Rede: Völkischer Nationalismus und rechter Vormarsch

Das Fronttransparent der Demonstration von "a monday without you" am 4. Juli 2016 in Leipzig.

Folgende Rede hielten wir am 4. Juli 2016 bei der antifaschistischen Demonstration „a monday without you“.


Liebe Freund_innen und Genoss_innen, liebe Menschen in Leipzig,

 

in unsere Rede beschäftigen wir uns mit dem Themenkomplex des völkischen Nationalismus in Zusammenhang mit dem jüngsten Rechtsruck in der Bundesrepublik Deutschland. An der Stelle, wo in Zukunft das Denkmal für die sogenannte “deutsche Einheit” stehen soll und aktuell die Fußball-Fanmeile anlässlich der Europameisterschaft aufgebaut ist, zwingen uns die gegenwärtigen Verhältnisse uns mit den Ursachen für Hetze, Menschenjagd und Ausgrenzung auseinanderzusetzen.

 

Im Zusammenhang mit dem geplanten Einheitsdenkmal wird unkritisch der Einheit eines ehemals geteilten Deutschlands gedacht, ohne sich mit dem damit einhergehenden Erstarken nationalistischer und völkischer Strukturen auseinanderzusetzen. Das Gedenken an die Wiedervereinigung ist schlussendlich eine Lobrede, auf das Erstarken eines geeinten Nationalbewusstseins, welches rassistisches, ausgrenzendes und nationalistisches Verhalten fördert, legitimiert und dabei die Reflexion des eigenen Standpunktes vermissen lässt. Ein ähnliches Phänomen, welches aktuell auch im Kontext der EM zu beobachten ist. Hier bietet sich mal wieder eine Möglichkeit, das eigene nationalistische Gedankengut ungebremst und unreflektiert nach außen zu tragen. Das Schwenken der Nationalfahne lässt sich als klare Zustimmung zum Nationalismus werten und muss kontinuierlich angegriffen werden. Während die Party-Patrioten wieder einpacken, ist es anderen Teilen der Bevölkerung durchaus ernster mit der nationalistischen Sache. Seit Ende des Jahres 2014 lässt sich eine nicht abebbende Welle an rassistischen Mobilisierungen feststellen.

 

Eine ideologische Klammer zwischen Teilen der bürgerlichen Mitte und rassistischen Mobilisierungen ist ein spezifisch völkischer Nationalismus. Das macht es notwendig einige Worte zum Zusammenhang der Vorstellungen von Volk und Nation mit der kapitalistischen Vergesellschaftung zu verlieren. Als Kapitalismus verstehen wir eine Art und Weise der Vergesellschaftung – also der Herstellung von Gesellschaft – die über den universellen Tausch von Waren vermittelt ist. Produktion findet statt, um die Produkte auf dem Markt zu verkaufen und damit einen Mehrwert zu erzielen. Sie findet in Konkurrenz zu einander statt und trennt diejenigen, die ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen müssen, um zu überleben und diejenigen, die Privatbesitz an Produktionsmitteln haben und somit Arbeitskraft einkaufen und Profite erzielen können, voneinander. Herrschaft und Konkurrenz sind strukturell im Kapitalverhältnis angelegt. Das gleiche Verhältnis, das die Individuen miteinander verbindet, sie zu Teilnehmer_innen eines gemeinsamen Marktes macht, trennt sie auch. Es trennt sie formanalytisch in Kapitalist_innen und Proletarier_innen und – viel wichtiger – es trennt sie in Konkurrenzsubjekte, die gegeneinander darum streiten, wer sein eigenes Produkt am billigsten anbieten kann.

 

