des grünen Koalitionspartners in Stuttgart – seine Forderung, auch die "biogeographische Herkunft" einer Person bestimmen zu lassen, lehnen die Grünen aus verfassungsrechtlichen Bedenken ab. Auch der Emmendinger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Fechner springt Wolf bei: "Wenn mit hoher Sicherheit ein persönliches Merkmal des Täters festgestellt werden kann, sollte die Polizei diesen Hinweis erhalten und nutzen dürfen", sagt Fechner.

Baden-Württembergs Justizminister Wolf: "Kein Verständnis für Verzögerungstaktik"


Rund vier Monate sind seither vergangen. Inzwischen liegt dem Bundesrat ein entsprechender Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg zur Änderung der Strafprozessordnung vor. Die erweiterte DNA-Analyse avanciert dabei zum potenziellen Wahlkampfschlager. In der CDU wächst die Sorge, die SPD verschleppe den Antrag, um mit einem eigenen Vorschlag vorzupreschen und die Lorbeeren für sich beanspruchen zu können.

Deshalb hatte Justizminister Guido Wolf einen Antrag auf sofortige Sachentscheidung gestellt – und ist damit am Freitag abgeblitzt. Er habe "kein Verständnis für die Verzögerungstaktik", sagte Wolf nach der Sitzung. Neben Baden-Württemberg haben nur Bayern und Hessen den Vorstoß unterstützt. "Wenn wir vor der Bundestagswahl noch zu einer Gesetzesänderung kommen wollen, und das will ich, dann ist jetzt Eile geboten. Deshalb werde ich den Druck aufrechterhalten."

Zuvor hatte Bundesjustizminister Heiko Maas am 21. März eine Reihe von Wissenschaftlern zu einem Fachsymposium nach Berlin eingeladen, um über Möglichkeiten und Grenzen der forensischen DNA-Analyse zu diskutieren. Unter den Referenten befanden sich unter anderem die Freiburgerin Veronika Lipphardt und Matthias Wienroth vom Londoner King’s College. Beide gehören zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die in einem offenen Brief die Pläne zur erweiterten DNA-Analyse kritisieren.

Kritiker beklagen rechtliche, ethische und soziale Risiken


Wer eine Ausweitung der polizeilichen Möglichkeiten in diesem Bereich fordere, so heißt es in dem Schreiben, sollte die Komplexität der Ermittlungsinstrumente zur Kenntnis nehmen: "Sie birgt rechtliche, ethische und soziale Risiken, die jeden einzelnen Bürger treffen können", warnen die Wissenschaftler. Im Interview mit der Badischen Zeitung sagt Anna Lipphardt, Juniorprofessorin am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg, dass "die Darstellung der Sachlage viel zu positiv und einseitig" betrieben worden sei. Es bestehe die Gefahr, dass Minderheiten diskriminiert würden, zudem sei die Technologie längst nicht so treffsicher wie behauptet. Die hohen Wahrscheinlichkeiten, mit denen Befürworter für die Gesetzesänderungen geworben hätten, seien nicht zutreffend berechnet. "Auch über die notwendigen Kontrollinstanzen und Mechanismen zum Datenschutz wird derzeit überhaupt nicht gesprochen", erläutert Anna Lipphardt, die – wie ihre Schwester Veronika – zu den Unterzeichnern des offenen Briefs zählt.

Tatsächlich ist bisher der Nutzen einer Ausweitung der DNA-Analyse nicht nachgewiesen. "Untersuchungen über einen sich aus der Erweiterung der Möglichkeiten zur Untersuchung von DNA-fähigem Material ergebenden Fahndungserfolg sind dem Justizministerium nicht bekannt", räumt sogar das Justizministerium in Stuttgart auf eine Anfrage der Badischen Zeitung ein.

