Linke Spaltung im Baskenland

Askatasunaren Bidean - Auf dem Weg zur Freiheit. Bilbo 21-05-2016

Seit Monaten hat es sich angedeutet, bei der heutigen Pressekonferenz (21.5.2016) wurde es öffentlich bekannt gegeben: ein Teil der baskischen Linken geht den Weg in die Institutionen nicht mit und organisiert sich auf eigene Weise. „Askatasunaren Bidean“ – Auf dem Weg zur Freiheit – ist der Name, der in Zukunft mit in Betracht gezogen werden muss im politischen Panorama der baskischen Linken. Aktivist/innen aller Altersgruppen stellten die neue Organisation vor, die schon seit Wochen für Schlagzeilen sorgt in der baskischen Medienlandschaft.

 

Häufig wird spekuliert, die neue Bewegung könnte den Schritt zurück machen zum bewaffneten Kampf. Eigentlich eine ziemlich unsinnige Vermutung, denn wer solches vor hat, stellt sich nicht in einer Pressekonferenz den Medien aller Couleur (die tatsächlich in großer Zahl vertreten waren). So gesehen ist der gerne hergestellte Bezug zur Gewalt ein Teil einer medialen Strategie, das neue Projekt ins Abseits zu stellen, bevor es seine politischen Konturen überhaupt entfalten kann. 

 

Bei der Vorstellung wurde auf Nachfrage jedenfalls deutlich gemacht, dass „in keinem Moment die Rückkehr zum bewaffneten Kampf in Betracht gezogen wurde, weil die baskische Linke ausreichend andere Parameter besitzt, sich politisch zu organisieren“.


An der Negativ-Kampagne ist auch der „offizielle“ Teil der baskischen Linken beteiligt, konkret die Partei Sortu, die vor fünf Jahren auf dem Marsch durch die Institutionen gesetzt hat und sich auf diesem Weg nach und nach von alten politischen Elementen verabschiedet. Sortu setzt auf die „Sammlung links-nationalistischer Kräfte“ und hat bei dieser Suche rechts Ausschau gehalten. Dabei heraus kam eine Vierer-Koalition mit den baskischen Sozialdemokraten von EA (die vorher mit der rechten PNV koalierte); mit einer Abspaltung der Vereinigten Linken, Alternatiba (von Haus aus eigentlich nicht nationalistisch eingestellt); und mit der ehemaligen Batasuna-Abspaltung Aralar.


Genau diese sozialdemokratische Orientierung will die neue Organisation AB nicht, sie setzt auf eine Kooperation von kleineren sozialistischen  Gruppen, die nicht auf die Parlamente setzen, sondern auf soziale Mobilisierung. Bezüge zur Arbeiterklasse  tauchen bei der Selbstdarstellung auf, marxistische Terminologie. AB sieht sich nicht als Avantgarde, sondern als Teil einer „Volksfront“, zu der auch andere Kräfte stoßen sollen. Zum Beispiel die historische baskische Linke, ANV – Acción Nacionalista Vasca – die sich in den 30er Jahren formierte, deren Partei jedoch illegalisiert wurde. Oder kleine aber aktive ML-Gruppen wie Boltxe. Die vier ideologischen Säulen der Bewegung sind, Unabhängigkeit, Sozialismus, baskische Wiedervereinigung und Wieder-Euskaldunisierung.


Die neue Bewegung hat im vergangenen Jahr einige Male mobilisiert, Thema waren die politischen Gefangenen, für die eine Amnestie gefordert wird. Diese historische Forderung war bei Sortu völlig in den Hintergrund geraten, weil sie politisch nicht opportun erschien. Denn in Bezug auf die Gefangenen setzt Sortu neuerdings auf das spanische Rechtssystem, das Folter deckt, seit 40 Jahren politische Justiz praktiziert und gegen jedes vorstellbare internationale Menschenrechts-Abkommen verstößt.


