»Wir müssen uns gegenseitig die Angst nehmen«

Erstveröffentlicht: 
19.11.2016
»Möllner Rede« in Gedenken an ­tödlichen Brandanschlag vor 24 Jahren muss im »Exil« stattfinden, da sie der Stadt zu politisch ist. Gespräch mit Ibrahim Arslan Interview: Claudia Wrobel

 

Ibrahim Arslan überlebte als Kind den Brandanschlag auf das Haus seiner Familie am 23. November 1992 und verlor dabei drei Familienmitglieder

 

Mittlerweile zum vierten Mal muss die »Möllner Rede«, ein Bestandteil des Gedenkens an einen rassistisch motivierten Brandanschlag auf zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser in der Nacht zum 23. November 1992, in einer anderen Stadt stattfinden. Warum ist für diese Art der Erinnerung an Ihre dabei verstorbenen Angehörigen kein Platz im schleswig-holsteinischen Mölln?


Die Möllner Rede war mal Bestandteil der Gedenkveranstaltungen der Stadt. Damit sollte ein Zeichen gegen Rassismus gesetzt werden. 2010 und 2011 war unsere Familie dafür verantwortlich, die Redner auszuwählen. Im Jahr 2012 hat die Stadt die Rede aus dem offiziellen Programm gestrichen, mit der Begründung, sie sei zu politisch und die Redner seien nicht geeignet, Teil der offiziellen Gedenkveranstaltung zu sein.

 

Wie muss ich mir die Planung eines solchen Gedenkens vorstellen? Wie sehr können sich Betroffene und Angehörige der Opfer einbringen?


Auch wenn es von außen oftmals so wirkt, haben die Betroffenen und die Opfer rechter Gewalt nicht immer die Herrschaft über das Gedenken. Sondern die liegt oft bei irgendwelchen Institutionen, die eine Veranstaltung inszenieren. 2012 habe ich mich mit Vertretern der Stadt an einen Tisch gesetzt, um mir anzusehen, wie diese Planung abläuft. Wir wollten auch wissen, warum unsere Forderungen dort überhaupt kein Gehör finden. Ich habe also mit Vertretern der Stadt diskutiert, wie eine Gedenkveranstaltung aussehen sollte. Wie sie einen respektvollen Rahmen haben kann, der den Betroffenen und Angehörigen gerecht wird. Ich saß dabei aber alleine 15 Vertretern der Stadt gegenüber. Von der anderen Seite kam der Vorschlag, abzustimmen, wer die Entscheidungsgewalt über die Gestaltung haben soll. Ich habe das Treffen verlassen, und wir haben beschlossen, unsere eigene Gedenkveranstaltung zu organisieren.

 

Wie hat das Rathaus reagiert?


Offiziell hat die Stadt Mölln unsere Vorhaben begrüßt. Ich denke mal, weil sie davon ausgegangen sind, dass wir alleine nicht in der Lage sind, das zu stemmen. Aber im folgenden Jahr gab es unsere erste große Veranstaltung und die erste »Möllner Rede im Exil«. Zu uns sind mehr Menschen gekommen als zu der Gedenkveranstaltung der Stadt.

 

In welchem Verhältnis stehen Sie mittlerweile zur Stadt und deren Veranstaltungen?


Jedes Jahr ist es ein göttliches Bild, wenn der Bürgermeister vor dem Haus seinen Kranz niederlegt und uns anspricht: »Herzlich willkommen, liebe Familie Arslan. Sie sind herzlich eingeladen zum offiziellen Gedenken der Stadt Mölln.« Im Gegenzug laden wir den Bürgermeister und das türkische Konsulat zur offiziellen Gedenkveranstaltung der Betroffenen, der Angehörigen und der Familie ein.

 

Was sind prägende Elemente Ihres Erinnerungskonzepts?


Wir machen mehrere Aktionen: Zum einen ein Konzert gegen Rassismus, das am Wochenende vor oder nach dem Gedenktag stattfindet. Am 23. November halten wir eine Mahnwache vor dem Haus ab. Wir wollen zeigen, dass die Betroffenen der Gewalt die Hauptzeugen des Geschehens sind und keine Statisten. Und unser dritter Punkt ist die »Möllner Rede im Exil«, also die politische Auseinandersetzung mit Rassismus, mit rechter Hetze, mit dem Nähboden für solche Gewalt. Andere Städte, andere Menschen sind solidarisch mit den Betroffenen und laden uns ein.

 

Dieses Jahr werden Sie in Köln sein und gemeinsam mit der Initiative »Keupstraße ist überall« gedenken.


Das Ziel meiner Familie war es immer, ein Betroffenennetzwerk zu organisieren. Damit wir Erfahrungen austauschen können. Zum Teil ist uns das bereits gelungen: Die Kölner Keupstraße ist einer der Orte, an dem ich schon sehr früh gewesen bin und andere Betroffene aufgefordert habe zu sprechen, ihre Geschichte zu erzählen. Wir müssen uns gegenseitig die Angst nehmen, dass staatliche Institutionen kommen und uns mundtot machen oder uns wieder als Täter abstempeln. Im kommenden Jahr – 25 Jahre nach dem Brandanschlag auf das Zuhause meiner Familie – wird die »Möllner Rede im Exil« in Zusammenarbeit mit der »Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektas« in Berlin gehalten werden.

 

»Möllner Rede im Exil«, es sprechen der Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist Dogan Akhanli und Mitglieder der Familie Arslan, Sonntag, 20. November, 16 Uhr, Kartäuserkirche, Kartäusergasse 7, Köln