Kampf um Rigaer Straße: Letztes Gefecht in Berlin

Erstveröffentlicht: 
16.07.2016

In Berlin tobt der Streit um die Rigaer Straße 94, Linksautonome kämpfen gegen anonyme Investoren. Die Spur des Geldes führt zu einer Londoner Briefkastenfirma - und ins Spielhallenmilieu. Von Maik Baumgärtner, Frank Hornig, Maximilian Popp und Andreas Wasserman.

 

John Dewhurst legt bei seiner Arbeit stets Wert auf Diskretion: Er hat als Anwalt in den Achtzigerjahren im Apartheidstaat Südafrika praktiziert. Seit 2001 betreibt er in der Londoner City eine Kanzlei, die Investoren dabei hilft, Steuern zu sparen. Dewhurst unterhält Briefkastenfirmen auf den Cayman Islands und den Britischen Jungferninseln. Er ist einer jener Schattenmänner des modernen Finanzkapitalismus, die Deals am liebsten an der Öffentlichkeit vorbei einfädeln.

Nun aber ist es für Dewhurst mit der Ruhe erst einmal vorbei. Der grauhaarige Londoner Jurist im dunklen Anzug ist formaler Eigentümer der derzeit wohl umstrittensten Immobilie Deutschlands - der Rigaer Straße 94 in Berlin.

Linksautonome lieferten sich am 9. Juli mit der Polizei Gefechte um das Mietshaus im Ortsteil Friedrichshain. 123 Beamte verletzten sich "im Einsatzgeschehen", einer musste stationär im Krankenhaus behandelt werden, 86 Demonstranten wurden meist kurzzeitig festgenommen, gegen 2 wurde Haftbefehl erlassen.

Dewhurst ist nicht gerade amüsiert, wenn man ihn am Telefon zu den Vorgängen befragt. Er liebt Diskretion, wie gesagt. Und nun äußern sich sogar die deutsche Bundeskanzlerin und deren Innenminister über das Berliner Investitionsobjekt. Da geht ein Londoner Advokat lieber in Deckung. "Ich bin nur Treuhänder", sagt Dewhurst. Die wirklichen Eigentümer des Mietshauses seien ihm zwar bekannt, "ich bin aber nicht befugt, diese preiszugeben".

 

Es ist eine überraschende Wendung in einer ohnehin schon erstaunlichen Geschichte. Eigentlich galt die Szene der Autonomen als nahezu befriedet – kehren nun alte Konflikte wieder zurück? Die Gemengelage ist kompliziert. Auf der einen Seite steht ein glückloser Innensenator, der kurz vor den Abgeordnetenhaus-Wahlen im September mit einer inszenierten Law-and-Order-Politik versucht zu retten, was für seine Partei, die CDU, noch zu retten ist: Frank Henkel. Auf der anderen Seite stehen die Anhänger einer zersplitterten linksradikalen Szene, die Schwierigkeiten haben, sich auf ein gemeinsames politisches Anliegen zu verständigen.

Und mittendrin steht eine knapp hundert Quadratmeter große Fläche im Erdgeschoss der Rigaer Straße 94. Die Autonomen möchten dort weiterhin eine Kneipe betreiben. Der Investor will die Räume angeblich an Flüchtlinge vermieten. Der Innensenator will Tatkraft beweisen und beschäftigt monatelang mehrere Hundertschaften der Polizei mit dem Minikonflikt.

Das letzte Gefecht – selten wurde ein Berliner Häuserkampf so zynisch orchestriert. Die Geschichte hinter der Geschichte lässt sich in groben Zügen erkennen, wenn man der Spur des Geldes folgt, von Berlin-Friedrichshain nach London. Dort, in einem imposanten Bürogebäude des Stararchitekten Norman Foster südwestlich der Tower Bridge, residiert die Firma Lafone Investments Ltd. Zumindest hängt dort ein Briefkasten mit ihrem Namen.

Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 2014. Das Stammkapital beträgt ein britisches Pfund. Als alleiniger Gesellschafter fungiert Anwalt John Dewhurst. Auch die Geschäftsaktivitäten von Lafone Investments Ltd. sind übersichtlich: Sie beschränken sich auf das Mietshaus Rigaer Straße in Berlin, das Dewhurst Ende 2014 im Auftrag seiner anonymen Investoren erwarb – der Vorbesitzer hatte nach jahrelangen auch gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den linken Aktivisten offenkundig die Geduld verloren.

