Braunkohletagebau: Krieger im Baumhaus

Der Spiegel 2/2017: »Braunkohletagebau: Krieger im Baumhaus« - Seite 1/2
Erstveröffentlicht: 
07.01.2017

Im Hambacher Forst kämpfen Klimaaktivisten mit Guerillamethoden gegen den Braunkohletagebau von RWE. Wie sehr der Konflikt die Region spaltet, zeigt die Geschichte von Bonnie und Thomas Körber.

 

Sie haben sich mit Steinen bewaffnet, die Gesichter sind vermummt. Manche haben sich die Fingerkuppen verklebt oder abgeschmirgelt, damit die Polizei keine Abdrücke nehmen kann.

An einem Mittwoch Ende November schlagen sie los, attackieren an der Landstraße L276, nahe Kerpen-Buir, ein Auto mit vier Sicherheitsleuten, die Rodungsarbeiten des Energiekonzerns RWE im Hambacher Forst bewachen. Laut Polizeibericht verliert der Fahrer die Kontrolle, das Fahrzeug überschlägt sich mehrfach, die Sicherheitsleute müssen leicht verletzt ins Krankenhaus.

Eine Aktivistin, die sich Bonnie nennt, hat an solchen Aktionen nur eines auszusetzen: mangelnde Wirksamkeit. "Wir haben lange diskutiert, was effektiver ist", sagt sie, "Gewalt gegen Menschen oder Gewalt gegen Maschinen." Das Votum war klar: "Kaputte Maschinen halten den Betrieb auf und zwingen RWE finanziell in die Knie", sagt Bonnie. "Kaputte Menschen sind schnell austauschbar." Bonnie will nicht sagen, ob sie an der Attacke beteiligt war. Prinzipiell aber hat sie kein Problem mit Gewalt. "Die RWE-Leute wissen ja, dass ihr Handeln Konsequenzen hat."

Thomas Körber machen die Angriffe auf seine Leute noch immer fassungslos. Die Attacke an der L276 war nur einer von Hunderten Übergriffen, derentwegen der Leiter des Tagebaus Hambachs viele Nächte und Wochenenden lang Noteinsätze leitet: Die Umweltschützer stecken Trafostationen und Bagger in Brand. Sägen Strommasten an. Verstecken Eisenträger in den Kronen alter Eichen, die Holzfäller zu erschlagen drohen. "Es darf nicht sein, dass man seiner Arbeit nachgeht und um Leib und Leben fürchten muss", sagt Körber.

Körber und Bonnie sind zwei sehr ungleiche Menschen: Ein 44-jähriger Ingenieur, Vater zweier Kinder, der in einem Mietshaus wohnt und in den Karnevalsverein geht. Und eine Klimaaktivistin, Anfang zwanzig, die in einem Baumhaus lebt, um den letzten Rest eines alten Waldes zu bewachen, der am Rande des größten Braunkohlereviers Europas liegt.

Bonnie und Körber stehen auf zwei Seiten eines Konflikts, der sich seit 2012 stetig verschärft hat. Und der nun, da der Landkreis darüber nachdenkt, einen Teil der Aktivisten zu vertreiben, vollends eskaliert. Die Gewalt erinnert an die Zeit Mitte der Achtzigerjahre, als militante Umweltschützer nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl die deutsche Atomindustrie mit Molotowcocktails und Brandanschlägen bekämpften. Und genau wie damals streitet das Land auch jetzt über eine energiepolitische Zäsur.

72 Prozent der Bevölkerung fordern laut einer Umfrage des Forschungsinstituts Emnid ein Gesetz für den Kohleausstieg. Die Regierung aber hat die Entscheidung, wie dieser ablaufen soll, auf 2018 vertagt. Im Westen der Republik wächst seitdem der Zorn. Anwohner verstehen nicht, warum die Kohlebagger trotz Energiewende ihre Heimat verwüsten. Nicht wenige unterstützen in ihrer Verzweiflung die Aktivisten. Und so kommt es, dass der Hambacher Forst, dieses kleine Stück Wald zwischen Etzweiler und Buir, zur Frontlinie der deutschen Energiewende wird.

