Ein TU-Student aus Indien liegt nach einem Angriff schwer verletzt im Krankenhaus. Zeugen der Tat versuchen indes, das Geschehene zu verarbeiten. Dabei rätseln sie auch über das Motiv des Täters.
Von Sandra Häfner
Es ist ein Angriff aus heiterem Himmel gewesen, erzählt die 23-jährige Inderin. Gerade noch war sie mit ihrem Freund und zwei Bekannten - allesamt Studenten aus Indien - in der Nacht zu Samstag in Bernsdorf spazieren und schaute in den Sternenhimmel. Plötzlich habe ein Mann von hinten ihrem Freund die Hände auf die Schultern gelegt, ihm eine Kopfnuss verpasst. "Als sich mein Freund daraufhin herumdrehte, stach der Fremde ihm mit einem Messer in den Kopf", berichtet die Studentin der TU Dresden, die in Chemnitz zu Besuch ist. Hastig und mit weit aufgerissenen Augen erzählte sie gestern in der Klinik an der Flemmingstraße, wo ihr Freund stationär behandelt wird, wie sie diesen Abend erlebt hat. Das Blut strömte nach dem Angriff aus der Wunde. "Mein Freund stand komplett unter Schock und überall war Blut", so die Frau. Es fällt ihr sichtbar schwer, darüber zu reden.
Und doch hatte der 26-Jährige, der seit 20 Monaten an der TU Chemnitz studiert, Glück im Unglück. Nur knapp verfehlte das Messe seine Hirnschlagader. Auch wenn das Gehirn verletzt sei und es bis zur vollständigen Genesung mehrere Monate dauern wird, erlitt der junge Mann körperlich wohl keine bleibenden Schäden, sagten seine Freunde gestern, nachdem sie mit Ärzten gesprochen hatten. Sein Verhalten sei grundsätzlich normal, das Essen bereite ihm aufgrund seiner Wunde Schwierigkeiten. Doch wie der Inder den Angriff psychisch verarbeiten wird, sei unklar. "Es geht ihm nicht gut, er ist verängstigt", so ein 28-jähriger Kommilitone. Nur seine engsten Freunde dürfen ihn besuchen, nur bruchstückhaft seien seine Erinnerungen an die Tat.
Die sind bei seinen Freunden umso präsenter. Der 28-Jährige, der bei dem Spaziergang noch einmal kurz in die Wohnung gegangen war, um einen Fotoapparat zu holen, kam zurück und fand die Gruppe in höchster Aufregung vor. "Meine Freunde haben geschrien und um Hilfe gerufen. Wir haben an Wohnungen geklingelt, doch niemand half uns", blickt er zurück. Gemeinsam retteten sie sich vor dem Täter in ihre Wohnung, wählten dort den Notruf. Zehn Minuten später waren Krankenwagen und Polizei vor Ort, Beamte nahmen einen 36-jährigen Deutschen, den mutmaßlichen Messerstecher, fest.
Der Mann, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen versuchten Totschlags ermittelt, war dem 28-jährigen Studenten bereits kurz vor der Tat aufgefallen. "Als ich meine Kamera holen wollte, stellte sich mir der Mann wiederholt in den Weg. Daraufhin wich ich auf die andere Straßenseite aus, um Probleme zu vermeiden. Er war aggressiv, versuchte zu provozieren", schildert der junge Inder. Welche Motive der Täter gehabt haben könnte, wissen sie nicht. Sie haben ihn vorher nie gesehen, sagen sie. Laut Polizei war er zur Tatzeit alkoholisiert.
Da der Festgenommene noch keine Aussage zum Geschehen gemacht habe, kann auch die Staatsanwaltschaft zu einem Motiv noch nichts sagen, erklärte gestern Sprecherin Ingrid Burghart. "Wir ermitteln in alle Richtungen." Auch ob die Tat möglicherweise einen fremdenfeindlichen Hintergrund hatte und der Staatsschutz einbezogen wird, bleibt aufgrund der fehlenden Aussage vorerst ungewiss, so Burghart.