Diesem System sollen sich die Gefangenen nach dem Willen der Partei nun unterwerfen, bzw. sie sollen es nutzen auf dem Weg zu ihrer vorzeitigen Freilassung. Nicht als Kollektiv, wie dies historisch geschah, sondern individuell. Das ist Realpolitik pur, möglicherweise gibt es in Anbetracht der spanischen Total-Blockade momentan keine andere Perspektive, dennoch ist der politische Preis hoch. Viele linke Aktivist/innen können sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden, entsprechende Vorstöße der Sortu-Führung kommen derart unvermittelt und ohne jegliche Pädagogik, dass sich sogar Sortu-Mitglieder gelegentlich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn sie von den Vorschlägen aus der Presse erfahren.


In jedem Fall muss Askatasunaren Bidean mehr konkretisieren als die Frage von Gefangenen und Amnestie, sie muss deutlich machen, welche politischen Inhalte sie vertritt. Eine Strategie muss herausgearbeitet werden, wie Ziele erreicht werden sollen, denn eine relativ utopische Forderung allein macht noch keine schlagkräftige Bewegung. Die soll entstehen über offene Versammlungen, in denen alle Stimmrecht haben, horizontal und ohne Organisations-Funktionäre. Eine Struktur also, die sich ebenfalls stark vom Sortu-Modell unterscheidet, das bisher auf Hierarchie, Partei-Apparat und parlamentarische Vertretung gesetzt hat (eine Strategie, die zuletzt intern heftig kritisiert wurde und zu einem Erneuerungs-Prozess geführt hat, dessen Ausgang jedoch offen ist).


Die Gründung einer Partei schließen die Sprecher von AB aus, zumindest für den Moment. Basisdemokratisch soll diskutiert und entschieden werden über ein künftiges Organisations-Modell. Askatasunaren Bidean besitzt bereits Strukturen in allen sieben Provinzen und allen größeren Orten des Baskenlandes.


Bereits jetzt erleben die Aktivist/innen von AB, die sich vorher ATA nannten (Amnistia ta Askatasuna – Amnestie und Freiheit) die Repression der spanischen Regierung, berichtet wird von Verfolgung und Observation, Festnahmen gab es bisher keine, obwohl alle daran arbeiten der Bewegung den Brandanschlag gegen öffentliche Busse in die Schuhe zu schieben (November 2015).


Auch der kürzlich aus der Haft entlassene Sortu-Politiker Arnaldo Otegi hat sich offenbar auf den bisherigen Diskurs seiner Parteikollegen eingestellt und spricht von „ideologischer Bekämpfung“, die AB sei „in politischen Konzepten der Vergangenheit gefangen“. Das ist nicht mehr als ein rhetorischer Gegenschlag, der damit spielt, dass alles Neue gut ist und alles Alte schlecht – eine ziemlich unhistorische und undialektische Interpretation.


Politische Trennung erscheint auf den ersten Blick negativ, doch ist sie nichts Neues in der Geschichte der baskischen Linken. Sie kann auch positive Auswirkungen haben. Die Ursprünge der baskischen Linken sind Früchte einer Trennung von der konservativen Strömung der 1930er Jahre, ETA war vor 50 Jahren eine Abspaltung von der PNV, ETA selbst hat sich mehrfach gespalten. Herri Batasuna war der Versuch einer Volksfront, an der verschiedene Kräfte beteiligt sein sollten. Und nicht vergessen ist die Abspaltung von Aralar im Jahr 2001 von Batsuna, die heftige Polemik, Ausgrenzung und gegenseitige Verleumdung nach sich zog. Zehn Jahre später sind diese Wunden (innerhalb von EH Bildu) geheilt.


Bereits jetzt haben die Aktivitäten von ATA und Askatasunaren Bidean bei Sortu zu einem Kurswechsel geführt. Denn seit der klaren Thematisierung der Amnestie-Frage hat Sortu auch die politischen Gefangenen als Thema wieder entdeckt, derzeit jagen sich die Mobilisierungen von Wochenende zu Wochenende. Wer die politischen Aussagen der „Dissidenten“ und der „offiziellen Linie“ vergleicht, stellt überraschend viele Übereinstimmungen fest: Sozialismus, Unabhängigkeit, Ökologie und Feminismus – nur die Wege und Bündnisse dahin sind umstritten. (Redaktion Baskinfo)

 

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