 

Bonnies Welt

Bonnie sitzt in einem Baumhaus, rund 15 Meter über dem Boden, und blickt in die Kronen der Stieleichen und Winterlinden. Ihre Unterkunft ist zweistöckig und liebevoll eingerichtet. Unten die Küche mit Gaskocher, Spüle, Esstisch und selbst gezimmerten Gewürzregalen. Oben das Schlafzimmer, ein vielleicht zwölf Quadratmeter großer Raum mit zwei Glasfenstern, einer Matratze, Kerzen und einem Ofen. In eine der Bretterwände haben die Klimaaktivisten kleine Löcher gebohrt, durch die die Zweige des Baums in den Raum hineinragen.

Seit gut vier Jahren lebt Bonnie in den Bäumen. Oft wache sie vom Knattern der Kettensägen auf, sagt sie. Sie sitzt dann an ihrem Fenster und hört zu, wie die Stämme krachend brechen und mit einem dumpfen Aufprall zu Boden fallen. Immer näher kommen die Maschinen, wenige Hundert Meter noch bis zu den Baumhäusern.

"Es hat etwas Endgültiges, wenn ein Baum fällt", sagt Bonnie. "Ein Leben ist ausgelöscht. Ich verstehe nicht, wofür." Sie wendet sich ab, hat Tränen in den Augen.

Der Wald, in dem Bonnie lebt, liegt am Rande eines gigantischen Lochs, das sich trichterförmig rund 400 Meter in die Erde gräbt und in dessen Mitte RWE jährlich 40 Millionen Tonnen Braunkohle fördert. Der Scheitelpunkt des Trichters wandert unablässig nach Südwesten auf den Hambacher Forst zu. Diesen Winter werden rund 70 Hektar Wald gerodet. Ein Tausende Jahre altes Ökosystem, ein Lebensraum für europarechtlich geschützte Tiere, geht Stück für Stück verloren.

Die Umweltschützer finden das sinnlos. Durch die erneuerbare Energien ist Deutschlands Braunkohlebedarf deutlich gesunken. Laut einer Studie der Denkfabrik Agora Energiewende könnte der Tagebau Hambach schon 2024 stillgelegt werden. Nicht erst 2040, wie derzeit geplant. Bis klar ist, wie viel Kohle die Republik überhaupt noch braucht, müssen die Motorsägen schweigen, findet Bonnie.

Auf einer Wiese unweit der Baumhäuser haben die Klimaaktivisten ein Protestcamp errichtet. Es besteht aus ein paar bunt besprühten Campingwagen voller Sperrmüll, einem Gewächshaus mit Tomaten, einem Gemeinschaftszelt voller gammliger Sofas und einer toten Ratte.

Die meisten Bewohner sind Anfang bis Ende zwanzig. Sie kommen aus Norddeutschland, Österreich, Spanien, Italien, aber selten aus der Region. Nicht alle unterstützen die Gewaltaktionen gegen RWE. Und nicht für alle scheint die Rettung des Waldes oberste Priorität zu haben.

Im Camp schläft manchmal ein Mann, der seinen männlichen Körper ablehnt, weil er als Kind von einem Erwachsenen missbraucht wurde. Eine junge, lockige Frau kommt regelmäßig für ein paar Tage, um der Konsumwelt zu entfliehen. Es wird gefeiert, gekifft und Gitarre gespielt.

Unter den Anwohnern haben die Aktivisten einige Unterstützer. Manche bringen ihnen Kleidung, Nahrung, Wasser oder Geld. Antje Grothus, die nur wenige Kilometer vom Camp entfernt wohnt, lässt sie regelmäßig bei sich duschen. "Ich halte die Rodungen von RWE für gewalttätig", sagt die 52-Jährige, die sich in einer Bürgerinitiative gegen den Tagebau engagiert. Die Aktivisten würden auf diesen Missstand wenigstens bundesweit aufmerksam machen.

Körbers Welt

Ein VW-Bus fährt durch die Kohlegrube, die voller Geröll und Staub ist. Förderbänder knirschen vor dem milchig-gelben Horizont. Jedes Mal, wenn der Wagen hält, präsentiert Tagebauleiter Thomas Körber einen neuen Kriegsschauplatz.

