Für 10 Euro hatten sie Sex mit den minderjährigen Flüchtlingen

Erstveröffentlicht: 
27.03.2017

Drogen, Kinderstrich, Radikalismus – das droht den Flüchtlingen, die in Deutschland verschwinden. Auf der Suche nach dem Afghanen Mubarak dringen zwei Reporterinnen in diese Welt im Zwielicht ein.

 

Ein durchgestrichenes Passfoto ist selten ein gutes Zeichen. Doch als das Foto des jungen Afghanen Mubarak durchgestrichen wurde, musste man vom Schlimmsten ausgehen. Denn das bedeutet, dass Mubarak verschwunden ist. Und das kann wiederum vieles heißen: Dass Mubarak mittlerweile Drogen verkaufen muss. Dass er von Dschihadisten verführt wurde. Dass er seinen Körper auf dem Straßenstrich einer deutschen Großstadt anbietet.

 

Mubaraks durchgestrichenes Passfoto hängt an der Wand im Büro einer Flüchtlingsunterkunft in Bautzen, er ist im Januar 2000 in Afghanistan geboren worden, steht daneben. Irgendwann verschwand er. Seine Freunde erreichten ihn weder über Facebook noch über WhatsApp. „Wo will der Junge hin?“, fragt die Betreuerin in Bautzen. Als er nach Tagen nicht gefunden wird, wird sein Ausweis durchgestrichen. An der Wand ist er nun einer von vielen.

 

Fast 9000 jugendliche Flüchtlinge gelten in Deutschland als vermisst. Die Journalistinnen Natalie Amiri und Anna Tillack haben sich für die TV-Dokumentation „Verschwunden in Deutschland“ (ARD) auf die Suche nach einem von ihnen gemacht. 

 

Wirklich aktiv sucht niemand


Als der Jugendliche aus der Unterkunft verschwindet, alarmieren die Betreuer zwar die Polizei in Bautzen, diese finden ihn in der Stadt allerdings nicht. Die Filmemacherinnen erfahren aus Polizeikreisen: Wirklich aktiv suche niemand nach den verschwundenen Jugendlichen. Die Beamten seien mit der Situation, der Anzahl schlicht überfordert.

 

Also machen die beiden Journalistinnen sich selber auf die Suche nach Mubarak, wollen beweisen, dass das kein unmögliches Unterfangen ist. Hier schon so viel: Es wird ihnen gelingen. Dabei erzählen sie von einer packenden Spurensuche durch Deutschland und Frankreich. 

 

Ein Flüchtling setzt sich einen Schuss Heroin


Sie nähern sich dieser „Halbwelt“, wie sie sie nennen, mit Mut und Neugier – und werden dafür belohnt: Sie treffen Drogendealer, recherchieren auf dem Straßenstrich der Hauptstadt. Einmal setzt sich ein Mann aus Tadschikistan vor ihren Augen einen Schuss Heroin – vor einer Kirche, in der gerade der Chor probt.

 

Vor allem Natalie Amiri, die Farsi, Arabisch und Dari spricht, ist für den Film ein Gewinn; sie kann den Zuschauern authentische Einblicke in die Lebenswelt der Jugendlichen geben. Doch die Belege, die die beiden Reporterinnen aus dieser Halbwelt an das Licht der Öffentlichkeit tragen, können nicht vollends überzeugen.

 

Aber von vorne: Der erste Anlaufpunkt der Reporterinnen auf der Suche nach Mubarak ist Berlin. In die Hauptstadt ziehe es viele der Jugendlichen, die ohne Eltern nach Deutschland kommen. Einer von ihnen, Hojat ist sein Name, nimmt die Journalistinnen mit auf den Alexanderplatz. Hojat verbrachte hier selber viel Zeit, schlief eine Nacht im Freien. „Hier kannst du immer Alkohol trinken. Hier kannst du rauchen, Drogen nehmen. Ja, das kannst du alles machen“, sagt der Jugendliche.

 

Hojat bildet in dem Film das Gegengewicht zu Mubarak: ein traumatisierte Junge, der nachts meist nur wenige Stunden schlafen kann; einer, der kurz davor war, auf die schiefe Bahn zu geraten und ins Drogenmilieu abzurutschen. Bis sich eine junge Berlinerin um ihn kümmert, sein Vormund wird, ihn bei sich einziehen lässt. 

