Prügel-Prozess in Erfurt: Der Zeuge aus dem Knast

Erstveröffentlicht: 
20.07.2016

15 Angeklagte stehen wegen eines Überfalls auf eine Thüringer Kirmesgesellschaft vor Gericht. Noch immer sucht die Polizei Mittäter. Nun könnte ein alter Bekannter der Ermittler neue Hinweise liefern.

Von Maik Baumgärtner

 

Es ist einer der größten Neonazi-Prozesse in Thüringen seit der Wiedervereinigung: Seit Dezember müssen sich 15 Angeklagte vor dem Landgericht Erfurt verantworten, 14 Männer und eine Frau: Sie sollen in der Nacht vom 8. zum 9. Februar 2014 eine Kirmesgesellschaft im 700-Einwohner-Ort Ballstädt überfallen haben. Die Opfer wurden am Kopf verletzt, erlitten Schnittwunden und Prellungen.

 

Trotz intensiver Ermittlungen gibt es Unklarheiten bei dieser Tat. So suchen die Ermittler noch immer nach möglichen Mittätern. Zwei Zeugen, die am heutigen Mittwoch vor dem Gericht in Erfurt aussagen sollen, könnten helfen, das Geschehen aufzuklären.

 

Einer der Zeugen, Daniel M., ist der Polizei bestens bekannt. Nach Informationen des SPIEGEL taucht sein Name in einem Ermittlungsverfahren (Staatsanwaltschaft Gera, 171 Js 13709/11) wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat auf.

 

Laut Ermittlungsakten aus dem Jahr 2012 war M. zwar nicht selbst beschuldigt, stand jedoch in engem Kontakt mit zwei Verdächtigen. Diese zwei Männer tauchen nun im Erfurter Gerichtssaal immer wieder im Zuschauerraum auf, um ihre angeklagten Kameraden zu unterstützen. Die organisierte rechtsextreme Szene in Thüringen ist bestens vernetzt.

 

Damals, im Jahr 2012, suchten die Ermittler bei diesen beiden Beschuldigten wie auch bei Daniel M. Schusswaffen und Magazine. Das Verfahren wurde später eingestellt, doch die Polizei hat keinen Zweifel: Daniel M. ist seit mehr als 20 Jahren in der Neonazi-Szene verwurzelt.

 

Mit dem in Erfurt angeklagten Thomas W. und dessen Unterstützerkreis aus bekannten Thüringer Neonazi-Aktivisten ist er seit Jahren bekannt. In seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung war Daniel M. 2012 durchaus auskunftsfreudig. Er wisse, sagte er den Ermittlern, dass Thomas W. "auch immer viele Schreckschusswaffen hatte".

 

Daniel M. soll selbst eine Affinität zu Waffen und Gewalt haben. Frühere Neonazis sagten aus, er sei grob und brutal. Aufgrund eines SPIEGEL-TV-Beitrags von 1992 leiteten die Behörden damals ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen ihn und weitere Neonazis ein. Zurzeit sitzt er wegen eines besonders schweren Falls von Diebstahl in der Justizvollzugsanstalt Goldlauter ein.

 

Auch viele der Angeklagten im nun laufenden Prozess sind wie Daniel M. offensichtlich im militanten und gewaltbereiten Neonazispektrum aktiv. Ihre Netzwerke reichen von Thüringen bis nach Österreich zum mittlerweile verbotenen "Objekt 21".

 

Um diese Vernetzung aufzuklären, hatte der Thüringer Verfassungsschutz einen Angeklagten bereits vor dem Überfall abgehört. Dabei sollen die Geheimdienstler laut MDR auch ein Telefongespräch mitgeschnitten haben, in dem sich die Neonazis zum Überfall auf die Kirmesgesellschaft verabredeten. Seit Jahresbeginn versucht das Landgericht, diese Unterlagen vom Verfassungsschutz zu bekommen. Gestern ging zwar ein Teil ein, das entscheidende Abhörprotokoll war jedoch nicht dabei, wie der MDR berichtete.

 

Brief in den Knast

 

Die Nebenklage reichte Ende Juni beim Verwaltungsgericht Weimar eine Klage auf Herausgabe der Akten durch den Verfassungsschutz ein. Auch hier steht eine Entscheidung noch aus.

 

Von Daniel M. und seiner Bekannten Sabrina D., die ebenfalls am heutigen Mittwoch als Zeugin in Erfurt geladen ist, erhofft sich das Gericht auch Informationen über einen möglichen weiteren Mittäter. Der Mann mit dem Spitznamen Arge soll eines der Autos gefahren haben, mit dem die Angeklagten zum Überfall anreisten. Können Daniel M. oder Sabrina D. zur Aufklärung der Identität des Fahrers beitragen?

 

Ein Briefwechsel zwischen den beiden deutet allerdings darauf hin, dass sie nicht gerade auskunftsfreudig sein werden. Für Daniel M. sehe es gut aus, er werde wohl weiter seine Ruhe haben, schrieb Sabrina D. ihrem Bekannten im Mai in die Justizvollzugsanstalt. Die Verhandlung dauere noch bis September, die Staatsanwaltschaft zweifele an den Aussagen der Zeugen. Der Brief landete in der Postkontrolle - und wird nun auch Thema im Verfahren sein.