Rechte Szene soll Nauener Zeugin eingeschüchtert haben - "Ich hatte einen Judenstern auf der Stirn"

Erstveröffentlicht: 
13.12.2016

Im Prozess um den Brandanschlag in Nauen gibt es neue Hinweise, dass die rechte Szene versucht hat, die Ermittlungen zu stören. Eine Zeugin sagte am Dienstag, sie sei massiv eingeschüchtert worden. An manche Vorwürfe aber konnte sie sich jetzt nicht mehr erinnern. Von Lisa Steger

 

Seit Ende November müssen sich sechs Nauener vor dem Potsdamer Landgericht verantworten, fünf von ihnen wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung". Alle sollen an der Turnhallenbrandstiftung in Nauen im August 2015 beteiligt gewesen sein; laut Anklage wollten sie verhindern, dass dort Flüchtlinge einziehen.

Außerdem sollen Mitglieder der Gruppe unter anderem das Auto eines Polen und eine Dixi-Toilette auf der Baustelle eines Flüchtlingsheimes angezündet und eine Bombe vor einem Supermarkt in die Luft gejagt haben. 

 

Zeugin mit Erinnerungslücken


Am Dienstag ist eine junge Frau bereits zum zweiten Mal als Zeugin geladen. Die 22-Jährige Carolin D. steht selbst im Verdacht, Mitglied der kriminellen Vereinigung in Nauen zu sein. D. ist eine Ex-Freundin des als Rädelsführer angeklagten, 29 Jahre alten NPD-Politikers Maik S.. Sie hat ihn im Frühjahr in polizeilichen Vernehmungen stark belastet.

 

Zum Beispiel, was die Autobrandstiftung anbelangt: Da sagte sie im April bei der Polizei aus, ein Vermummter habe zuvor die Scheibe des polnischen Fahrzeugs eingeschlagen; sie tippte auf ihren Freund, Maik S.: "Man erkennt seine Schweine am Gang", so formulierte sie es.

 

Am Dienstag vor Gericht erklärt sie dazu nur: "Die Statur stimmt; aber wer es wirklich war, weiß ich nicht mehr." Und überhaupt: "Von der letzten polizeilichen  Vernehmung weiß ich gar nichts mehr. Was ich da gesagt habe, stimmt gar nicht." Vor dem Turnhallenbrand habe es in Nauen einige Treffen gegeben, mit Maik S. und anderen, die jetzt angeklagt sind. Doch anders, als einige Angeklagte es beschrieben, habe Maik S. dort keine Aufgaben verteilt. 

 

Flyer mit Judenstern


Die Zeugin wirkt schüchtern. Ein Staatsanwalt fragt sie, ob sie bedroht wurde: "Es wurden Flyer von mir in der Stadt verteilt, mit meinem Bild und Beleidigungen", antwortet die 22-Jährige. "Auf dem Bild hatte ich einen Judenstern auf der Stirn." In einer Gaststätte habe ihr einer gegen das Schienbein getreten. Das alles sei nach polizeilichen Vernehmungen geschehen, so die Zeugin; sie habe einige Zettel damals der Polizei übergeben. Seit Prozessbeginn sei sie nicht mehr bedroht worden – sagt sie.

 

Der Angeklagte Maik S., ihr früherer Geliebter, schaltet sich ein. Mehr als vierzig Minuten lang befragt er die Zeugin, legt ihr immer wieder Aussagen in den Mund. Mehrfach weisen ihn die Richter darauf hin, doch er fährt fort: "Wie oft warst Du bei der Polizei? Mehr als sechsmal, oder?" – "Hat man dir Antworten und Tendenzen in den Mund gelegt?" – "Und welche waren das?" Maik S., groß, blond, sportlich aussehend, spielt seinen männlichen Charme aus.

 

Am Ende hat Carolin D., was ihn angeht, praktisch alles zurückgenommen. "Ich wollte nach Hause, da hab ich (den Polizisten, d.Red.) gesagt, was sie von mir wollten. Zum Beispiel, dass ich bei einem Treffen dabei war und dass da definitiv gesagt wurde, dass die Jungs das (die Turnhallenbrandstiftung, d. Red.) jetzt machen. Es war aber nicht so", sagt sie. Maik S. strahlt. "Ich wollte das alles nicht mehr", fährt die Zeugin fort. "Zu mir hat niemand gesagt: 'Ich zünde die Turnhalle an.'" Eine Vernehmungsbeamtin weist diesen Vorwurf am Dienstag zurück: Man habe nur das aufgeschrieben, was die Zeugin wirklich gesagt habe. 

 

Angeklagter will das Verfahren stoppen


Maik S. hatte zu Beginn des Verhandlungstages erneut mitgeteilt, dass er die Kammer für befangen hält - weil sie alle bisherigen Befangenheitsanträge abgelehnt hat. Erfolg hatte er damit nicht, der Prozess ging weiter.

 

Dieser Vorwurf zieht sich schon durch das gesamte Verfahren: Am Abend des ersten Prozesstages hatte einer der beiden Schöffen Maik S. gefragt: "Denken Sie, dass Ihnen einer den Quatsch glaubt, den Sie da erzählen?" Zwei Verteidiger stellten daraufhin Befangenheitsanträge. Als die Kammer darüber am nächsten Verhandlungstag noch nicht entschieden hatte, stellten die beiden neue Anträge, diesmal gegen die ganze Kammer.

 

Vergangene Woche lehnte das Gericht alle vier Anträge ab. Nach rbb-Informationen heißt es in dem Beschluss, die Verteidiger hätten die Befangenheitsanträge zu spät gestellt. Die Strafprozessordnung schreibt vor, dass Befangenheitsanträge im laufenden Prozess "unverzüglich" gestellt werden müssen, sobald ein Verdacht im Raum steht. 

 

Mögliche Befangenheit würde erst bei Revision wieder Thema


Der Schöffe sagte seinen umstrittenen Satz um 16:55 Uhr. In diesem Moment, spätestens aber am Ende des Verhandlungstages gut eine Stunde später, hätten die Anwälte ihre Anträge stellen müssen, so der Beschluss. Indes: Das Fax des Verteidigers von Maik S. traf um erst 20:32 Uhr im Landgericht ein, am nächsten Tag um 12:27 Uhr kam das Fax des Verteidigers von Dennis W. hinzu, führt die Kammer in ihren Schreiben aus.

 

Maik S.' neuerliche Beschwerde vom Dienstag hat vermutlich keine Konsequenzen. Der Grund: Die Strafprozessordnung sieht keine Möglichkeit vor, gegen abgelehnte Befangenheitsanträge vorzugehen, wenn sie einen erkennenden Richter betreffen, so wie hier. Die Verteidiger müssen jetzt das Urteil abwarten und können danach in Revision gehen. Dann könnte die mögliche Befangenheit des Schöffen noch einmal Thema werden.

 

Beitrag von Lisa Steger