An dieser Stelle kommen Volk und Nationalstaat ins Spiel. Der Staat als “ideeller Gesamtkapitalist”, um es mit Engels zu sagen, sorgt dafür dass die universelle Konkurrenz in geordneten Bahnen abläuft und die infrastrukturellen Bedingungen für eine Fortführung der Konkurrenz gegeben sind. Dazu zählen etwa Verkehr, Sozialsysteme, Gesundheitsversorgung, Arbeitsschutz und auch die Cops. Die Nation gibt dem Staat eine ideologische Legitimation, die über das Funktionale hinaus geht. Sie ist eine vorgestellte Gemeinschaft, die den Kampf ums eigene Überleben auf dem Markt als Dienst am gesellschaftlichen Ganzen erscheinen lässt. Über die Identifikation mit der Nation kann sich das Individuum mit dem gesellschaftlichen Ganzen identifizieren, ohne dabei dieses als Ursache von Konkurrenz und Arbeitsleid ausmachen zu müssen. Die Nation als Schicksalsgemeinschaft umfasst das Volk als ihre Angehörigen. Das Konzept Volk ist in Deutschland als quasi-natürliches gedacht. Über den Zusammenhang gemeinsamer Gene, einer gemeinsamen “Kultur” und der gemeinsamen Sprache wird eine den sozialen Verhältnissen vermeintlich vorgeordnete Abstammungsgemeinschaft imaginiert. Dabei wird nicht nur der eigene gewaltförmige Herrschaftszusammenhang legitimiert, es wird auch ein vermeintliches Anderes konstruiert, das auf Basis anderer Normen und Werte die eigene Lebensweise bedrohe. Das Andere darf immer wieder als Erklärung für Erschütterungen der eigenen sozialen Verhältnisse herhalten. Sei es die antisemitische Projektion der ökonomischen Krise auf manipulative Tätigkeiten des “razziierenden” (Adolf Wahrmund) Judentums, oder sei es die antimuslimische Hetze als Antwort auf postmoderne Krisenideologien wie Jihadismus, Terrorismus und Staatszerfall in Folge der globalen Krise des Kapitalismus.

 

Und genau mit diesem ideologischen Zusammenhang sind wir aktuell konfrontiert. Völkisches Denken, Rassismus und Nationalismus sind keineswegs neu im deutschen Nationalstaat, wie hinlänglich bekannt sein dürfte. Während in der kapitalistischen Peripherie Armut, Staatszerfall und die fundamentalistischen Krisenideologien die Menschen zwingen unter Lebensgefahr nach Europa zu fliehen, richtet sich der Hass der selbst ernannten deutschen “Volksgemeinschaft” auf genau diese Menschen. “Islamische Invasoren” seien sie, “Sozialschmarotzer”, die es auf Hartz-IV und “unsere Frauen” abgesehen hätten. Deutschland hat die globale Krise des Kapitalismus als eines der ganz wenigen Länder bislang ökonomisch relativ unbeschadet überstanden. Und das vor allem aus einem Grund: weil im – strukturell völkischen – Bündnis zwischen Gewerkschaften und Kapital die Löhne immer wieder gedrückt und andere “Standorte” gnadenlos nieder konkurriert wurden. Und während man sich selbst widerstandslos in das eigene Arbeitsleid fügt, projiziert man den Schmerz nicht auf die Verhältnisse, die ihn anrichten, sondern auf die „Anderen“, die „ausländischen“ Konkurrent_innen. Und je deutlicher der globale Kapitalismus an seine Grenzen stößt, desto mehr projizieren “selbstbewusste Volksgenoss_innen” dessen Krisenerscheinungen auf die vermeintliche “kulturelle Andersartigkeit” derjenigen Menschen, die am schlimmsten unter diesen Krisenerscheinungen zu leiden haben. Je brutaler die soziale und ökonomische Perspektivlosigkeit die kapitalistischen Konkurrenzsubjekte beutelt, desto verzweifelter halten sie an der identitären Selbstzuschreibung als Mitglieder nationaler und kultureller Kollektive fest.

 

In was für einer zutiefst völkischen Gesellschaft wir leben, fällt in vielen Punkten auf, die Deutschland von anderen Nationen unterscheidet. Ein Beispiel ist die Vergabe der Staatsbürgerschaft nach dem ius sanguinis, dem „Recht des Blutes“, und nicht nach dem Geburtsortprinzip, welches beispielsweise in den USA angewendet wird. Eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts verpasste 2000 die Gelegenheit, eine Abschmelzung rassistisch-völkischer Amalgame von Recht und Biologie durchzusetzen. So wurde verhindert, dass man in Deutschland ohne Weiteres eine doppelte Staatsbürgerschaft bekommen kann, auch wenn die Einbürgerung als solche ermöglicht wurde.
Diese Bestrebungen den deutschen Patriotismus von einem nationalistisch-völkischen Patriotismus zu einem verfassungstreuen Patriotismus zu verwandeln gingen von Parteien wie den Grünen und der SPD aus und trugen, davon abgesehen, dass sie scheiterten, eher zu einer Ergänzung und Bestärkung nationalem Gedankenguts bei.