 

Sex gegen 10 Euro oder Zigaretten


Hojat erzählt schwer verdaubare Geschichten aus seiner Zeit in Deutschland: In das Berliner Hostel, in dem er untergebracht war, kamen Männer, Deutsche, sie nannten die Flüchtlinge „Kinder“. Für 10 Euro oder ein paar Zigaretten hatten sie Sex mit den Minderjährigen. Die Zimmermitbewohner gingen immer freiwillig in andere Räume, wenn „Es“ passierte.

 

Den Besitzer des Hostels scheinen die Reporterinnen nicht mit dem Vorwurf zu konfrontieren, dass er ein Stundenhotel des Kinderstrichs betreibe – zumindest ist im Film keine Reaktion zu sehen. Stattdessen erzählt er, dass es natürlich auch mal Streit gegeben habe, die Flüchtlinge hätten auch mal den Fernseher kaputt gemacht. Aber: „Wir waren froh, dass sie da waren. Haben ja auch gut Geld verdient.“

 

Solche Einblicke in die „Halbwelt“ der unbegleiteten Flüchtlinge sind erschütternd – und die Reporterinnen tragen fleißig Indizien zusammen, treffen Flüchtlinge, versuchen Gerüchten nachzugehen. Doch einen tieferen Einblick, eine detailreich erzählte Geschichte aus der Szene etwa, den bleiben die Reporterinnen schuldig. 

 

Vier Jugendliche sollen sich mit HIV infiziert haben


So bleibt die Spurensuche Stückwerk: Ein örtlicher Café-Besitzer erinnert sich daran, wie ein Freier mit „seinen“ Jugendlichen hier Eis gegessen hätte.

Ein Iraner wird im Film selber als Stricher bezeichnet, erzählt aber nur davon, wie sich andere junge Afghanen, Bulgaren, Iraner verkaufen.

 

Der oben genannte Mann, der sich Heroin gespritzt hatte, erzählt von minderjährigen Flüchtlingen, nennt sogar Namen: „Sie hatten kein Geld, haben sich hier verkauft, und jetzt haben vier von ihnen Aids.“

 

So tief die Journalistinnen versuchen, in diese Halbwelt vorzustoßen; hier tut sich scheinbar eine Mauer auf, hinter die nur schwer zu schauen ist. Dazu haben die Reporterinnen damit zu kämpfen, dass die Behörden nicht vor der Kamera Stellung beziehen. Auch die Polizei äußert sich lediglich schriftlich. 

 

Über Facebook finden sie Mubarak


Amiri und Tillack suchen dennoch weiter nach Mubarak. Über eine Facebook-Seite finden sie ihn, er sei mittlerweile in Frankreich. Er wolle nach England, um ein wenig Geld für seine Familie zu verdienen, vielleicht danach studieren zu können. Deutschland habe ihm auf dem Weg zu diesem Ziel nichts gebracht.

 

Obwohl Mubarak mehrmals kontrolliert worden sei, habe er keine Fingerabdrücke abgeben müssen, nicht in Deutschland, nicht in Frankreich. So erklärt es sich, warum in Bautzen immer noch sein durchgestrichenes Passfoto hängt – obwohl Mubarak in einer Flüchtlingsunterkunft in Frankreich lebt.

 

Die Reporterinnen schaffen es, mit ihrem Film ein beklemmendes Schlaglicht auf die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zu werfen – und offensichtliche Missstände aufzuzeigen. So werden die Flüchtlinge laut Berliner Senat rund um die Uhr pädagogisch betreut. Der Film zeigt jedoch eine andere Realität: Die Betreuer hätten oft auf ihren Zimmern gesessen, sagt der Hostel-Besitzer. Und Hojat berichtet davon, wie er nächtelang um die Häuser ziehen konnte, ohne dass es jemandem auffiel.

 

Die Filmemacherin Tillack schreibt dazu auf Twitter: Es laufe viel schief in Deutschland, „auch wenn Behörden das verschleiern wollen“.

Verschwunden in Deutschland, 27. März, 22.45 Uhr, ARD