medico in Israel/Palästina: Im Zeichen paradoxer Hoffnung

Erstveröffentlicht: 
21.04.2013

Israel/Palästina gehört zu den ältesten Projektregionen von medico international. Unermüdlich kämpfen unsere Partner gegen die Entrechtung der Palästinenser und für das Menschenrecht auf Gesundheit für alle.

In den vergessenen Hügeln im Süden der Westbank genießen die Bewohner des kleinen palästinensischen Dorfs Qawawis zum ersten Mal die einfachen Vorteile einer Stromversorgung. Da die israelischen Behörden den Anschluss an die Stromtrasse verbieten, umging die israelische Aktivistenorganisation Comet-ME mit medicos Hilfe den Stromboykott und installierte kleine Wind- und Solaranlagen. Doch, kaum waren die Anlagen fertig gestellt, erließ die israelische Besatzungsadministration Abrissverfügungen gegen die alternativen Energieanlagen. Eine öffentliche Kampagne medicos führte dazu, dass die Abrissverfügungen nicht vollzogen werden konnten, denn der internationale Protest würde beachtlich sein und Israel vor peinliche Fragen stellen.

Es sind diese „kleinen Siege“, die einem verdeutlichen, dass die tagtägliche Arbeit in diesem scheinbar immerwährenden und aussichtslosen Konflikt tatsächlich sinnvoll ist – für die Menschen konkret, denn es geht hier nicht nur um Strom, sondern das Ziel ist auch die palästinensischen Gemeinden zu unterstützen, sich nicht verdrängen zu lassen. Insoweit zeigt sich in den Hebronhügeln auch, ob es einen lebensfähigen Palästinenserstaat geben kann.


Für universelle Demokratie und die Gleichheit aller in Nahost

medico blickt auf ein langes Engagement in Israel und Palästina zurück. Die Region lässt uns als deutsche Hilfsorganisation auch aus historischen Gründen wenig Raum, unbeteiligt oder gar neutral zu sein. Zu sehr ist unsere eigene Geschichte mit der Israels, und damit letztlich auch mit dem Schicksal der Palästinenser verwoben. Die Achtsamkeit gegenüber der eigenen Geschichte ist aber auch Ausgangspunkt unseres Engagements für universelle Demokratie und Gleichheit aller Menschen. Die Fähigkeit, sich der gemeinsamen Welt zu öffnen, bewährt sich im Kampf um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen eines Lebens in Würde.

Konkrete Orientierung unserer Arbeit ist dabei das Menschenrecht auf gleichen Zugang aller zu Gesundheit. In Israel / Palästina schließt die Verwirklichung dieses Rechts ein, sich einem allumfassenden System von Ein- und Ausschluss zu widersetzen. Denn es schränkt Gesundheitsleistungen entlang der ethnisch-religiösen Herkunft ein und unterminiert andere Grundlagen eines gesunden Lebens, wie Zugang zu Ressourcen, Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit, aktiv und angstfrei das eigene und das gemeinsame Schicksal mitzugestalten. Damit wird einer ganzen Bevölkerungsgruppe das Recht auf ein gutes Leben strukturell verunmöglicht.

 

Entrechtung der Palästinenser und Entdemokratisierung Israels

Zwischen Israel und Palästina ist die Grenze keine friedliche Scheidelinie zwischen zwei unabhängigen Gesellschaften, in denen jeder seinen Platz finden kann. Vielmehr befinden sich beide Gesellschaften in einer Zone allgemeiner Unsicherheit, deren sichtbare und unsichtbare Mauern, Zäune und Einhegungen Verdrängung und Auflösung bedeuten.

Den Kern des Konflikts bilden heute die seit über 45 Jahren anhaltende israelische Besatzung, die Siedlungspolitik und die damit einhergehende Entrechtung der Palästinenser. Die derzeitige Entwicklung schließt die Palästinenser in dichtgedrängte Enklaven ein, die ohne Almosen aus Europa gar nicht lebensfähig wären. Die Perspektivlosigkeit in diesen abgeriegelten Enklaven trägt dazu bei, dass die palästinensische Gesellschaft immer verschlossener, konservativer und von reaktionären Elementen beherrscht wird. Aber auch auf Israels demokratische sowie rechts- und sozialstaatliche Strukturen hat die Besatzung fatale Rückwirkungen. Mediale Kampagnen und Gesetzesvorhaben sollen die Freiräume eines emanzipatorischen Diskurses einhegen; eine ihre Minderheiten schützende Demokratie ist Israel kaum noch.

 

Öffentlicher Druck für gleiche Rechte in Israel und Palästina

In einer globalen Welt bedeutet Solidarität nicht nur das Engagement im globalen Süden, sondern auch die Information und Aufklärung der hiesigen Öffentlichkeit. Zusammen mit unseren israelischen und palästinensischen Partnern betreiben wir intensive Lobbyarbeit im politischen Berlin, bei Bundestag und Ministerien, erstellen Studien und bringen zahlreiche Journalisten in die Region, um über die Entwicklungen vor Ort – ob in Gaza, Tel Aviv oder dem Jordantal – in der deutschen Öffentlichkeit zu berichten. Deutschland und Europa brauchen eine kohärente Nahost-Politik, die darauf abzielen muss, zu einer friedlichen Lösung der Konflikte vor Ort beizutragen. Hier setzt die medico-Öffentlichkeitsarbeit an.

 

Hoffnung auch für den Israel-Palästina-Konflikt

Während die arabische Welt um beide Länder herum sich in einem historischen Wandel befindet, sind Israelis wie Palästinenser in einem unerträglichen Status quo gefangen, dessen Ursache in einer seit Jahrzehnten bestehenden – und letztlich beide Gesellschaften in Mitleidenschaft ziehenden – militärischen Besatzung und Verweigerung palästinensischer Unabhängigkeit liegt. Doch solange es innerhalb dieses feindlichen und unbestimmten Raums auf beiden Seiten noch immer Initiativen und Projekte gibt, die sich dieser „alternativlosen“ Realität verweigern, wird auch medico weitermachen.