Polizei soll 15-Jährigen als V-Mann beschäftigt haben

Erstveröffentlicht: 
17.03.2017

Ein Jugendlicher soll Ermittlern in Mecklenburg-Vorpommern Informationen über Drogengeschäfte und Gegner des G8-Gipfels in Heiligendamm geliefert haben. Nun, Jahre später, sitzt er in Haft - und fürchtet um seine Sicherheit.

 

Die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, einen Minderjährigen als V-Mann eingesetzt zu haben. Der Anwalt Peter-Michael Diestel vertritt den inzwischen 29 Jahre alten Mann. Er soll Diestel zufolge im Alter von 15 Jahren als V-Mann im Einsatz gewesen sein. Zuerst hatte der NDR über den Fall berichtet.

"Das ist skandalös, ein unvorstellbarer Fauxpas. So etwas darf es nicht geben", sagt Diestel. "Die Tätigkeit war ungesetzlich und verfassungswidrig." Es gibt eine Richtlinie zur Inanspruchnahme von Informanten, dem Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und verdeckter Ermittler. Die Justiz- und Innenministerien der Länder haben sie gemeinsam beschlossen. Darin heißt es: "Der Einsatz von Minderjährigen als V-Personen ist nicht zulässig."

Ein Sprecher des Innenministeriums in Schwerin sagte, man habe den NDR-Bericht zur Kenntnis genommen: "Wir prüfen, was an den Vorwürfen dran ist." Dazu hole man Berichte der betroffenen Polizeibehörden sein. Der Sprecher konnte nicht sagen, welche Polizeistellen involviert sein könnten.

Der damals noch Minderjährige arbeitete Diestel zufolge zunächst als Informant in der Drogenszene, später lieferte er Hinweise zu Gegnern des G8-Gipfels in Heiligendamm im Jahr 2007. Es soll sich laut NDR auch um Informationen über Landtagsabgeordnete der Linken gehandelt haben - der Spitzel war demnach Mitglied der Nachwuchsorganisation Linksjugend.

Die Organisation schrieb auf Facebook, sie fordere vollständige Aufklärung, "inwieweit Mitglieder der Linksjugend ['solid] 2007 als V-Leute angeworben wurden und was/wer genau überwacht wurde. Wurden auch wir als Verband überwacht?"

Sollte sich die Bespitzelung der Linken bestätigten, hätte das enorme politische Sprengkraft. 1998 bildete die Vorgängerpartei PDS in dem Bundesland mit der SPD die Regierung. Damals sei zugesichert worden, dass man nicht von staatlicher Seite unter Beobachtung stehe, sagt Peter Ritter, Innenexperte der Linksfraktion im Schweriner Landtag. "Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre das ein ungeheuerlicher Skandal. Man hätte uns über Jahre belogen."

Ritter fordert Aufklärung. "Ich erwarte, dass der Innenminister bei nächster Gelegenheit die Karten auf den Tisch legt. Aber ich vermute, dass der Aufklärungswille begrenzt sein wird."

Spitzel soll auch im Rocker-Milieu aktiv gewesen sein

Die V-Mann-Karriere von Diestels Mandant soll mit dem Intermezzo bei den G8-Gegnern und der Linken noch nicht beendet gewesen sein. Später, als der Mann schon volljährig war, soll er Ermittlern Informationen aus dem Rocker-Milieu geliefert haben. Die Tätigkeit als V-Mann soll er 2014 beendet haben. Er wollte sich laut NDR nicht bei den Hells Angels als Mitglied einschleusen.

Derzeit sitzt der Mann eine Haftstrafe wegen betrügerischen Autohandels ab. In der Haft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bützow flog seine Vergangenheit als Spitzel laut Diestel auf. Mithäftlinge griffen ihn an, er wurde nach Süddeutschland verlegt.

"Mein Mandant ist seelisch am Boden", sagt Diestel. "Er weiß, dass es in keiner Justizvollzugsanstalt in Deutschland Sicherheit für ihn gibt." Der Anwalt fordert die Freiheit seines Mandanten. Schließlich sei der Mann im Dienste des Staates in die Kriminalität abgerutscht: "Wer in den Dreck geschickt wird, macht sich dreckig." Nun zeige sich, dass der Mann im Gefängnis nicht geschützt werden könne. Die Verlegung zeigte, dass auch die Behörden die Gefährdung des Mannes ernst nähmen.

Von Staatsanwaltschaft, Polizei oder Ministerien hat Diestel bislang nach eigener Aussage keinerlei Reaktion erhalten.

ulz