Fehlende NSU-Tatortspuren „Schon etwas ungewöhnlich“

Erstveröffentlicht: 
08.09.2016

An keinem Tatort fanden sich Spuren des Trios um Beate Zschäpe. Für das BKA bleibt das ein Rätsel – erklärbar nur durch die Vorsicht der Terroristen.

 

Clemens Binninger sorgte gerade für Wirbel. Das NSU-Trio müsse Mittäter gehabt haben, ist sich der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag sicher. An keinem der 27 Tatorte hätten sich DNA-Spuren von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt gefunden – nicht bei den zehn Morden, nicht bei den zwei Sprengstoffanschlägen, nicht bei den 15 Raubüberfällen. Es müsse Helfer vor Ort gegeben haben, Ausspäher oder direkte Mittäter. Davon, so Binninger, sei er „zutiefst überzeugt“.

 

Nicht zum ersten Mal äußerte der CDU-Mann diesen Verdacht, er hegt ihn schon länger. Nur: Von den rund 100 bekannten Unterstützern des NSU haben die Ermittler bis heute nur von 19 die DNA. Vom Großteil erfolgte also kein Abgleich mit den Tatortspuren – auch weil dies ohne konkreten Verdacht nicht erzwungen werden kann.

 

Am Donnerstag war es nun Carsten Proff, ein DNA-Experte beim Bundeskriminalamt (BKA), der im Bundestags-Ausschuss über bisherige Ermittlungen sprach. „Viele tausend Spuren DNA“ seien in den NSU-Ermittlungen untersucht worden, „und das sehr intensiv“. Dass sich an keinem einzigen Tatort Spuren des Trios fanden, sei aber „schon etwas ungewöhnlich“, gestand Proff. „Gerade in dieser Summe.“ 

 

„Sehr planerisch unterwegs“


Der BKA-Experte erinnerte aber auch, dass die NSU-Terroristen bei ihren Taten „offensichtlich sehr planerisch unterwegs waren“. Tatsächlich fanden sich in der letzten Wohnung des Trios in Zwickau Skizzen und Notizen zu den Tatorte, auf denen etwa Fluchtwege eingezeichnet waren. Womöglich hätten sich die NSU-Täter auch für die Tatausführung gut gewappnet, sich etwa Handschuhe und Sturmhauben übergezogen, mutmaßte Proff. Dies reiche vielfach schon, um DNA-Spuren zu vermeiden.

 

Binninger hielt dem BKA-Mann den Mord Heilbronn dagegen. Dort wurde auf zwei Polizisten geschossen, die Beamtin Michèle Kiesewetter starb. Die Täter entrissen den Polizisten noch ihre Dienstwaffen und Handschellen, zerrten an deren Kleidung. Aber selbst hier: keine Spuren von Mundlos und Böhnhardt. BKA-Experte Proff hielt es auch in diesem Fall für möglich, dass sich die Täter mit ihre Bekleidung so geschützt haben könnten, dass sie keine DNA hinterließen. Solche Tatkleidung, entgegnete Binninger, habe allerdings kein einziger Zeuge gesehen.

 

Schon länger vermuten Opfer-Anwälte, Politiker und Experten, dass das NSU-Trio mehr Helfer gehabt muss als bisher bekannt. Die Bundesanwaltschaft hat bisher vier zentrale NSU-Unterstützer ausgemacht und neben Beate Zschäpe im Münchner NSU-Prozess angeklagt: Die Männer sollen dem Trio Waffen besorgt, Pässe überlassen oder Autos angemietet haben. Gegen neun weitere mutmaßliche Helfer ermittelt die Bundesanwaltschaft noch. Zudem läuft ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt, in dem die Behörde nach eigener Auskunft auch nach weiteren Unterstützern sucht. 

 

DNA nur von Hälfte der Beschuldigten


Das Problem nur: Selbst von den 14 bisher Beschuldigten liegen den Ermittlern laut Binninger nur von sieben DNA-Spuren vor. Ein aussagekräftiger Abgleich mit den NSU-Tatorten sei so überhaupt nicht möglich, klagt nicht nur der CDU-Mann. Auch Yavuz Narin, Anwalt von NSU-Opfern aus München, hält das für fragwürdig. „Die Opfer wurden damals komplett unter Verdacht gestellt und von allen Angehörigen DNA-Proben genommen“, kritisiert Narin. „Und bei den Neonazis kann man plötzlich nichts mehr machen?“