Bedrohung von Hauseigentümern - Im Visier der Linksautonomen

Linke Botschaften zur Rigaer Straße auf Wänden in Nikolassee
Erstveröffentlicht: 
06.07.2016

Eine neue Eskalationsstufe ist erreicht: Linke Gewalttäter bedrohen jetzt auch einzelne Eigentümer besetzter Häuser an ihren Privatadressen. Es ist die Reaktion der Szene auf die Teilräumung des Hauses Rigaer Straße 94. Die Bewohner verstehen diese Gewalt als Akt der Solidarität ihrer Unterstützer.


Es ist die zweite Nacht nach der Räumung in der Rigaer Straße am 22. Juni, als 30 Kilometer weiter um 4 Uhr morgens drei Autos brennen. Wenige Minuten später fährt die erste S7 aus Nikolassee im Südwestzipfel Berlins in die Stadt, von wo mutmaßlich die Täter kamen. Hier draußen reihen sich die Jugendstilvillen hinter hohen Hecken, gusseisernen Zäunen und Mauern aneinander.

Seit der Brandnacht steht "Rigaer bleibt" auf einer Mauer, auch "Fuck the police" ist da zu lesen. An jeder Ecke eine andere Botschaft, die an den Tag erinnert, an dem die Hausverwaltung im Schutz von 300 Polizisten das Untergeschoss der Rigaer Straße 94 räumen ließ.

Fragt man einen der linksautonomen Bewohner des besetzten Hauses, ist ein kruder Zusammenhang zu erfahren: zwischen der linken Gewalt an anderen Orten der Stadt und ihrem Kampf gegen Hauseigentümer und Polizei. "Da wir hier mit Gewalt rausgeräumt werden, finde ich es auch im Sinne der Selbstverteidigung völlig legitim, sich mit Gewalt dagegen zu wehren", sagt einer der Autonomen, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er versteht die brennenden Autos als Unterstützung: "Das ist ein klarer Ausdruck von Solidarität. Von Leuten, die Ihre Solidarität eben auf diese Weise ausdrücken."

Welle der Gewalt

Seit der Teilräumung der Rigaer 94 rollt eine Gewaltwelle durch Berlin. Die Polizei spricht von einer dreistelligen Zahl an Straftaten. Immobilienbüros, Behördenräume, Wahlkreisbüros von Politikern und Banken werden aus dem beschriebenen Grund angegriffen: Stahlkugeln, zerschlagenes Fensterglas, Farbbomben.

Unterdessen hat Innensenator Frank Henkel (CDU) der Szene den Krieg erklärt. Unerbittlich wolle er gegen diese Gewalttäter vorgehen. Den Dialog mit der Szene lehnt er ab, anders als der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), der darin eine mögliche Lösung sieht. Längst ist das Thema "linke Gewalt" zum Wahlkampfthema mutiert. Im September wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt.

Aber die Bewohner der Rigaer 94 wollen sich von keiner Partei vertreten lassen. Sie lehnen sie alle ab, wollen weder mit Frank Henkel reden, noch mit einem anderen Politiker. Ihnen geht es um das "Große Ganze", wie der Autonome auf den Treppenstufen in dem runtergekommenen Flur sagt. Nach der Teilräumung rechnen die Bewohner mit einer plötzlichen Kompletträumung. Ein zweiter Bewohner auf den Treppenstufen gibt sich kampfbetont. "Wir bleiben alle. Und wir werden alles tun, um das zu verhindern", sagt er entschlossen. Was das denn heißt? "Das sehen wir dann."

Unmut wächst auf beiden Seiten

Unterdessen steht seit der Teilräumung vor zwei Wochen ständig ein gutes Dutzend aufgerüsteter Polizisten vor dem Haus in der Rigaer 94, das sie mit hüfthohen Hamburger Gittern abgesperrt haben. Jeder, der in das Haus will, wird kontrolliert. Der Druck ist groß. Und mit jeder Aktion werden die Feindbilder auf beiden Seiten größer. Auch bei vielen Polizisten wächst die Wut, und der Unmut über den Senator und Landesvorsitzende der CDU.

In diesen Tagen sickert von der Berliner Polizei oft der Vorwurf durch, Frank Henkel instrumentalisiere die Kollegen für seinen Wahlkampf. Um sich am Ende der Legislaturperiode noch als das zu präsentieren, was er für viele nicht ist: Ein starker Mann. Die Kriminalitätszahlen sind seit seiner Amtsübernahme vor fünf Jahren stetig gestiegen, auch die politische motivierte Gewalt. Da käme ein Erfolg im Schlag gegen die linke Szene gerade recht.