"Es gibt keine belastbaren Evaluationsstudien zur vergleichenden DNA-Analyse, die angeben würden, ob und wie sich die Aufklärung und dann die Verurteilungswahrscheinlichkeit verändert haben", sagt auch Hans-Jörg Albrecht vom Max-Planck-Institut für internationales Strafrecht in Freiburg. Das heißt, es wurde nie wissenschaftlich untersucht, ob sich seit der Einführung der erweiterten DNA-Analyse in den Ländern zum Beispiel die Aufklärungs- und Verurteilungsquote verändert hat und inwiefern die DNA-Spuren dazu etwas beigetragen haben. Die von Innenministerien und Polizei mitgeteilten Zahlen dazu, wie viele schwere Straftaten mit Hilfe von DNA-Abgleichen aufgeklärt worden seien, sagen für Albrecht "noch nichts darüber, ob und inwieweit sich dadurch Aufklärungs- und Verurteilungswahrscheinlichkeiten in die angenommene Richtung verändert haben – also über einen kausalen Zusammenhang, sollten Veränderungen beobachtet werden".

Das liegt nicht zuletzt daran, dass noch vieles unbekannt ist, was die Zusammenhänge zwischen genetischer Anlage und der phänotypischen Ausbildung eines Merkmals angeht. So liegt die Treffsicherheit beim Hinweis auf die Augenfarbe bei rund 70 Prozent. Das Stuttgarter Justizministerium geht von 70 bis 90 Prozent Vorhersagewahrscheinlichkeit aus. Die Bundesregierung nennt in einer Antwort auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Fechner eine Genauigkeit von 75 (Augenfarbe) bis 98 (Hautfarbe) Prozent. Die Frage der regionalen Herkunft ließe sich nur grob für drei Kontinente (Europa, Afrika, Südamerika) beantworten. Stammen die Eltern aus verschiedenen Regionen, schwinde die Aussagekraft der DNA-Analyse weiter.

Welche Tücken zu großes Vertrauen in DNA-Spuren haben kann, weiß man gerade in Freiburg nur zu gut. Denn DNA-Spuren können zum Täter hin, aber auch vom Täter wegführen – und ihn folglich schützen. So waren sich die Ermittler am 26. März 2001 nach dem Fund einer Leiche im Stadtteil St. Georgen sicher, dass der Rentner Josef Walzenbach von einem Mann getötet worden sei, man hatte auch ein bestimmtes Milieu im Blick, die Überprüfungen liefen an.

Falsche Spur durch verunreinigte Wattestäbchen


Dann der Hinweis: DNA-Spur einer "uwp", einer "unbekannten weiblichen Person". Und diese "uwp" sollte zudem bereits am 25. Mai 1993 in Idar-Oberstein die Rentnerin Lieselotte Schlenger getötet haben. Auch dort war die Kripo anfangs einer ganz anderen Spur gefolgt, hatte Mitglieder einer Drückerkolonne im Visier. In beiden Fällen wandten die Ermittler ihren Fokus auf die "uwp", die schließlich sogar für den Heilbronner Polizistenmord mitverantwortlich gemacht wurde. Man verortete diese Person explizit nach Osteuropa.

Die Polizei jagte über Jahre eine Frau, die sie selbst als "Phantom" bezeichnete – die Morde in Freiburg und Idar-Oberstein sind bis heute nicht aufgeklärt. Was man heute aber weiß: Die Wattestäbchen waren bei der Herstellung verunreinigt worden.

Und erst vor wenigen Wochen waren es Reste von DNA-Spuren an einem Zollstock, die zeitweise für Aufsehen sorgten. Denn vorübergehend legte ein Fund nahe, einer der mutmaßlichen NSU-Terroristen habe etwas mit dem Sexualmord an einem Kind zu tun. DNA-Spuren am Tatort sind ohnehin nur dann aussagekräftig, wenn ein kausaler Zusammenhang zur Tat besteht.

Der Gesetzentwurf des Landes soll nun am 12. Mai im Bundesrat behandelt werden. Bereits in der letzten Aprilwoche will Bundesjustizminister Maas seinen Entwurf in den Bundestag einbringen.