Zwar hatte sich die Lage im Haus seit den frühen Neunzigerjahren, als es besetzt wurde, beruhigt. Die meisten Bewohner haben längst gültige Mietverträge abgeschlossen. Trotzdem mochte sich der damalige Besitzer, Suitbert Beulker, nicht länger mit der schwierigen Klientel herumschlagen. Immer noch hielten Aktivisten kleinere Flächen der Immobilie besetzt, darunter die umstrittenen Räume im Erdgeschoss mit der Autonomenkneipe „Kadterschmiede“.

Es sind nur wenige Schritte durch den Hinterhof bis zum Eingang des Szenetreffpunkts. Hier organisieren Menschen eine Küche für alle, kurz „Küfa“ genannt. Es gibt Konzerte, Angehörige der Szene tauschen sich bei Club-Mate oder Bier über Politik aus, über Gentrifizierung, Neonazis, die Krise in Griechenland, den Kampf der Kurden gegen den „faschistischen Islamischen Staat“, das Feld ist weit.

Alles wird ehrenamtlich organisiert, ohne Konsumzwang, selbstbestimmt und bezahlbar. Vier Räume, Tresen, Stühle, Kickertisch, Küche, Toiletten und jede Menge Aufkleber, Plakate und politische Graffiti.


Es ist der Ort, der in den vergangenen beiden Wochen zum Symbol für den Kampf der radikalen Linken um Rückzugs- und Freiräume geworden ist. Ein Jahr nachdem Lafone Investments das Objekt übernommen hatte, eskalierte der Streit mit den Bewohnern. Der unbekannte Investor war entschlossen, die letzten besetzten Räume im Haus endgültig räumen zu lassen. Innensenator Henkel sah den Konflikt als Chance, sich vor den nächsten Wahlen als Hardliner zu profilieren. Er verwandel-

te den Kiez um die Rigaer Straße in eine Sicherheitszone mit permanenten Ausweis- und Taschenkontrollen. Über den Wohnhäusern kreiste ein Polizeihubschrauber. Hunderte Beamte sollten sicherstellen, dass der Eigentümer Zugang zu seinem Mietshaus erhält. Dewhurst will davon kaum etwas mitbekommen haben. Er kenne weder die Bewohner, sagt der Anwalt, noch habe er jemals Kontakt zum Berliner Senat wegen des Hauses in der Rigaer Straße gehabt. „Ich bin nur der Mann im Schaufenster gewesen“, sagt Dewhurst. Alle Aufträge, insbesondere den Abschluss von Verträgen hätten die wahren Eigentümer ohne sein Wissen abgewickelt. Vor Ort sei eine Firma namens Centurius zuständig gewesen.

Unter diesem Namen finden sich zwei Firmen in Berlin, deren Gesellschafter ursprünglich ihr Geld auch mit Spielhallen verdient haben. Inzwischen betreiben sie nicht nur eine Hausverwaltung, sondern auch eine Immobiliengesellschaft, die sich auf den Kauf unsanierter Altbauten spezialisiert hat, darunter auch Objekte in Friedrichshain, eines sogar in der Nachbarschaft der umkämpften Immobilie in der Rigaer Straße. Außerdem hat die Centurius Erfahrung mit der Umwandlung linker Projekte in Eigentumswohnungen. Steckt dieses Firmengeflecht hinter der Lafone Investments? „Das kommentiere ich nicht“, sagt Dewhurst.

Auch der frühere Eigentümer der Rigaer Straße 94, Suitbert Beulker, schweigt über die Identität der heutigen Eigentümer. Er hat sich inzwischen aus Berlin ins Allgäu zurückgezogen. Beim Verkauf habe er sich verpflichtet, über die Namen seiner Nachfolger „Stillschweigen zu bewahren“. Den Wunsch der Käufer nach Anonymität kann er gut verstehen. Die Londoner Tarnfirma hätten sie offenbar aus „Angst vor Anschlägen“ gewählt. Die Geschäftsführer von Centurius waren bis Donnerstagabend für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

In der „Kadterschmiede“ geht es erst mal weiter wie bisher. Die Autonomen dürfen vorerst in ihre Kneipe zurückkehren. Die Räumung vor drei Wochen war rechtswidrig, hat ein Berliner Gericht gerade entschieden. Ein Triumph für die Aktivisten, eine Blamage für den Innensenator, dessen mögliche Absetzung im Roten Rathaus bereits diskutiert wurde.

Und der oder die Eigentümer? Seine Treugeber, sagt Dewhurst, hätten ihn über die Hintergründe des Investments „im Dunkeln gelassen“. Als Geschäftsführer der Lafone Investments ist er inzwischen zurückgetreten. Die Schlagzeilen über den Häuserkampf im fernen Berlin passten nicht so recht zum Image seiner diskreten Kanzlei. 


Maik Baumgärtner, Frank Hornig, Maximilian Popp, Andreas Wassermann