Da ist der mehr als 90 Meter hohe Schaufelradbagger, an dem sich Aktivisten im Sommer 2015 festketteten. Da sind die 50 notdürftig geflickten 30.000-Volt-Leitungen, die Klimaschützer im April 2016 in Brand steckten und damit die Stromversorgung des kompletten Tagebaus lahmlegten. Da ist der Sicherheitsmann, der ins Krankenhaus musste, weil ein Aktivist ihm mit einer Steinschleuder in die Genitalien geschossen hatte. Rund 130 Straftaten hat die Polizei allein in diesem Jahr registriert³ der Sachschaden geht laut RWE in die Millionen.

Körber kränkt die Verachtung, mit der die Aktivisten ihm und seinen Leuten begegnen. Er ist mit dem Braunkohlerevier ebenso tief verbunden wie Bonnie mit dem Wald. Er fing vor gut 20 Jahren als Ingenieur bei RWE an. Die Kohle galt seinerzeit noch als Rückgrat der deutschen Industrie, RWE als fortschrittlicher Arbeitgeber, und die Kohlekumpel haben den Ruf einer eingeschworenen Gemeinschaft.

Heute stellen RWEs Kraftwerke Klimakiller dar, die Kohlebagger werden "Heimatfresser" genannt, weil ihretwegen ganze Ortschaften umgesiedelt werden. Und Körber muss sich immer öfter für seinen Job rechtfertigen. Es gefällt ihm nicht.

"Wir sind keine depressive Mannschaft, die sich für ihre Arbeit schämt", sagt er. Der Tagebau sei völlig legal, und er sei zudem nötig. Die erneuerbaren Energien decken erst knapp 30 Prozent des deutschen Strombedarfs. "Wir werden noch Jahrzehnte gebraucht", sagt Körber.

 

Die Regierung hat andere Pläne. Sie will 2018 eine Kommission einberufen, die festlegt, welche Kohlemeiler in welchem Jahr vom Netz gehen. Es ist absehbar, dass mehr Kohle in der Erde bleibt als RWE lieb ist. Im Abbaugebiet Garzweiler II hat die Landesregierung Düsseldorf dem Konzern die genehmigten Fördermengen schon um ein Drittel gekürzt.

RWE hält trotzdem an der Braunkohle fest. Schließlich erwirtschaftet das Unternehmen mit seinen Kraftwerken noch immer Hunderte Millionen Euro pro Jahr. Bis in Berlin eine Entscheidung fällt, zählt im rheinischen Revier jeder Baggerstich.

Und so wird RWE den Hambacher Forst weiter abholzen. Die Waldkrieger werden weiter Brandbomben legen. Und Tagebauleiter Thomas Körber wird seine Leute immer stärker maßregeln müssen.

Denn auch die Mitarbeiter von RWE hegen inzwischen Gewaltfantasien gegen die Klimaaktivisten. "Ab in die Grube und zuschütten die Affen", schreibt einer auf Facebook. "Ich hasse dieses dreckige, kriminelle Pack±", schreibt ein anderer. "Es wird Zeit, sich zu wehren±" Körber müht sich, seine Leute im Griff zu behalten. Das Schlimmste, was RWE passieren kann, ist ein Märtyrer auf der Gegnerseite.

In den kommenden Monaten droht die Gewalt zuzunehmen. Mitte Dezember hat das Oberverwaltungsgericht Münster das Protestcamp für illegal erklärt. Der Kreis Düren erwägt, die Campingwagenburg auf der Wiese zu räumen. Die Baumhäuser sind vorerst wohl nicht betroffen, die Aktivisten drohen dennoch mit Vergeltung.

Es ist ein nebliger Samstagnachmittag Ende November. Bonnie steht am Waldrand und betrachtet die frisch gefällten Stämme. Das Holz ist noch feucht, riecht noch nach Harz. Hier, wo sie steht, endet die alte Energiewelt. Zumindest heute noch. Bonnie wird im Wald bleiben, bis zum Ende. Sie hat sich geschworen, für jeden einzelnen Baum zu kämpfen.

 

Von Stefan Schultz