Auch in anderen deutschen Städten regen sich bereits die Unterstützer, in Leipzig, auch in Tübingen brannte schon ein Auto – mit Bezugnahme zur Rigaer 94. Die beiden Bewohner kündigen weitere Aktionen an: "Auch in anderen Ländern."

"Nicht nur zum Spaß"

An diesem Samstag soll nun eine zentrale Unterstützerdemonstration in Berlin stattfinden, die an gleich mehreren besetzten Häusern in der Stadt vorbei führen soll. Die Polizei rechnet mit dem Schlimmsten. "Auf allen Ebenen werden wir uns wehren", sagen die beiden Autonomen. "Dafür werden wir auch eine Öffentlichkeit schaffen, und wir haben viele Unterstützer." Gewalt gegen Menschen lehnen sie eigentlich ab. Polizisten sind – wie Rechtsextremisten auch –  die Ausnahme von dieser Regel.

Beiden Gruppen sprechen Linksextremisten grundsätzlich die Menschenwürde ab. Das ist einer der Gründe für die deutliche Zunahme linker Gewalttaten um 65 Prozent, die der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Bundes ausweist. Viele Demos von Rechten, wie im vergangenen Jahr, heißt automatisch viele Polizeieinsätze gegen Linke, die dagegen sind.

Auch in der Rigaer Straße, im so genannten "Friedrichshainer Nordkiez", hat sich die Gewalt im vergangenen Jahr hochgeschaukelt. Mindestens drei Mal waren Rechtsextremisten und Hooligans beteiligt, die Gefallen daran gefunden haben, offen in einem Kiez zu provozieren, in dem sich Linksautonome mit der Polizei das Gewaltmonopol teilen. Und wo es eine ganze Reihe besetzter Häuser gibt. Hier kommt es vor, dass Polizisten über fingierte Notrufe in einen Hinterhalt in die Schlucht der Altbauten gelockt werden, um sie von den Häuserdächern mit Pflastersteinen zu bewerfen.

Auch dies sei ein Akt der Selbstverteidigung sagt der schmächtige Student in der geschliffenen Rhetorik des geschulten Ideologen, um mit sachlicher Mine hinzu zu fügen, dass dies lediglich eine Antwort auf Polizeigewalt sei: "Kein Stein fliegt ohne Grund. Ich glaube nicht, dass Leute das nur so zum Spaß machen."

Nacht für Nacht brennen weiterhin Autos. Und werden neuerdings auch die Privatadressen von Eigentümern besetzter Häuser aufgesucht, so wie in Nikolassee: In der Straße, in der hier die Autos brannten, wohnt ein solcher Eigentümer. Auf der Mauer, die seinen großzügigen Garten begrenzt, wurde in der Brandnacht großflächig die Adresse des besetzten Hauses gesprüht. Eine angekündigte Aktion.

Erst Wochen zuvor waren drei Dutzend linke Aktivisten an seinem Haus vorbei gezogen, vorgeblich um gegen eine Wohnungsräumung in diesem Objekt zu protestieren. Die Nachbarin erinnert sich an diesen Tag: "Ich war oben auf dem Sofa, und denke, komisch, warum fährt die Polizei hier mit Mannschaftswagen vor?", erzählt die alte Dame.

Eine neue Qualität linker Gewalt

Andere Anwohner wollen nicht offen sprechen. Aus Angst: "Urplötzlich kommen so schwarzgekleidete Frauen und Männer und junge Leute natürlich. Eine Frau sprach mit einem Megafon. Und dann sagten sie, wir kommen wieder." Noch im selben Monat brennen die Autos. Auch im Namen der Rigaer 94, wo einer der beiden Autonomen Immobilienbesitzer zu Feinden erklärt: "Klar sind die meisten Hauseigentümer aus meiner Sicht Arschlöcher", sagt er. "Aber die sind auch nur ein kleiner Teil des großen Ganzen. Der Hauptgegner ist das System."

Für den Extremismusforscher Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin sind solche Hausbesuche eine neue Qualität linker Gewalt. "Damit wollen die Linksextremisten Angst und Schrecken verbreiten, und hoffen drauf, dass sich die Leute sich nicht mehr trauen, Wohnprojekte durchzuführen." Die zunehmenden Angriffe gegen Privatwohnungen zeige, dass sie ihre Feinde nunmehr nicht mehr nur als reine Charaktermasken des Systems zu sehen. "Jetzt wird personalisiert angegriffen."

Beitrag von Adrian Bartocha und Olaf Sundermayer