 

Die aktuellen Asylgesetzverschärfungen in Verantwortung von SPD, CDU & Grünen zeigen, dass auch bei den sogenannten „Parteien der Mitte“ ein Rückfall in die 90’er zu verzeichnen ist.
Die desaströsen Gesetzesverschärfungen sind nicht nur ein Todesurteil für viele Flüchtende, sie tragen auch dazu bei, nationalistisches Gedankengut in der breiten Gesellschaft zu festigen und somit rassistische Praxis auf der Straße zu legitimieren. Wer sich vorher wohl eher im bürgerlichen Teil der Gesellschaft gewähnt hat, steht schnell mit Legida & Co. auf der Straße, wenn die eigene nationalistische Praxis durch Parteipolitik von SPD, CDU & Grünen legitimiert wird.

 

Weitere Akteur_innen, die wir hier bewusst nennen möchten, sind Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine von der Partei „Die Linke“. Sahra Wagenknecht spricht von einer „Grenze der Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung“ sowie von der Möglichkeit das „Gastrecht zu verwirken“. Oskar Lafontaine reproduziert das Stigma der „Fremdarbeiter“, die den „deutschen Familienvätern“ die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Beide Aussagen sind weitere Paradebeispiele dieses nationalistischen Konstrukts. Dieser Rechtsruck der bürgerliche Mitte gewinnt auch dadurch an Relevanz, dass Parteien wie die AfD gerade nach den jüngsten Wahlerfolgen und dem damit verbundenen Einzug in den Landtag auch auf der parteipolitischen Ebene eine Basis für rechte Strukturen und Ideologien schaffen. Wie problematisch das Ganze ist, sollte spätestens durch die Vernetzung der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt mit der dort ansässigen Identitären Bewegung deutlich werden.

 

In der letzten Zeit ist in Bezug auf das Erstarken rechter Parteien und Vereinigungen in den Medien des Öfteren der Begriff „Rechtsruck“ gefallen. Die mit einem tatsächlichen Rechtsruck einhergehende politische Meinungsänderung fand in dem Sinne aber nie wirklich statt. Eher waren jüngere Ereignisse wie die sog. „Asylkrise“ ein Auslöser um schon vorhandenes rechtes Gedankengut zu festigen und zum Ausdruck zu bringen.

Legida/Pegida & Co. stellen sich im Osten, gemeinsam mit „Nein zum Heim“-Demos und ähnlichen Konsorten, nicht nur als nationalistischer Bürgerprotest auf, sie sind in der Tendenz auch als nationalsozialistisch zu bezeichnen. Dies macht sich primär in dem inhaltlichen Fokus der Bewegungen bemerkbar, welcher deutliche Parallelen in der Themenwahl aufweist. So spielen Werte wie Familie, Volk und Nationalstolz immer wieder eine herausragende Rolle. Alles was vom klassischen Bild der Familie und dem nationalistischen Weltbild abweicht, wird in das Feindbild eingegliedert und stellt eine Bedrohung für die eigene Identität dar. Immer wieder fällt Legida auch durch antisemitische Äußerungen wie beispielsweise am 20.1.2015 auf, wo vermehrt „Juden raus“-Rufe zu vernehmen waren. Auch ein Plakat mit der Aufschrift „Schluß mit der Lügenpolitik der Synagoge Satans“ war zu sehen.


Durch eben diese nationalistischen Protestbewegungen findet, gemeinsam mit der AfD weiterhin eine Neulegitimierung von rechten Parolen und Aktionen statt. Auch wenn nicht alle selbst eine Zwangsunterkunft für Geflüchtete anzünden würden, würde kaum eine_r nicht applaudieren.

Wir akzeptieren diesen völkisch-nationalistischen Mob nicht als Normalzustand und werden uns ihm immer wieder entschlossen entgegenstellen. Legida, AfD und anderen Rassist_innen darf keine Bühne geboten werden! Nieder mit dem nationalistischen Konsens! Rassistische Strukturen aufdecken! Und immer wieder für einen Monday without you!